Coronavirus und Quarantäne – rechtliche Grundlagen und möglicher Ablauf in der Praxis (mit Update)

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Dargestellt am Beispiel der Rechtslage in Baden-Württemberg.

Vorbemerkung: Die Ursprungsversion dieses Rechtstipps stammt vom 09.03.2020. Ergänzungen werden an den entsprechenden Stellen mit der Anmerkung „Update vom [...]“ kenntlich gemacht. An der hier vertreten Auffassung wird festgehalten.

I. Ausgangslage

Geregelt ist die Quarantäne in § 30 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG). Gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG kann bei sonstigen Kranken sowie Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen und Ausscheidern von der zuständigen Behörde angeordnet werden, dass sie in einem geeigneten Krankenhaus oder in sonst geeigneter Weise abgesondert werden, bei Ausscheidern jedoch nur, wenn sie andere Schutzmaßnahmen nicht befolgen, befolgen können oder befolgen würden und dadurch ihre Umgebung gefährden.

Gemäß § 30 Abs. 2 Satz 3 IfSG kann das Grundrecht der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz – GG) insoweit eingeschränkt werden.

Zuständige Behörden sind in Baden-Württemberg grundsätzlich die Gemeinden als Ortspolizeibehörden, konkret ist der Bürgermeister zuständig (§ 1 Abs. 6 Satz 1 der Verordnung des Sozialministeriums über Zuständigkeiten nach dem Infektionsschutzgesetz – IfSGZustV BW 2007 i. V. § 62 Abs. 4 Sätze 1, 2 Polizeigesetz Baden-Württemberg – PolG BW, § 44 Abs. 3 S. 1 Gemeindeordnung für Baden-Württemberg – GemO BW).

II. Wie könnte der praktische Ablauf aussehen?

Bei dem hier dargestellten Problemfeld handelt es sich naturgemäß in jeder Hinsicht um absolutes Neuland. Vergleichbare Darstellungen speziell für das Coronavirus wurden bisher – soweit ersichtlich – bundesweit noch nicht vorgelegt. 

Zuständig für den Erlass einer entsprechenden Verwaltungsvorschrift wäre in Baden-Württemberg das Ministerium für Soziales und Integration (vgl. etwa die sehr instruktive Verwaltungsvorschrift des Sozialministeriums BW über die Absonderung von Tuberkulosekranken in der Fassung vom 03.12.2018, Az. 52-5422-2.3.2).

1. Belehrung der krankheitsverdächtigen bzw. erkrankten Person

Die krankheitsverdächtige bzw. erkrankte Person ist zunächst durch die untere Gesundheitsbehörde (im Folgenden: Gesundheitsamt) belehren. 

In Baden-Württemberg sind die 35 Gesundheitsämter in die Landratsämter der Landkreise und weitere drei als städtische Gesundheitsämter in die Bürgermeisterämter der Stadtkreise Stuttgart, Heilbronn und Mannheim eingegliedert (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 3 Gesundheitsdienstgesetz – ÖGDG BW).

Update vom 10.04.2020

Aufgrund der zwischenzeitlichen Entwicklung der Corona-Krise zur globalen Pandemie hat sich das Institut der „häuslichen Qarantäne“ zwischenzeitlich zum Massenphänomen entwickelt, was sich selbstverständlich auf die praktische Handhabe der hier dargestellten Zusammenhänge auswirken muss. Auf die damit zusammenhängenden Folgeprobleme (z.B. die mögliche Ortung von Handydaten zur Kontrolle usw.) kann ich hier nur hinweisen.

2. Behördliche Anordnung der Absonderung

Hat eine Belehrung keinen Erfolg, kann die Absonderung nach § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG angeordnet werden, wenn dies aus seuchenhygienischen Gründen erforderlich ist. Die Absonderung erfolgt in einem Krankenhaus oder auf eine andere geeignete Weise.

Die Anordnung der Absonderung trifft die Gemeinde auf Vorschlag des Gesundheitsamtes (vgl. § 1 Abs. 6 Satz 1 IfSGZustV BW 2007). Bei Gefahr im Verzug kann das Gesundheitsamt die Absonderung selbst anordnen. Gefahr im Verzug ist gegeben, wenn sofort eingegriffen werden muss, weil ein Abwarten bis zu einer Anordnung der zuständigen Gemeinde den Erfolg der notwendigen Maßnahmen gefährden oder vereiteln würde, zum Beispiel, wenn an Wochenenden die Gemeinde nicht erreichbar ist. Die Gemeinde ist von einer Anordnung des Gesundheitsamtes unverzüglich zu benachrichtigen; sie kann die Anordnung ändern oder aufheben (§ 16 Abs. 7 IfSG).

3. Zwangsweise Durchsetzung der Absonderung

Kommt die krankheitsverdächtige bzw. erkrankte Person der Anordnung einer Absonderung nicht nach oder ist nach ihrem bisherigen Verhalten anzunehmen, dass sie einer solchen Anordnung nicht ausreichend Folge leisten wird, ist sie zwangsweise durch Unterbringung in einem abgeschlossenen Teil eines Krankenhauses abzusondern (§ 30 Abs. 2 IfSG). Hierfür ist eine gerichtliche Entscheidung erforderlich.

Update vom 10.04.2020

Das unten dargestellte Vorgehen wird nunmehr im Bundesland Sachsen praktisch relevant.

Quarantäne-Verweigerer können in Sachsen in Zukunft „weggesperrt“ werden. Das hat das Sozialministerium des Freistaates Sachsen auf Anfrage von MDR Aktuell mitgeteilt. Demnach hat die Landesregierung in vier psychiatrischen Krankenhäusern insgesamt 22 Zimmer freigeräumt, und zwar in den Kliniken Altscherbitz, Arnsdorf, Großschweidnitz und Rodewisch. Dort sollen Menschen eingeschlossen werden, die sich einer Quarantäneanordnung widersetzen. Die Überwachung soll die Polizei übernehmen (https://www.mdr.de/nachrichten/panorama/corona-quarantaene-verweigerer-strafen-einsperren-100.html, abgerufen am 10.04.2020).

3.1 Gerichtliche Entscheidung

Für eine Entscheidung über die zwangsweise Absonderung (sog. „Freiheitsentziehungssache“) ist das Amtsgericht zuständig (§ 30 Abs. 2 Satz 4 IfSG i. V. m. § 415 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit – FamFG sowie § 23a Abs. 2 Nr. 6 des Gerichtsverfassungsgesetzes – GVG). 

Örtlich zuständig ist gemäß § 416 FamFG das Gericht, in dessen Bezirk die Person, die zwangsweise abgesondert werden soll, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, sonst das Gericht, in dessen Bezirk das Bedürfnis für die Freiheitsentziehung entsteht. Befindet sich die krankheitsverdächtige bzw. erkrankte Person bereits in einer abgeschlossenen Einrichtung, ist das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk diese Einrichtung liegt.

Die Entscheidung über die zwangsweise Absonderung und damit eine Freiheitsentziehung (vgl. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) darf das Gericht nur auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde anordnen (§ 417 Abs. 1 FamFG). Dies ist die Gemeinde oder bei Gefahr im Verzug das Gesundheitsamt. Der Antrag an das Gericht ist nach Maßgabe des § 417 Abs. 2 FamFG zu begründen. Im Antrag ist die Art der Anstalt zu bezeichnen, zum Beispiel „Absonderungseinrichtung für Coronavirus-Erkrankte“.

3.2 Einrichtungen für die Absonderung

Die zwangsweise Unterbringung von Krankheitsverdächtigen bzw. am Coronavirus-Erkrankten aus Baden-Württemberg dürfte in gesonderten, noch zu bestimmenden Einrichtungen erfolgen, die nicht zwingend in Baden-Württemberg liegen müssen. Die zuständige Gemeinde oder das Gesundheitsamt klären unmittelbar mit diesen Einrichtungen die näheren Einzelheiten der Unterbringung. Die Kosten für die zwangsweise Absonderung in den oben genannten Einrichtungen wird das Land Baden-Württemberg zu tragen haben.

4. Ingewahrsamnahme bis zur Entscheidung des Gerichts

Besteht die akute Gefahr, dass sich die krankheitsverdächtige bzw. erkrankte Person vor der Entscheidung des Gerichts entfernt und andere Menschen ansteckt, ist sie nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 PolG BW in polizeilichen Gewahrsam zu nehmen. 

Die Ingewahrsamnahme wird von der Gemeinde, genauer: dem Bürgermeister (§§ 60 Abs. 1, 66 Abs. 2, 62 Abs. 4 Sätze 1, 2 PolG BW, 44 Abs. 3 Satz 1 GemO BW) oder vom Polizeivollzugsdienst (§ 60 Abs. 2-5 PolG BW) angeordnet bzw. vollzogen. 

Die krankheitsverdächtige bzw. erkrankte Person darf ohne richterliche Entscheidung nicht länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in Gewahrsam gehalten werden (§ 28 Abs. 3 Satz 2 PolG BW). Sie darf nicht zusammen mit anderen Personen in einem Raum untergebracht werden. Der Raum ist nach der Entfernung der krankheitsverdächtigen bzw. erkrankten Person unverzüglich im Benehmen mit dem Gesundheitsamt zu desinfizieren. Soweit Räume von Polizeidienststellen betroffen sind, soll auch der örtlich zuständige polizeiärztliche Dienst beteiligt werden.

5. Transport der krankheitsverdächtigen bzw. erkrankten Person

Der Transport der krankheitsverdächtigen bzw. erkrankten Person zur Absonderungseinrichtung ist grundsätzlich mit Fahrzeugen der Sanitätsorganisationen durchzuführen. 

Eine Begleitung des Transports durch Polizeibeamte entweder im Sanitätsfahrzeug oder in einem besonderen Fahrzeug ist vorzunehmen, wenn nach den Umständen des Einzelfalls zu befürchten ist, dass die Anwendung unmittelbaren Zwangs (vgl. § 49 Abs. 2, 50 ff. PolG BW) erforderlich wird.

Polizeibeamte, die mit der krankheitsverdächtigen bzw. erkrankten Person in Berührung gekommen sind, haben sich innerhalb von 14 Tagen beim Gesundheitsamt vorzustellen. Diese hat unter Berücksichtigung der Intensität des Kontaktes mit der krankheitsverdächtigen bzw. erkrankten Person zu entscheiden, ob Maßnahmen erforderlich sind. 

Hierzu soll eine Beteiligung des polizeiärztlichen Dienstes erfolgen. Kontakte von Polizeibeamten mit Krankheitsverdächtigen bzw. Coronavirus-Erkrankten sind bei den örtlich zuständigen polizeiärztlichen Diensten zu melden und werden dort aktenkundig gemacht.

6. Fahndung nach der krankheitsverdächtigen bzw. erkrankten Person

Personen, die krankheitsverdächtig bzw. am Coronavirus erkrankt sind und sich der gerichtlich angeordneten Absonderung entziehen, können zur Fahndung ausgeschrieben werden. Ausschreibungs- und Änderungsanträge (KP 21) sind bei der örtlich zuständigen Polizeidienststelle mit Datenstation zu stellen.


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