Sozialauswahl - so entscheidet der Arbeitgeber, wer gekündigt wird!

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Was bedeutet die Sozialauswahl des Arbeitgebers?

Die Sozialauswahl ist ein wesentlicher Begriff im deutschen Arbeitsrecht.

Die betriebsbedingte Kündigung ist trotz Vorliegens dringender betrieblicher Erfordernisse sozial ungerechtfertigt, d.h. rechtsunwirksam, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. Mit dieser sozialen Auswahl wird dem Arbeitgeber aufgegeben, bei der Auswahl des zu Kündigenden nach der sozialen Schutzbedürftigkeit vorzugehen. Er hat zu prüfen, welcher Arbeitnehmer am wenigsten auf den Arbeitsplatz angewiesen ist.

Auch wenn es dem Arbeitgeber gelingt, die in den bisherigen Tipps zur Feststellung der sozialen Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung dargestellten Anforderungen zu erfüllen, also seine Kündigung nicht bereits an den vorstehend aufgezeigten Hürden beim Arbeitsgericht scheitern würde, muss er immer geprüft haben, ob der zur Entlassung vorgesehene Arbeitnehmer derjenige ist, der unter den vergleichbaren Arbeitnehmern aufgrund seiner Sozialdaten am wenigsten auf den Arbeitsplatz angewiesen ist.

Dieser vom Unternehmer zusätzlich zu prüfende Aspekt wird arbeitsrechtlich unter dem Begriff der sogenannten Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG) eingeordnet und bedeutet nichts anderes, als dass der Gesetzgeber des Kündigungsschutzgesetzes das Risiko des Arbeitsplatzverlustes aus betriebsbedingten Gründen nach bestimmten sozialen Gesichtspunkten verteilen wollte.

Nach § 1 Abs. 3 KSchG ist eine Kündigung dann sozialwidrig und damit unwirksam, wenn zwar dringende betriebliche Gründe für eine Kündigung vorliegen, der Arbeitgeber aber bei der Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat.

Die Notwendigkeit, eine Sozialauswahl vorzunehmen, setzt also in der Regel die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes voraus und ist nur bei betriebsbedingten Kündigungen erforderlich.

Die soziale Auswahl muss sich auf den gesamten Betrieb erstrecken, also nicht nur auf die Abteilung, in der der Arbeitsplatz weggefallen ist. Ihre Prüfung erfolgt im Rahmen folgender Schritte: Bestimmung der vergleichbaren Arbeitnehmer, Auswahlentscheidung, Herausnahme einzelner Mitarbeiter.

Kommen für eine betriebsbedingte Kündigung mehrere Arbeitnehmer in Betracht, dann muss der Arbeitgeber für jeden Arbeitnehmer der Frage nachgegangen sein, ob er derjenige ist, der am wenigsten schutzbedürftig ist und demzufolge am Ehesten entlassen werden kann.

Wenn der Arbeitgeber bei einer betriebsbedingten Kündigung den falschen Arbeitnehmer auswählt bzw. – noch präziser – anstatt dem gekündigten Arbeitnehmer einem anderen mit diesem vergleichbaren Arbeitnehmer hätte kündigen müssen, dann hat der gekündigte Arbeitnehmer gute Chancen, die Kündigungsschutzklage allein aus diesem Grund zu gewinnen und auf den Arbeitsplatz zurückzukehren oder eine Abfindung zu erstreiten.

Wie bestimmt der Arbeitgeber den Kreis der in die Sozialauswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer?

Von vornherein nicht in die Sozialauswahl mit einzubeziehen und damit vor einer betriebsbedingten Kündigung besser geschützt sind Sie dann,

  • wenn Sie zu den Personen gehören, deren Kündigung das Gesetz verbietet
    (z.B. Mitglieder des Betriebsrates oder Schwerbehinderte, solange nicht die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle für die Kündigung vorliegt).
  • wenn Ihre (ordentliche) Kündigung im Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag ausgeschlossen ist.

Auch leitende Angestellte nehmen an der Sozialauswahl teil. Voraussetzung ist nur, dass der leitende Angestellte eine vergleichbare Tätigkeit wie andere Arbeitnehmer verrichtet.

Ob der Arbeitgeber, wenn er eine betriebsbedingte Kündigung ausspricht, bei der Sozialauswahl richtig vorgegangen ist, kann anhand von drei Prüfungsschritten überprüft werden:

  1. Zutreffende Ermittlung der vergleichbaren Arbeitnehmer
  2. Berechtigter Ausschluss einzelner Arbeitnehmer aus dem Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer (Vorrang betrieblicher Gründe)
  3. Richtige Auswahlentscheidung nach sozialen Gesichtspunkten

Einzubeziehen sind alle gegenseitig austauschbaren Arbeitnehmer der gleichen betrieblichen Hierarchieebene (sog. „horizontale Vergleichbarkeit“), also alle, die nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen und nach den individuellen vertraglichen Regelungen im Rahmen des Direktionsrechts versetzt werden könnten.

Zu prüfen ist dabei, ob der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsplatz weggefallen ist, vom Arbeitgeber einseitig auf einen anderen Arbeitsplatz versetzt werden könnte, um (ggfs. nach kurzer Einarbeitungszeit) die Funktion des dort beschäftigten Arbeitnehmers auszufüllen.

Von besonderer Bedeutung ist hierbei die Reichweite arbeitsvertraglicher Versetzungsvorbehalte; je weiter diese gefasst sind, umso umfassender ist ggf. der Kreis der in die Sozialauswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer.

Diese Wechselwirkung ist Arbeitgebern bei der Arbeitsvertragsgestaltung häufig nicht bewusst.

1. Schritt: auswahlrelevanter Personenkreis 

Bei Kündigung sind grundsätzlich alle miteinander vergleichbaren Arbeitnehmer eines Arbeitgebers in die Sozialauswahl mit einzubeziehen.

Für die Frage, ob der betriebsbedingt gekündigte Arbeitnehmer derjenige Arbeitnehmer ist, der im Vergleich zu seinen Arbeitskollegen am wenigsten auf den Arbeitsplatz angewiesen ist, kann sich der gekündigte Arbeitnehmer grundsätzlich auf alle im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer berufen, die von der Art der Tätigkeit her mit ihm vergleichbar sind. 

Beispiel: Wenn sich der Arbeitgeber entschließt, beispielsweise von 10 technischen Zeichnern der Konstruktionsabteilung 5 Zeichner aus Gründen der Kostenersparnis zu entlassen, dann besteht hinsichtlich der Vergleichbarkeit kein Problem, wenn alle Betroffenen technische Zeichner sind. Der Arbeitgeber muss nun zwingend prüfen, ob die 5 technischen Zeichner, die er behalten will, auch wirklich diejenigen sind, die am ehesten auf ihren Arbeitsplatz angewiesen sind. Behält er einen technischen Zeichner, der weniger schutzwürdig ist als ein zur Entlassung anstehender technischer Zeichner, dann kann sich der Arbeitnehmer spätestens mit der Kündigungsschutzklage auf diesen Auswahlfehler berufen und – wenn das Arbeitsgericht der gleichen Ansicht ist – seinen Prozess gegen die Kündigung allein aufgrund dieses Fehlers des Arbeitgebers gewinnen.

Hinweis: Wenn sich der gekündigte Arbeitnehmer in der Kündigungsschutzklage auf einen Auswahlfehler beruft, muss er nicht befürchten, dass er dadurch einem Kollegen den Arbeitsplatz wegnimmt. Wenn sich der gekündigte Arbeitnehmer in der Kündigungsschutzklage gegen den Arbeitgeber auf die mangelhafte Sozialauswahl beruft, geht es nur darum, den Arbeitsplatz des gekündigten Arbeitnehmers zu erhalten oder eine Abfindung zu erstreiten. Auf den Bestand des sozial weniger schutzbedürftigen Arbeitnehmers bleibt der Ausgang der Kündigungsschutzklage ohne Auswirkung!

Hinweis: Arbeitnehmer können auch mit Arbeitnehmern des Arbeitgebers vergleichbar sein, die eine andere Tätigkeit als sie bisher ausgeübt haben. Es genügt, wenn der gekündigte Arbeitnehmer nach Wegfall des bisherigen Arbeitsplatzes die Funktion eines anderen noch im Betrieb verbliebenen Arbeitnehmers übernehmen könnte. Hierbei reicht es vollkommen aus, wenn der gekündigte Arbeitnehmer aufgrund seiner bisherigen Aufgaben im Betrieb und angesichts seiner bisherigen beruflichen Qualifikation auch eine andersartige, aber gleichwertige Tätigkeit eines anderen Arbeitskollegen ausüben könnte. Die Vergleichbarkeit mit einem Arbeitnehmer, der eine andersartige, aber gleichwertige Tätigkeit ausübt, ist selbst dann gegeben, wenn eine kurze Einarbeitungszeit erforderlich wäre, um diese Tätigkeit ausüben zu können. Das muss der Arbeitgeber vor Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung geprüft haben, sonst ist die Kündigung unwirksam. Noch weitergehend ist zu beachten, dass die Sozialauswahl nicht nur abteilungsbezogen, sondern betriebsbezogen ist. In die soziale Auswahl müssen also alle Arbeitnehmer des gesamten Betriebes des Arbeitgebers einbezogen werden, die mit Ihnen vergleichbar sind.

Beispiel: Wären, um das vorerwähnte Beispiel fortzuschreiben, nicht nur in der Konstruktionsabteilung, sondern überhaupt im Betrieb noch weitere technische Zeichner als solche tätig, dann sind auch diese in die Überlegungen des Arbeitgebers zur zutreffenden Sozialauswahl mit einzubeziehen. Vergisst er dies und wäre eine einzubeziehende Person weniger schutzwürdig als der gekündigte Arbeitnehmer, hat der Arbeitnehmer allein aus diesem Grund Erfolg mit einer Kündigungsschutzklage.

Unter bestimmten Umständen muss die Sozialauswahl sogar betriebsübergreifend erfolgen. Das ist nämlich dann der Fall, wenn mehrere Unternehmen einen Gemeinschaftsbetrieb unterhalten. Ein gemeinsamer Betrieb kann beispielsweise dann gegeben sein, wenn von mehreren – manchmal sogar in einem Gebäude untergebrachten – Unternehmen im Rahmen einer gemeinsamen Arbeitsorganisation unter einer einheitlichen Leitungsmacht identische oder auch verschiedene arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt werden. In einem solchen Fall kann sich der Arbeitnehmer sich für die Sozialauswahl auch auf vergleichbare Arbeitnehmer der anderen Unternehmen berufen.

2. Schritt: berechtigte Herausnahme einzelner Arbeitnehmer aus dem Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer (Vorrang betrieblicher Interessen)

Es besteht die Möglichkeit, einzelne Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl herauszunehmen.

So kann der Arbeitgeber bei der Auswahl Arbeitnehmer herausnehmen, deren Weiterbeschäftigung „im berechtigten betrieblichen Interesse“ liegt (sog. Leistungsträgerklausel, § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG).

Zur Begründung eines solchen Interesses kann sich der Arbeitgeber jedoch nicht allein darauf berufen, dass der Arbeitnehmer im Vergleich zu einem anderen beispielsweise weniger krankheitsanfällig sei.

Ein berechtigtes betriebliches Interesse kann aber nach der neuen Formulierung des Gesetzes die „Erhaltung der Personalstruktur des Betriebes“ darstellen.

Falls die Arbeitsgerichte diese Vorschrift weit auslegen, entwertet dies die sozialen Besitzstände vieler (vor allem älterer) Arbeitnehmer, die sie durch ihr Lebensalter und ihre langjährige Betriebszugehörigkeit erworben haben.

Dann darf der Arbeitgeber neue jüngere Mitarbeiter behalten und älteren langjährigen kündigen.

Gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG muss der Arbeitgeber solche Arbeitnehmer nicht in die soziale Auswahl einbeziehen, deren Weiterbeschäftigung im berechtigten betrieblichen Interesse liegt, und zwar „insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes“. Das bedeutet, dass Ihr Arbeitgeber Mitarbeiter, die er aus betriebstechnischen, wirtschaftlichen oder sonstigen berechtigten betrieblichen Bedürfnissen unbedingt benötigt („Leistungsträger“), behalten darf. Er kann sie von der sozialen Auswahl ausnehmen.

Als betriebstechnische Bedürfnisse sind Umstände anzunehmen, welche die Aufrechterhaltung der technischen Arbeitsabläufe (z.B. im Produktionsbereich) betreffen. Wirtschaftliche Bedürfnisse betreffen die Verbesserung der Ertragslage eines Betriebes.

Tipp: Arbeitnehmer sollten darauf darauf, dass sie durch Fortbildungsmaßnahmen für den Arbeitgeber unverzichtbare Spezialkenntnisse erwerben. Dann kann der Arbeitgeber sie bei der Sozialauswahl auslassen; solche Arbeitnehmer sind besser vor einer betriebsbedingten Kündigung geschützt.

Der Arbeitgeber ist nicht berechtigt, einen anderen Arbeitnehmer nur aus dem Grunde nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen, weil dieser leistungsstärker ist. Leistungsunterschiede sind nur in seltenen Ausnahmefällen zu berücksichtigen, nämlich dann, wenn sie so erheblich sind, dass auf einen leistungsstärkeren Arbeitnehmer im Interesse eines geordneten Betriebsablaufs nicht verzichtet werden kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Betrieb sich in der Verlustzone befindet.

Hinweis: Der Arbeitgeber darf einen Arbeitnehmer nicht allein deshalb bei der Sozialauswahl als vorrangig „entlassungswürdig“ ansehen, weil er häufiger krank war. In diesem Fall kommt ein wirtschaftliches Bedürfnis für die Entlassung trotz günstiger Sozialdaten nämlich nur dann in Betracht, wenn die Voraussetzungen für eine krankheitsbedingte Kündigung vorliegen.

Tipp: Hat der Arbeitgeber die betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen und dabei zu Unrecht einen oder mehrere Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl herausgenommen, so ist der Arbeitgeber auf die Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers vor dem Arbeitsgericht gezwungen, die Gründe für die Aussonderung und damit das Behaltendürfen dieser Arbeitnehmer im Einzelnen darzulegen und, falls der gekündigte Arbeitnehmer begründete Einwände hat, auch zu beweisen. Schafft der Arbeitgeber das nicht, hat der gekündigte Arbeitnehmer die Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht gewonnen.

3. Schritt: richtige Auswahlentscheidung nach sozialen Gesichtspunkten

Wenn der Arbeitgeber alle die bisher erwähnten Hindernisse überwunden hat und der Kreis der zu entlassenden vergleichbaren Arbeitnehmer feststeht, muss er bei seiner Entscheidung, wen von mehreren Arbeitnehmern die Kündigung trifft, nach den im Kündigungsschutzgesetz geregelten sozialen Gesichtspunkten vorgehen. Es sind folgende unabdingbare Faktoren für jeden vergleichbaren Arbeitnehmer festzustellen:

  • die Dauer der Betriebszugehörigkeit,
  • das Lebensalter,
  • die Unterhaltspflichten
  • sowie die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers.

Zu den vom Arbeitgeber bei der Sozialauswahl zu berücksichtigenden Daten gehören weiter persönliche Umstände des zur Kündigung anstehenden Arbeitnehmers.

Zu seinen Gunsten können sich auf eine Berufskrankheit oder einen Arbeitsunfall zurückzuführende Erkrankungen, eine bestehende Schwangerschaft oder Schwerbehinderung oder auch schlechte Arbeitsmarktchancen auswirken.

Die Vermögenssituation des Arbeitnehmers ist bedeutungslos, sonst würde man den Sparsamen bestrafen. Ob und wie der Verdienst des Ehe- oder Lebenspartners in die soziale Auswahl einzubeziehen ist, hängt vom Einzelfall ab. Ist der Doppelverdienst nötig, um die Existenzgrundlage der Familie zu sichern, schlägt er bei der Sozialauswahl nicht negativ zu Buche. Eine Erkrankung von Angehörigen ist hingegen ohne Bedeutung, weil ein Bezug zum Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers fehlt. Auch die Möglichkeit, vorzeitig Ruhestandsleistungen in Anspruch zu nehmen, wirkt sich grundsätzlich nicht zu Lasten des Arbeitnehmers aus. Die Einberufung zum Wehr- oder Zivildienst darf im Rahmen der sozialen Auswahl nicht berücksichtigt werden.

Foto(s): kanzlei JURA.CC

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