Bereitschaftszeit als Arbeitszeit?

  • 3 Minuten Lesezeit

Mit der Antwort hat sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Urteil vom 9.3.2021 in einem Vorlageverfahren des Verwaltungsgerichts Darmstadt beschäftigt.

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten im Ausgangsverfahren darüber, ob Bereitschaftszeiten, die Einsatzleiter bei der Feuerwehr leisten, als Arbeitszeit zu qualifizieren sind (VG Darmstadt, Beschluss vom 21. Februar 2019 – 1 K 1188/15.DA –, juris).

Der Kläger, ein Feuerwehrbeamter bei der Stadt Offenbach am Main, muss zusätzlich zu seinem regulären Dienst nach den dort einschlägigen Rechtsvorschriften regelmäßig einen sog. „Beamter vom Einsatzleitdienst“-Dienst („BvE-Dienst“) leisten (a. a. O.).

Während dieses BvE-Dienstes muss er gem. der Einsatzdienstverfügung ständig erreichbar sein, seine Einsatzkleidung bereit halten und ein von der Beklagten zur Verfügung gestelltes Einsatzfahrzeug mit sich führen (a. a. O.). Während des Dienstes muss er Anrufe entgegennehmen, durch die er als Einsatzleiter über Ereignisse informiert wird und zu denen er Entscheidungen zu treffen hat (a. a. O.). In bestimmten Situationen muss er zur Einsatzstelle oder zur Dienststelle ausrücken (a. a. O.). Zudem hat der Kläger während des BvE-Dienstes seinen Aufenthaltsort so zu wählen, dass er im Falle der Alarmierung mit dem Einsatzfahrzeug und in Einsatzkleidung innerhalb von 20 Minuten die Stadtgrenze erreicht (a. a. O.).

Entscheidung des EuGH

Der Tenor der Entscheidung des EuGH lautet:

„Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist dahin auszulegen, dass Bereitschaftszeit in Form von Rufbereitschaft, während der ein Arbeitnehmer in der Lage sein muss, innerhalb von 20 Minuten in Einsatzkleidung mit dem ihm von seinem Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Einsatzfahrzeug unter Inanspruchnahme der für dieses Fahrzeug geltenden Sonderrechte gegenüber der Straßenverkehrsordnung und Wegerechte die Stadtgrenze seiner Dienststelle zu erreichen, nur dann in vollem Umfang "Arbeitszeit" im Sinne dieser Bestimmung darstellt, wenn eine Gesamtbeurteilung aller Umstände des Einzelfalls, zu denen die Folgen einer solchen Zeitvorgabe und gegebenenfalls die durchschnittliche Häufigkeit von Einsätzen während der Bereitschaftszeit gehören, ergibt, dass die dem Arbeitnehmer während der Bereitschaftszeit auferlegten Einschränkungen von solcher Art sind, dass sie seine Möglichkeiten, dann die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen.“

(EuGH, Urteil vom 09. März 2021 – C-580/19 –, juris).

Rechtliche Bewertung und Antwort

Die gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen (RL 2003/88/EG) sind somit dahin auszulegen, dass Bereitschaftszeit in Form von Rufbereitschaft nur dann in vollem Umfang "Arbeitszeit" in diesem Sinne darstellt, wenn eine Gesamtbeurteilung aller Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die während der Bereitschaftszeit auferlegten Einschränkungen die Möglichkeiten, die Zeit außerhalb der beruflichen Leistungen frei zu gestalten und sie eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen.

Es obliegt dabei (zwangsläufig) den nationalen Gerichten, diese Einschätzung in jedem Einzelfall vorzunehmen. Dabei spricht unter Berücksichtigung der Erwägungen des EuGH im konkreten Fall des Feuerwehrbeamten der Stadt Offenbach/Main m. A. einiges dafür, dass die dortigen BvE-Dienst-Zeiten nicht in vollem Umfang als „Arbeitszeit“ zu bewerten sind. Es bleibt abzuwarten, wie das Verwaltungsgericht Darmstadt den Fall des Feuerwehrbeamten der Stadt Offenbach/Main nun entscheidet. Selbstverständlich kann die Einschätzung in jedem Einzelfall bei anderen Rahmenbedingungen auch völlig anders ausfallen. Allgemein kann festgehalten werden, dass es nach der Entscheidung des EuGH – weiter - möglich ist, dass Bereitschaftszeiten als Arbeitszeit anzusehen sind. Der EuGH bestätigt insofern seine bisherige Rechtsprechung (vgl. EuGH, Urteil vom 09.03.2021, C-580/19, Celex-Nr. 62019CJ0580 Rz. 34 ff. m .w. N.).

Sie haben Fragen zum Arbeits- und Beamtenrecht im öffentlichen Dienst, zum öffentlichen Dienstrecht bzw. speziell zu der Bewertung von Bereitschaftszeiten als Arbeitszeit? Nutzen Sie die „Nachricht senden“-Funktion oder kontaktieren Sie uns telefonisch bzw. direkt über das Kontaktformular unserer Homepage. Gern bieten wir Ihnen auch die Möglichkeit der telefonischen Beratung oder der Videoberatung über das Internet.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Matthias Wiese

Beiträge zum Thema