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Behandlung gegen medizinische Standards – darf der Arzt das?

  • 4 Minuten Lesezeit
anwalt.de-Redaktion

Das Rechtsverhältnis von Patienten und Ärzten war lange Zeit gesetzlich nicht kodifiziert, sondern reines Richterrecht. Welche Pflichten ein Arzt gegenüber seinem Patienten hat, welche Rechte Patienten besitzen und wann Ärzte sich haftbar machen, ergab sich daher jahrzehntelang nur aus Urteilen der Gerichte. 2013 hat der Gesetzgeber aber mit dem Patientenrechtegesetz für die Rechtsbeziehung von Ärzten und Patienten einen eigenen Rahmen geschaffen. Seitdem gibt es im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) neben Regelungen für Kaufvertrag, Mietvertrag oder Arbeitsvertrag auch Vorschriften zum Behandlungsvertrag. Diese legen genau fest, welche Pflichten ein Arzt hat. Verletzt der Arzt eine solche Pflicht, macht er sich schadensersatzpflichtig.

Die Behandlungspflicht des Arztes 

Die Hauptpflicht des Arztes besteht beim Behandlungsvertrag darin, seinen Patienten nach den allgemein anerkannten fachlichen Standards zu behandeln. Der Behandlungsvertrag verpflichtet damit einen Arzt dazu, den Patienten persönlich nach den neuesten Erkenntnissen der Medizin zu behandeln. Dabei schuldet der Arzt eine sorgfältige Anamnese, Befunderhebung, Diagnostik, Therapie und Nachsorge.

Was passiert aber, wenn der Arzt den Patienten fachgerecht therapieren will, der Patient aber trotz umfassender Aufklärung über Risiken ausdrücklich eine andere Behandlung wünscht? Darf der Arzt in so einem Fall den Patientenwunsch umsetzen, kann der Patientenwunsch eine Fehlbehandlung rechtfertigen oder haftet der Arzt, wenn er den Patienten nach seinem Wunsch abweichend vom medizinischen Standard behandelt und dann Komplikationen auftreten? Mit diesen Fragen musste sich das Oberlandesgericht Hamm (OLG Hamm) in einem aktuellen Fall beschäftigen.

Frontzahnsanierung geht nicht schnell genug

Im vorliegenden Fall ging es um die Zahnbehandlung einer Frau. Notwendig war im Rahmen der Behandlung zunächst eine Therapie mit einer Aufbissschiene mit anschließender Stabilisierung der Seitenzähne. Danach hätte mit der Sanierung der Frontzähne begonnen werden können. Dies dauerte der jungen Frau aber zu lange, sodass sie eine vorrangige Behandlung der Frontzähne verlangte. Der Zahnarzt änderte daraufhin das ursprünglich angedachte Behandlungskonzept, das die Frontzahnbehandlung als letzten Schritt vorsah und begann ohne die erforderliche mehrmonatige Schienentherapie mit der Restauration der Frontzähne. Ohne Therapie mit der Aufbissschiene erfolgte die Behandlung der Frontzähne zu früh und bei der Patientin stellte sich eine zu niedrige Bisshöhe ein, die zu einer Kompression der Kiefergelenke führte.

Die Patientin nahm den Zahnarzt deshalb wegen vermeintlicher zahnärztlicher Behandlungsfehler in Haftung und verlangte von ihm sowohl Schadensersatz als auch Schmerzensgeld. Sowohl das Landgericht Bochum (LG Bochum) als auch das OLG Hamm gaben der Patientin recht und verurteilten den Zahnarzt entsprechend.

Zu frühe Frontzahnsanierung als Behandlungsfehler

Der Zahnarzt wollte seine Patientin zunächst fachgerecht therapieren, hat sich aber von der notwendigen Schienentherapie abbringen lassen und stattdessen zu früh mit der Behandlung der Frontzähne begonnen. Die definitive Eingliederung des Frontzahnersatzes ohne vorherige Herstellung eines therapeutischen Bisses werteten beide Gerichte als groben Behandlungsfehler. Nach der Feststellung des Sachverständigen hat dieser Behandlungsfehler zur Entstehung von Fehlfunktionen der Muskulatur geführt.

Die vertragliche Behandlungspflicht der Ärzte nach dem Behandlungsvertrag führt dazu, dass sich Ärzte grundsätzlich schadensersatzpflichtig machen, wenn ihnen ein Behandlungsfehler unterläuft. Deshalb war der Zahnarzt gegenüber seiner Patientin dem Grunde nach schadensersatzpflichtig mit der Konsequenz, dass er einerseits sein Honorar zurückerstatten musste, weitere Kosten zu tragen sowie ein Schmerzensgeld zu zahlen hatte. 

Patientenwunsch rechtfertigt keine fehlerhafte Behandlung 

Das Gericht ließ es offen, ob die Patientin tatsächlich darauf bestanden hatte, früher mit der Frontzahnbehandlung zu beginnen und ob sie über die entsprechenden Risiken aufgeklärt worden war. Weder die Aufklärung noch das Bestehen auf der verfrühten Frontzahnbehandlung hätte nach Ansicht des Gerichts etwas an der Schadensersatzpflicht des Zahnarztes geändert.

Auch wenn Patienten ausdrücklich eine Behandlung wünschen, die gegen die medizinischen Standards verstößt, dürfen Ärzte diese Behandlung nicht vornehmen. Behandlungen entgegen den entsprechenden Standards sind nicht mit der sorgfältigen und ordnungsgemäßen Behandlungspflicht des Arztes zu vereinbaren. Verlangen Patienten nach einer Methode, behandelt zu werden, die gegen die medizinischen Standards verstößt, sind Ärzte verpflichtet die Behandlung notfalls ganz zu verweigern.

Der Wunsch des Patienten rechtfertigt daher keine fehlerhafte Behandlung. Deshalb verletzt ein Arzt seine Behandlungspflicht aus dem Behandlungsvertrag auch dann, wenn der Patient die entsprechende Behandlung ausdrücklich wünscht. Dabei spielt es auch keine Rolle, wie ausführlich der Arzt den Patienten über bestehende Risiken aufklärt, denn nach der Ansicht des Gerichts legitimiert auch das Selbstbestimmungsrecht der Patienten keine fehlerhafte Behandlung.

Fazit: Patienten können also von ihrem Arzt keine Behandlung verlangen, die dem medizinischen Standard nicht entspricht. Ärzte dürfen auch beim ausdrücklichen Wunsch des Patienten derartige Behandlungen nicht durchführen und müssen sie ablehnen. Führen sie die Behandlungen trotzdem durch, begehen sie einen Behandlungsfehler, der sie teuer zu stehen kommen kann. Im vorliegenden Fall musste der Zahnarzt nicht nur sein Honorar zurückerstatten, sondern auch die Kosten der Folgebehandlung übernehmen und mehrere tausend Euro Schmerzensgeld zahlen.

(OLG Hamm, Urteil v. 26.04.2016, Az.: 26 U 116/14)

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