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Prostituierte springt aus 2. Stock – Arbeitsunfall?

  • 3 Minuten Lesezeit
Gabriele Weintz anwalt.de-Redaktion

Im Bereich der Prostitution und Zuhälterei gibt es – wie in vielen anderen Geschäftszweigen auch – schwarze Schafe. In den meisten Fällen ist die Prostituierte die Leidtragende. Im vorliegenden aktuellen Fall des Sozialgerichts (SG) Hamburg sprang eine Prostituierte aus Angst vor ihrem Zuhälter aus dem zweiten Stock eines Hauses und verletzte sich schwer. Ob es sich dabei um einen Arbeitsunfall handelt, mussten schließlich die Richter entscheiden.

Legale Arbeit angeboten

Eine Frau kam am 10.10.2012 nach Deutschland. In ihrem Heimatland hatte sie ein Studium zur Bahn- und Verkehrsingenieurin absolviert und nebenbei bereits Geld als Prostituierte verdient. Aus diesem Grund suchte sie im Internet nach Stellenanzeigen aus diesem Metier und bewarb sich schließlich auf eine Stelle nach Hamburg, die eine legale Arbeit als Prostituierte versprach. Sie reiste mit einem Touristenvisum nach Deutschland ein und wurde direkt von einem Mann namens T in Empfang genommen. Dieser erklärte ihr, dass sie 50 % des Lohnes behalten darf und er sich um eine Wohnung, Essen, Arbeitskleidung, Flugtickets, Papiere und Werbung kümmern wird. 

Anderes echtes Leben

Es wurde mit der Frau vereinbart, dass sie für ihre Sexarbeit täglich 24 Stunden zur Verfügung stehen sollte. Anfangs arbeitete sie in einem Club und erhielt schon dort nur unregelmäßig Geld. Später empfing sie ihre Freier nur noch in ihrer sog. Modellwohnung und erhielt kaum noch Geld. Zudem musste sie T immer öfter kostenlos und gegen ihren Willen bedienen. Am 29.10. oder 30.10. erklärte T ihr, dass er endlich ihre Papiere abholen will und in drei bis fünf Tagen wieder da ist – dann schloss er sie in der Wohnung ein und verschwand.

Aus Verzweiflung gesprungen

Nachdem sie im Internet den Erfahrungsbericht einer anderen Frau gefunden hatte, der dasselbe wie ihr passiert war, erkannte sie, dass sie bis zum Hals in Problemen steckte. Da sie weder die deutsche Notrufnummer kannte noch ihre Nachbarn um Hilfe bitten wollte, knotete sie aus dem Bettlaken ein Seil, um sich vom Balkon abseilen zu können. Nachdem sie bereits zwei Tage in der Wohnung eingesperrt war, konnte sie nicht mehr klar denken, wollte einfach zurück in ihre Heimat und sprang am 01.11.2012 schließlich vom Balkon im zweiten Stock. Sie zog sich bei diesem Sprung schwere Verletzungen und mehrere Brüche im linken Fuß und Bein sowie im Rücken zu.

Sprung als Arbeitsunfall

Diesen Unfall wollte die Frau, die inzwischen wieder in ihrem Heimatland war, von der zuständigen Verwaltungs-Berufsgenossenschaft als Arbeitsunfall anerkannt bekommen – allerdings wurde dieser Antrag abgelehnt.
Nachdem kein konkreter Arbeitsvertrag vorlag und daher keine Eingliederung in den Betrieb nachgewiesen werden konnte, bestand kein Beschäftigungsverhältnis. Da die Frau weder regelmäßigen Lohn erhalten hatte noch bei einer Krankenkasse angemeldet war, galt sie als „selbstständige Unternehmerin“ und hatte folglich keinen Anspruch aus der Unfallversicherung.

Klage erfolgreich

Die Frau zog schließlich vor Gericht und hatte Erfolg – die Richter des SG Hamburg urteilten, dass sie sehr wohl einen Arbeitsunfall erlitten hat.

Damit ein Unfall ein Arbeitsunfall ist, müsste die Frau einer Beschäftigung nachgegangen sein. Dies ist der Fall, denn sie ist als Prostituierte tätig geworden. Es kommt für den Versicherungsschutz auch nicht auf einen arbeitsrechtlich wirksamen Arbeitsvertrag an, sondern darauf, ob die Tätigkeit aufgenommen worden ist und der Unternehmer die Verfügungsgewalt über die Arbeitskraft des Beschäftigten erhalten hat.
Nachdem die Frau in die fremde Arbeitsorganisation eingegliedert worden war und bezüglich Zeit, Dauer und Art der Ausführung ihrer Arbeit den Weisungen des Arbeitgebers unterworfen war, lag bei ihr gerade keine selbstständige Tätigkeit vor. Weiterhin besteht die Annahme, dass die Frau abhängig beschäftigt war darin, dass sie sich im Internet beworben hatte und die Höhe des Lohnes mündlich vereinbart worden war. Darüber hinaus wurden ihr die Arbeitsmittel, insbesondere Arbeitskleidung, Sexspielzeug und Kondome, vom Arbeitgeber gestellt, ebenso erhielt sie die Anweisung, stets auf ihrem Arbeitshandy erreichbar zu sein.
Dadurch, dass die Frau bereits gepackt hatte und ernsthaft vorhatte in ihr Heimatland zurückzukehren, nahmen die Richter an, dass es sich bei dem Sprung sowohl um eine Handlung im Ausnahmezustand als auch um einen versicherten Unfall auf dem Weg von der Arbeit zu ihrer Familienwohnung im Ausland gehandelt hat. 

Aus diesem Grund wurde die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft dazu verurteilt, den Unfall der Frau als Arbeitsunfall anzuerkennen.

(SG Hamburg, Urteil v. 02.06.2016, Az.: S 36 U 118/14)

(WEI)

Foto(s): @iStockphoto.com

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