Zwischenentscheidung nicht durch Verfassungsbeschwerde anfechtbar (BVerfG, Az.: 1 BvR 1784/19)

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Mit Beschluss vom 12.08.2019 hat das Bundesverfassungsgericht unter dem Aktenzeichen 1 BvR 1784/19 eine durchaus interessante Entscheidung getroffen: Demnach können prozessuale Zwischenentscheidungen nicht durch die Verfassungsbeschwerde angefochten werden.

Die genauen Gründe dieser Entscheidung und ihre Auswirkungen auf andere Fälle möchte ich Ihnen in diesem Artikel darlegen.

Das Ausgangsverfahren spielte sich hier im Familienrecht ab. Der – wie anzunehmen ist – Kindsvater wollte, dass seine Kinder zukünftig bei ihm leben sollten. Dies wollte er gerichtlich durchsetzen.

„Der Beschwerdeführer wendet sich gegen eine im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens zur elterlichen Sorge ergangene Verfügung des Oberlandesgerichts. Darin kündigte es unter Gewährung einer Stellungnahmefrist an, eine Nachbegutachtung zu einer möglichen Kindeswohlgefährdung bei Rückkehr der Kinder in den Haushalt des Beschwerdeführers zu beauftragen.“

Das Oberlandesgericht machte seine Entscheidung also davon abhängig, ob es für die Kinder negativ wäre, wenn sie künftig beim Vater leben würden. Weil es das nicht selbst beurteilen konnte, sollte dazu eine Begutachtung durch einen Sachverständigen stattfinden. Dies wurde den Beteiligten schriftlich mitgeteilt und um deren Stellungnahme gebeten.

Gegen dieses Vorgehen des OLG wandte sich der Vater mit der Verfassungsbeschwerde. Zudem wollte er eine Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Angelegenheit, eine sogenannte einstweilige Anordnung.

„Eine Verfassungsbeschwerde gegen die Verfügung des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 11. Juli 2019 ist unzulässig. Bei der darin enthaltenen Ankündigung, eine Nachbegutachtung zur Klärung einer Kindeswohlgefährdung zu beauftragen, handelt es sich lediglich um eine Zwischenentscheidung.“

Damit meint das Bundesverfassungsgericht, dass sich die Verfassungsbeschwerde nicht gegen das endgültige Urteil („Beschluss“) richtet, das wahrscheinlich bis heute nicht ergangen ist.

Angefochten wurde vielmehr eine vorherige Entscheidung des Gerichts, wie es zu dieser endgültigen Entscheidung kommen will – also der Beschluss, ein Gutachten einzuholen. Dies hat das Bundesverfassungsgericht hier als „Zwischenentscheidung“ charakterisiert.

„Eine Verfassungsbeschwerde gegen Zwischenentscheidungen ist wegen des in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG angelegten Grundsatzes der Subsidiarität grundsätzlich ausgeschlossen, weil Verfassungsverstöße mit der Anfechtung der Endentscheidung gerügt werden können.“

Die Natur der Zwischenentscheidung wird relevant, weil das eben einen Unterschied dahingehend macht, ob die Entscheidung mit der Verfassungsbeschwerde anfechtbar ist.

Ganz zentral für die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde ist deren Subsidiarität. Die Verfassungsbeschwerde ist demnach – wörtlich genommen – anderen Rechtsbehelfen untergeordnet. Nur, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt, zu seinem Recht zu kommen, kommt eine Verfassungsbeschwerde in Betracht.

Das bedeutet zum einen, dass der (fachbezogene) Rechtsweg beschritten sein muss. Es darf aber auch sonst keine Abhilfemöglichkeit geben.

Diese Abhilfemöglichkeit wäre hier, so das Bundesverfassungsgericht, gewesen, zunächst die endgültige Entscheidung abzuwarten und gegen diese (wenn sie negativ ausfällt) Verfassungsbeschwerde einzulegen. Dann kann auch geltend gemacht werden, dass das Urteil auf einer verfassungswidrigen Handlung des Gerichts, nämlich der Einholung des für unrechtmäßig gehaltenen Gutachtens beruht.

„Der Grund für den Ausschluss fehlt allerdings, wenn bereits die Zwischenentscheidung zu einem bleibenden rechtlichen Nachteil für den Betroffenen führt, der später nicht oder jedenfalls nicht vollständig behoben werden kann.“

Nun wirft das Gericht die Möglichkeit einer Ausnahme vom gerade Gesagten auf: Wenn das Abwarten der Endentscheidung einen dauerhaften Schaden erzeugen würde, ist es nicht zumutbar, sich so lange zu gedulden. Dann könnte also auch die Zwischenentscheidung angefochten werden.

„Die Voraussetzungen dieser Ausnahme legt der Beschwerdeführer nicht dar. Sie sind auch nicht ersichtlich.“

Das BVerfG kann aber nicht erkennen, dass diese Ausnahme hier vorliegt. Und das erläutert das Gericht sogleich:

„Allein der Umstand, dass die Einholung des neuen Gutachtens zu einer späteren Entscheidung über die Beschwerde im fachgerichtlichen Hauptsacheverfahren führen kann, begründet regelmäßig keinen bleibenden rechtlichen Nachteil, der den Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde überwinden kann.“

Die Tatsache, dass sich durch das Gutachten die Entscheidung verzögert, ist kein solcher Nachteil. Jedenfalls ist dieser normalerweise nicht so schwer, dass der wichtige Grundsatz der Subsidiarität einfach über Bord geworfen werden kann.

Dahinter steht freilich auch die Erwägung des Bundesverfassungsgerichts, dass es in Zukunft nicht über jeden kleinen Beschluss irgendeines Gerichts sofort entscheiden will.

„Das gilt erst recht angesichts der Möglichkeit, vor den Fachgerichten einstweiligen Rechtsschutz zu erlangen.“

Einstweiligen Rechtsschutz gibt es – als Gebot des effektiven Rechtsschutzes – praktisch in allen Prozessordnungen (auch im Familienprozessrecht, siehe § 49 FamFG). Dadurch kann ein Beteiligter eine vorläufige Entscheidung erhalten, um seine Rechte bis zur endgültigen Entscheidung der Hauptsache zu wahren.

Diese Möglichkeit hätte der Verfassungsbeschwerdeführer hier auch zunächst ergreifen müssen, bevor er den einstweiligen Rechtsschutz durch das Bundesverfassungsgericht (in Form der einstweiligen Anordnung) erhalten will. Hieran sieht man noch einmal die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde – solange noch ein anderes Gericht handeln kann, ist das BVerfG nicht zuständig.

„Die Begründung der Verfassungsbeschwerde genügt im Übrigen nicht den Anforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG. Insbesondere fehlt es an Vortrag dazu, ob und, falls ja, in welcher Weise der Beschwerdeführer von der in der angegriffenen Verfügung eingeräumten Stellungnahmemöglichkeit Gebrauch gemacht hat.“

Das Bundesverfassungsgericht verlangt, teilweise gestützt auf das Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG), eine detaillierte Darlegung des Sachverhalts. Vor allem muss der Beschwerdeführer vermitteln, was er bislang unternommen hat und warum das BVerfG nun am Zug ist. Dies ist hier offensichtlich nicht geschehen.

Beachten muss man dabei, dass das BVerfG in solchen Fällen nicht etwa den Beschwerdeführer darauf hinweist und ihn bittet, die entsprechenden Informationen nachzureichen. Wer die Anforderungen nicht erfüllt, hat schlicht und einfach „Pech gehabt“. Dann ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig oder jedenfalls unbegründet.

„Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfGG).“

Dabei handelt es sich um eine beliebte Lösung des Bundesverfassungsgerichts: Der Beschwerdeführer hat hier eine Verfassungsbeschwerde erhoben und wollte vorher eine einstweilige Anordnung per Eilantrag erhalten. Das sind also zwei Verfahren.

Nun müsste das BVerfG zunächst über den Eilantrag entscheiden und sich danach irgendwann der Verfassungsbeschwerde widmen. Damit prüft das BVerfG die Rechtslage aber zweimal und muss im Rahmen des Eilantrags zusätzlich noch entscheiden, ob besondere Eilbedürftigkeit vorliegt.

Stattdessen wird einfach die Verfassungsbeschwerde beschleunigt behandelt und gleich entschieden. Wenn diese ohne Weiteres abgelehnt werden kann (wie in diesem Fall), dann braucht es auch keine Eilentscheidung mehr und der gesamte Fall ist erledigt.

„Von einer Begründung im Übrigen wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.“

In dieser Vorschrift des Bundesverfassungsgerichts steht, dass die Nichtannahme überhaupt keiner Begründung bedarf. Jede teilweise Begründung, die dennoch erfolgt (wie hier), ist schon eine „freiwillige Leistung“.

Dabei wird eine Begründung in der Regel nicht deswegen abgegeben, um dem Verfassungsbeschwerdeführer zu erklären, warum er keinen Erfolg hatte. Vielmehr will das Gericht meist allgemeine Aussagen treffen, hier zur Nichtanfechtbarkeit von Zwischenentscheidungen und zu den hiervon bestehenden Ausnahmen.

Hat der Verfassungsbeschwerdeführer hier nun einen Fehler begangen, weil er diese Entscheidung angefochten hat?

Nein, das kann man nicht sagen. Richtig ist, dass die Verfassungsbeschwerde unzulässig war. Das entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, war also durchaus absehbar.

Zugleich ist es aber immer der sicherere Weg, eine Verfassungsbeschwerde sofort einzulegen und nicht eine spätere Entscheidung abzuwarten, um sich dann evtl. sagen zu lassen, man hätte vorher aktiv werden müssen. Gleichzeitig muss man sich freilich im Klaren sein, dass dies unter Umständen zusätzlichen Aufwand und zusätzliche Kosten mit sich bringt.

Möglicherweise wäre hier auch mit einer eingehenden Argumentation, warum ein Ausnahmefall vorliegen könnte, eine positivere Entscheidung möglich gewesen. Aus diesem Grund zahlt es sich oft aus, einen Experten mit der Abfassung der Verfassungsbeschwerde zu betrauen.

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