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Radler vs. Radler: Was ist beim Überholen zu beachten?

  • 3 Minuten Lesezeit
Sandra Voigt anwalt.de-Redaktion

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Selbst bei dem nunmehr kalten und nassen Wetter sieht man sie auf den Straßen: die Radfahrer. Sie müssen sich – wie jeder andere Verkehrsteilnehmer auch – an gewisse Spielregeln halten. Doch manchmal könnte man den Eindruck gewinnen, dass Radler diese Verkehrsregeln gerne mal außer Acht lassen – sogar gegenüber ihren „Artgenossen“. Auch hier wird beispielsweise „aufgeradelt“ oder ohne jeglichen Seitenabstand überholt. Kommt es dabei zu einem Unfall, stellt sich die Frage, wer haften muss.

Überholmanöver mit Folgen

Eine Frau machte mit ihrem Mann eine kleine Radtour. Der zwei Meter breite Radweg war jedoch nicht asphaltiert – stattdessen mussten die Radler auf Sand und Schotter fahren. Dementsprechend vorsichtig waren die Eheleute auf ihren Zweirädern unterwegs – zu vorsichtig und daher zu langsam für den Geschmack eines anderen Bikers. Er näherte sich der Frau von hinten und setzte links zum Überholen an. Dabei streifte er die Radlerin, die zu Boden stürzte und sich schwer verletzte.

Einige Zeit später verlangte die Frau vom rasenden Radler Schadenersatz und Schmerzensgeld. Schließlich habe er den Unfall verursacht, als er ohne ausreichenden Sicherheitsabstand an ihr vorbeifahren wollte und sie dabei streifte. Ihr Unfallgegner jedoch hielt sich für unschuldig. Vielmehr trage die Radlerin die Schuld an dem Unglück: Anstatt nämlich so weit wie möglich auf der rechten Seite des Radwegs zu fahren, befand sie sich zum Unfallzeitpunkt beinahe auf der Mitte des Wegs. Auch sei sie vor ihm plötzlich nach links – und damit auf ihn zu – geschwenkt, womit er nicht habe rechnen müssen. Der Streit der Parteien endete vor Gericht.

Alleinige Haftung des Überholers

Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe kam zu dem Ergebnis, dass der Überholer den Unfall allein verursacht hat und daher auch zu 100 Prozent haften muss.

Verkehrswidriges Verhalten des Überholers?

Schließlich hat er gegen § 5 IV 2 Straßenverkehrsordnung (StVO) verstoßen. Danach muss beim Überholen ein ausreichender Sicherheitsabstand eingehalten werden. Nicht nur Autofahrer, sondern auch Radler müssen diese Regel beachten.

Wie groß muss der Seitenabstand sein?

Allerdings wurde in der StVO nicht bestimmt, wie groß dieser Abstand sein muss. Der kann nämlich – je nach Einzelfall – unterschiedlich ausfallen. So ist z. B. auf einem unebenen Sand-Schotter-Radweg eher mit Schwankungen zu rechnen, als auf einem asphaltiertem Weg. Aufgrund der zu erwartenden Schlangenlinien auf einem Schotterweg sollte ein Radler mit größerem Abstand am anderen Biker vorbeifahren. Der Seitenabstand sollte auch höher ausfallen, wenn der langsamere Radler den sich von hinten nähernden Biker nicht bemerkt hat – etwa, weil der Überholer seine Anwesenheit nicht durch Klingeln angekündigt hat oder weil das Klingeln wegen starken Verkehrslärms nicht zu hören war.

Andererseits kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass Radler keinen so großen Abstand einhalten müssen wie Autofahrer, die einen Biker oder Passanten überholen. Kfz-Führer müssen generell nämlich einen Seitenabstand von mindestens einem bis zwei Meter – unter Umständen sogar mehr – einhalten. Ferner kann der Abstand etwas herabgesetzt werden, wenn sich die Radler untereinander verständigt haben und der langsamere weiß, dass er bald überholt wird.

Mit Schwankungen war zu rechnen

Vorliegend hatte der überholende Radler nur einen Seitenabstand von wenigen Zentimetern zur Radlerin eingehalten – und sie sogar beim Vorbeifahren kurz gestreift. Dabei hätte er auf dem Sand-Schotter-Weg damit rechnen müssen, dass die Frau ihre Fahrlinie nicht beibehalten kann, sondern hin und her wankt. Hier hätte ein Abstand zwischen den beiden Fahrlinien der Räder von ca. 60 – 65 Zentimetern durchaus gereicht, um einen Unfall zu vermeiden. Dafür hatte er auch genug Platz – schließlich war der Radweg zwei Meter breit.

Kein Mitverschulden der „bummeligen“ Bikerin

Nach Ansicht der Richter gab es keinen Grund, der gestürzten Radlerin eine Teilschuld am Unfall zu geben. Denn der Überholer hatte eine solche nicht nachweisen können.

So lag nicht bereits deshalb ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot nach § 2 II StVO vor, weil sie nicht am rechten Radwegrand entlanggeradelt war, sondern sich zum Unfallzeitpunkt eher mittig auf dem Weg befand. Denn es darf – um etwaige Schwankungen auf unebenem Boden auszugleichen – ein Abstand vom Wegerand eingehalten werden. Dass sie aufgrund derartiger Schwankungen in die Fahrlinie des Überholers geraten ist, konnte der Überholer ebenfalls nicht nachweisen.

Fazit: Auch Radler müssen sich an Verkehrsregeln halten, um die Gefährdung bzw. Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer zu verhindern. Dazu gehört auch das Einhalten eines angemessenen Seitenabstands.

(OLG Karlsruhe, Beschluss v. 30.05.2016, Az.: 9 U 115/15)

(VOI)

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