Corona-Krise: Corona-Verordnung BW – Eilanträge beim VGH Baden-Württemberg ohne Erfolg

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Dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) in Mannheim liegen zwei Eilanträge nach § 47 Abs. 6 VwGO gegen die Corona-Verordnung der Landesregierung vor.

Fall 1 (Az. 1 S 871/20): Antrag als unzulässig verworfen – keine Entscheidung in der Sache!

Zum einen wendet sich ein Bürger mit seinem Antrag dagegen, dass durch § 3 Abs. 4 der Corona-Verordnung u. a. Veranstaltungen in Kirchen untersagt sind. Er sieht sich dadurch als Mitglied der evangelischen Landeskirche in Württemberg in seiner grundgesetzlich geschützten Religionsfreiheit verletzt.

Fall 2 (Az. 1 S 925/20): Eilantrag abgelehnt!

Zudem wendet sich ein Betreiber eines in Baden-Württemberg ansässigen Fitnessstudios gegen die Corona-Verordnung. Er macht geltend, die Ermächtigungsgrundlage in §§ 32, 28 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz sei keine ausreichende Rechtsgrundlage für die Betriebsstilllegung. Diese verletze ihn in seiner Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG.

1. Vorschau (siehe nunmehr die hinzugefügten Updates vom 07.04.2020 und 09.04.2020!)

Der VGH beabsichtigt, in der ersten Hälfte des Aprils über die beiden Anträge zu entscheiden. Sobald die beiden Entscheidungen vorliegen, wird dieser Rechtstipp aktualisiert (mittlerweile erfolgt).

2. Eigene Bewertung der beiden anstehenden Fallgestaltungen

Die auch bei § 47 Abs. 6 VwGO gebotene Folgenabwägung wird m. E. dazu führen müssen, dass beide Anträge abgelehnt werden. Siehe dazu bereits meine Rechtstipps zu den Themen:

  • Corona-Krise: Mindestabstandsgebot in Allgemeinverfügung der Stadt Hamburg: Eilantrag ohne Erfolg
  • Corona-Krise: Ausgangsbeschränkung in Corona-Verordnung in Bayern: Eilantrag ohne Erfolg
  • Corona-Krise: Betretungsverbot in Allgemeinverfügung der Stadt Freiburg: Eilantrag ohne Erfolg
  • Corona-Krise: Allgemeinverfügung zur Schließung von Einzelhandelsgeschäften: Eilanträge ohne Erfolg

a) zum 1. Fall

Update vom 07.04.2020: Der VGH Mannheim hat den Eilantrag mit unanfechtbarem Beschluss vom 7. April 2020 - 1 S 871/20 als unzulässig verworfen.

aa) Der Antragsteller war in dem Verfahren – wie jetzt bekannt wurde – schon nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten. Vor dem sog. „Oberwaltungsgericht“ (ein solches ist der „Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg“ in Mannheim, er führt nur eine andere Bezeichnung, §§ 184 VwGO, 1 Abs. 1 AGVwGO) besteht jedoch nach § 67 Abs. 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) Anwaltszwang: Wirksame Anträge können nur durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt gestellt werden. Fehlt es daran, wird der Antrag – wie geschehen – bereits auf der 1. Prüfungsstufe der sog. „Zulässigkeit“ als unzulässig verworfen, da auch über unzulässige Anträge entschieden werden muss.

bb) Die von vielen mit Spannung erwartete inhaltliche Prüfung der Corona-Verordnung auf der 2. Prüfungsstufe der sog. „Begründetheit“ hat der VGH Mannheim daher nicht mehr vorgenommen. Die bisherigen Ausführungen zu der „Unbegründetheit“ des Antrages in diesem Rechtstipp erfolgen daher – wie die Juristen sagen – „hilfsgutachterlich“. Ob weitere (zulässige) Anträge gestellt werden, muss abgewartet werden.

Der 1. Fall unterscheidet sich insoweit von bisherigen Fallgestaltungen in „Corona-Eilverfahren“, als sich der Antragsteller auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG (Religionsfreiheit) beruft. 

Wir ihm das zum Erfolg verhelfen? M. E. nicht.

„Schutzbereich“ oder: was ist von der Religionsfreiheit eigentlich geschützt?

Art. 4 Abs. 1 und 2 GG wird als einheitliches Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit aufgefasst. Die Religionsfreiheit umfasst sowohl die Freiheit, einen Glauben oder eine Weltanschauung zu haben, zu bilden, und zu äußern, aber auch entsprechend dieser Auffassung sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens/seiner Weltanschauung auszurichten und seiner inneren Überzeugung gemäß zu handeln. 

Davon umfasst ist auch der Besuch von öffentlichen Gottesdiensten, die im Moment durch § 3 Abs. 4 Corona-Verordnung grundsätzlich untersagt sind (dazu noch unten).

Sind gerechtfertigte Eingriffe in die Religionsfreiheit möglich?

Art. 4 Abs. 1, 2 GG sieht weder eine unmittelbare Einschränkungsmöglichkeit (sog. „verfassungsunmittelbare“ Schranke) noch eine Einschränkungsmöglichkeit durch Gesetz oder Verordnung („Gesetzesvorbehaltsschranke“) vor.

Das heißt aber natürlich nicht, dass die Religionsfreiheit „grenzenlos“ gewährleistet ist und Eingriffe überhaupt nicht möglich wären.

Grundrechte gewähren keinen „absoluten“ Schutz. Grundrechtseingriffe sind nicht schlechthin unzulässig, sondern nur rechtfertigungsbedürftig. Das relativiert den Grundrechtsschutz. Es entwertet ihn aber nicht, weil eine Rechtfertigung nur unter ganz bestimmten, verfassungsrechtlich vorgegebenen Bedingungen möglich ist und damit Ausnahmecharakter behält (Kielmansegg Graf, Die Grundrechtsprüfung, JuS 2008, 23, 25).

Eingriffe in die vorbehaltlos gewährte Religionsfreiheit - hier in Form von § 3 Abs. 4 der Corona-Verordnung Baden-Württemberg - können durch sog. „kollidierendes Verfassungsrecht“ gerechtfertigt werden. Darunter versteht man Grundrechte Dritter und andere Rechtsgüter von Verfassungsrang. 

Diese Voraussetzungen für eine solche Einschränkungsmöglichkeit liegen m. E. vor. Grundrechte Dritter und zugleich überragend wichtiges Gemeinschaftsgut von Verfassungsrang sind hier insbesondere der Schutz der Gesundheit der gesamten Bevölkerung (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und die korrespondiere staatliche Schutzpflicht, welchen den Vorzug vor der individuellen Religionsfreiheit des Antragstellers aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zu geben ist.

Ergebnis

Der Eingriff in die Religionsfreiheit des Antragstellers ist daher verfassungsrechtlich zulässig durch Grundrechte Dritter und das überragend wichtige Gemeinschaftsgut des Gesundheitsschutzes der gesamten Bevölkerung unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt. Die Religionsfreiheit kann daher m. E. dem Antragsteller nicht zum Erfolg verhelfen.

b) zum 2. Fall

Update vom 09.04.2020: Der VGH Mannheim hat den Eilantrag mit unanfechtbarem Beschluss vom 9. April 2020 - 1 S 925/20 abgelehnt.

Offen sei, ob § 32 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1, 2 IfSG im Hinblick auf den Vorbehalt des Gesetzes eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die landesweite Schließung bestimmter Arten von privat betriebenen Dienstleistungsbetrieben und Verkaufsstellen durch eine Rechtsverordnung sei. 

Dies Frage wird dem Hauptsacheverfahren vor dem VGH Baden-Württemberg in der Normenkontrolle gegen die Corona-Verordnung (§ 47 Abs. 1 - 5 VwGO) vorbehalten bleiben. Diese Frage konnte – was zu erwarten war – im hier vorliegenden Eilverfahren (§ 47 Abs. 6 VwGO) nicht abschließend geklärt werden.

Jedenfalls bemerkenswert ist, dass der VGH Mannheim zumindest deutliche Zweifel daran äußert, ob die Ermächtigungsgrundlage im IfSG verfassumgsgemäß ist bzw. als Grundlage für die Corona-Verordnung ausreicht (was aber m. E. eben nicht zu entsprechenden Erfolgsausichten des Eilantrags führen konnte, siehe dazu meine Anmerkungen unten, welche zeitlich vor der Entscheidung verfasst wurden).

Insbesondere die sehr gravierenden Auswirkungen bei den betroffenen Betrieben könnten nach Ansicht des VGH dafür sprechen, dass die Vorschriften der § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1, 2 IfSG wegen Verstoßes gegen den Parlamentsvorbehalt nicht verfassungsgemäß sei.

Von dieser offenen, im Hauptsacheverfahren zu klärenden Frage abgesehen, sei die durch die Corona-Verordnung angeordnete Schließung von Betrieben und Verkaufsstellen zumutbar. Zwar würden die davon Betroffenen gravierende wirtschaftliche Einbußen erleiden. Demgegenüber stünden jedoch die ebenfalls gravierenden Folgen für Leib und Leben einer Vielzahl vom Coronavirus Betroffener und die damit verbundene Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems Deutschlands. Daher seien die angeordneten Schließungen verhältnismäßig, zumal die Landesregierung die Notwendigkeit der Maßnahmen und deren Auswirkungen fortlaufend überprüfe.

Die wegen der offenen Erfolgsaussichten gebotenen Folgenabwägung ging deshalb zulasten des Antragstellers aus. Der Eilantrag war daher abzulehnen.

Auch dieser Antrag wird – umso mehr – erfolglos bleiben.

Mit den Angriffen auf die Ermächtigungsgrundlage in Form von §§ 28, 32 IfSG wird der Antragsteller m. E. keinen Erfolg haben.

Das gleiche gilt für die geltend gemachte Einschränkung der Berufsfreiheit, die m. E. nicht durchgreifen wird. Bei einem Fitnessstudio kann wertungsmäßig nichts anderes gelten, als bei einem Einzelhandelsgeschäft, das regelmäßig ebenfalls geschlossen bleiben muss.

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