Corona-Krise: Mindestabstandsgebot in Allgemeinverfügung der Stadt Hamburg: Eilantrag ohne Erfolg

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Von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht Christian Thome, Diplom-Verwaltungswirt (FH).

Es liegt eine weitere „Corona-Eilentscheidung“ vor.

1. Fall

Der Antrag richtete sich gegen das Mindestabstandsgebot in Ziff. 2 der Allgemeinverfügung der Stadt Hamburg vom 22. März 2020 . Bei dem Antragsteller handelte es sich um einen Rechtsreferendar, der im April 2020 seine Examensprüfung in Hamburg ablegt. Das Verwaltungsgericht Hamburg hat den Eilantrag abgelehnt (VG Hamburg, Beschluss vom 01.04.2020 – 21 E 1509/20)

2. Lösung

a) Das VG Hamburg hatte bereits Zweifel an der Zulässigkeit des Antrags. 

Dem Antragsteller ging es nach dem Inhalt seiner Antragsbegründung offenbar nicht um eine mögliche Verletzung eigener Rechte durch das Abstandsgebot. Es ging ihm wohl darum, als Sachwalter von Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechten in „sozialpolitisch schwierigen Zeiten“ aufzutreten.

Hierzu ist anzumerken, dass es regelmäßig nicht Aufgabe eines vorläufigen Rechtschutzverfahrens ist, Dritten als „Hüter der Rechtstaatlichkeit“ eine „abstrakte“ Überprüfungsmöglichkeit von staatlichen Akten an die Hand zu geben. Erforderlich ist vielmehr, eine Verletzung in eigenen Rechten geltend zu machen.

Das VG Hamburg lies diese Frage des allgemeinen Rechtschutzbedürfnisses (die Einordnung in der Klagebefugnis wäre M.E ebenso vertretbar gewesen) dann aber offen und lehnte den Antrag als „jedenfalls in der Sache erfolglos“ ab.

b) Es ist hier gerade für den „rechtlichen Laien“ noch einmal zu betonen, nach welchem rechtlichen Maßstab solche „Eilanträge“ in der Sache eigentlich entschieden werden. „Eilanträge“ sind zu unterscheiden von der sog. „Hauptsache“, also dem (in der Regel, nicht immer) parallel laufenden Klageverfahren in der „Hauptsache“.

Bei einem Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nimmt das Gericht eine eigene Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Aussetzungsinteressen der Beteiligten vor. Dem Charakter des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO entsprechend kann das Gericht seine vorläufige Entscheidung im Regelfall nur auf der Grundlage einer summarischen (untechnisch: „überschlägigen“) Prüfung der Sach- und Rechtslage als wesentliches Element der Interessensabwägung für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angeordneten Sofortvollzugs treffen. 

Kann keine Abschätzung über die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels in der Hauptsache getroffen werden („offene Erfolgsaussichten“), sind allein die einander gegenüberstehenden Interessen zu gewichten.

Dieser spezifische rechtliche Maßstab und insbesondere die anzustellende Folgenabwägung führt dann bei den „Corona-Eilanträgen“ derzeit – so auch in diesem Fall – in aller Regel dazu, dass die Antragsteller die Verfahren verlieren. Hier verweise ich auf meine sonstigen Rechtstipps zu diesen Fällen, in denen ich die anzustellenden Erwägungen bereits ausführlich erläutert habe. 

c) Zu den Erwägungen des VG Hamburg im Einzelnen:

aa) Das Bestehen einer wirksamen Rechtsgrundlage (§ 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG) wurde in dieser Entscheidung noch nicht einmal mehr problematisiert, sondern in einem Absatz bejaht.

bb) Das Gericht warf die Frage auf, ob es zulässig ist, ein Mindestabstandsgebot durch eine sog. „Allgemeinverfügung“ (vgl. § 35 Satz 2 VwVfG) zu erlassen. Im Ergebnis tendiert das VG Hamburg wohl dazu, die Frage zu bejahen, sie wurde aber letztlich offengelassen. 

cc) Weder in Zusammenhang mit der Bestimmtheit, noch mit der Verhältnismäßigkeit des Mindestanstandsgebots hatte das VG Hamburg Probleme.

dd) Zu der sodann wegen der offenen Erfolgsaussichten gebotenen Folgenabwägung führte das Verwaltungsgericht m. E. zu Recht aus: 

Im Rahmen der weiteren Interessenabwägung im Sinne einer Folgenabwägung stehen dem Schutz der Gesundheit der gesamten Bevölkerung als überragend wichtigem Gemeinschaftsgut keine vorrangigen Interessen des Antragstellers gegenüber. 

Vielmehr hat der Antragsteller die Einschränkungen durch das Mindestabstandsgebot, die an Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG zu messen sind, bis zum Ende des Gültigkeitszeitraums der angegriffenen Allgemeinverfügung mit Ablauf des 5. April 2020 hinzunehmen

3. Eigene Bewertung und Folgen für die Praxis

a) Die zustimmungswürdige Entscheidung des VG Hamburg und die Herleitung der Begründung im Einzelnen entspricht dem, was ich bereits an anderer Stelle als richtig erachtet hatte (vgl. Rechtstipp „Corona-Krise: Allgemeinverfügung zur Schließung von Einzelhandelsgeschäften: Eilanträge ohne Erfolg“). 

b) Ich wage daher die Prognose, dass die in nächster Zeit zu erwartenden, weiteren Eilentscheidungen nicht anders ausfallen werden. Zumal leider nicht zu erwarten ist, dass sich die Situation in einigen Wochen deutlich anders darstellen wird.

c) Neue Entscheidungen zu dem Thema sind m. E. dennoch wichtig und sorgen für eine zunehme gerichtliche Klärung und rechtliche Durchdringung der Einzelfragen sowie der Herausbildung einer „herrschenden Meinung“. 

Der überzeugende – und im Übrigen gedanklich sehr klare und vor allem stringent gegliederte – Beschluss des VG Hamburg vom 01.04.2020 liefert dazu einen wichtigen Beitrag. Er sorgt für ein Stück mehr Rechtssicherheit in der Praxis, wenn auch mit negativem Ergebnis für den Antragsteller.

d) Noch eine Anmerkung am Rande für die praktisch tätigen Juristen und Anwälte: Trotz des Charakters als vorläufiges Rechtschutzverfahren reduzierte das Verwaltungsgericht den Streitwert nicht, weil die Hauptsache faktisch vorweggenommen wurde (vgl. dazu: Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit). Die Folgen dürfen als bekannt vorausgesetzt werden.

4. Ergänzender Praxistipp

Ordnungswidrigkeitentatbestände beachten!

Auf die Ordnungswidrigkeitenatbestände bezüglich der Verletzung entsprechender Abstandsgebote wird an dieser Stelle ausdrücklich hingewiesen. 

Her können im Einzelfall empfindliche Geldbußen drohen. 

a) Etwa ist nach § 3 Abs. 1 CoronaVO Baden-Württemberg vom 17. März 2020 in der Fassung vom 28. März 2020 der Aufenthalt im öffentlichen Raum nur alleine, mit einer weiteren nicht im Haushalt lebenden Person oder im Kreis der Angehörigen des eigenen Haushalts gestattet. Zu anderen Personen ist im öffentlichen Raum, wo immer möglich, ein Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten. 

Das bedeutet praktisch: Zusammenkünfte sind verboten! 

  • Draußen darf man sich nur noch alleine oder höchstens zu zweit aufhalten.
  • Mehr als zwei Personen dürfen draußen nicht zusammen sein.
  • Angehörige eines Haushalts dürfen zusammen nach draußen gehen, auch wenn es mehr als zwei Personen sind.
  • Wenn man anderen Menschen begegnet, muss ein Abstand von mindestens 1,5 Meter eingehalten werden
  • Auch in Kirchen darf man nicht zusammenkommen. Auch Gottesdienste dürfen nicht stattfinden.
  • Aber Beerdigungen, Taufen und Trauungen dürfen unter bestimmten Bedingungen besucht werden. 

b) Der Bußgeldrahmen bei Verstößen gegen das Abstandsgebot beträgt 100,00 bis 1.000,00 EUR geahndet. Adressat ist jeder Beteiligte. Als Verstoß gilt der Aufenthalt im öffentlichen Raum mit mehr als der zugelassenen Personenzahl (vgl. Bußgeldkatalog für Ordnungswidrigkeiten nach dem Infektionsschutzgesetz im Zusammenhang mit der Corona-Verordnung zu § 3 Ab. 1 CoronaVO BW).

Kontakt

Wenn Sie zu diesem Themenkomplex oder sonstigen öffentlich-rechtlichen Themen weitere Fragen haben, können Sie sich gerne über das Kontaktformular oder unter den bei anwalt.de angegebenen Kontaktdaten an mich wenden. Ich freue mich auf Ihre Anfrage.



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