Das Bundesverfassungsgericht zum Anspruch auf Strafverfolgung
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Ein Strafverfahren ist eine Sache zwischen dem Staat und dem Beschuldigten. Verfolgt und verhandelt wird sein angeblicher Verstoß gegen irgendein Gesetz. Das Opfer der Straftat ist in aller Regel – was oft für Unverständnis sorgt – nicht der Ankläger, sondern einfach nur ein Zeuge.
Erzwingung der Anklage gemäß StPO
Entscheidet sich die Staatsanwaltschaft nun, das Verfahren einzustellen und nicht zur Anklage zu bringen, kann der Geschädigte unter gewissen Umständen Beschwerde beim vorgesetzten Staatsanwalt einlegen und schließlich auch eine gerichtliche Entscheidung durch das Oberlandesgericht beantragen. Dies ist in § 172 der Strafprozessordnung geregelt.
Die Chancen dieses Klageerzwingungsverfahrens sind recht gering und führen nur selten zu einer Wiederaufnahme der Ermittlungen. Auch gibt es gegen den Beschluss des OLG kein weiteres Rechtsmittel. Darum stellt sich für das Opfer dann häufig die Frage, ob gegen eine ablehnende Entscheidung die Verfassungsbeschwerde möglich ist.
Grundsätzlich ist auch die Entscheidung des OLG eine staatliche Handlung, die einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht (oder auch durch das Landesverfassungsgericht) zugänglich ist. Auch handelt es sich um eine Entscheidung zulasten des Antragstellers, auch wenn er von der Strafverfolgung nur einen ideellen Vorteil hätte. Die Verfassungsbeschwerde ist also nicht von vornherein unzulässig.
Kein spezielles Grundrecht auf Strafverfolgung
Allerdings gibt es kein Grundrecht im Grundgesetz oder in irgendeiner Landesverfassung, das besagen würde „Jeder hat einen Anspruch darauf, dass gegen ihn begangene Straftaten verfolgt werden“. Daher stellt sich die Frage, ob ein solcher Anspruch nicht aus anderen Grundrechten entstehen kann, die dies nicht explizit sagen.
Das Bundesverfassungsgericht war hier ursprünglich sehr rigoros: Weil sich die Strafverfolgung eben zwischen Staat und Beschuldigtem bewegt, gebe es auch kein Grundrecht des Geschädigten auf Ahndung.
Mittlerweile wird dies deutlich differenzierter gesehen.
Anspruch aus allgemeinem Persönlichkeitsrecht
In den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 06.10.2014 (Aktenzeichen 2 BvR 1568/12) und vom 26.06.2014 (Aktenzeichen 2 BvR 2699/10) wird zwar weiter davon ausgegangen, dass es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Strafverfolgungsanspruch gibt. Ausnahme werden aber für drei Fallgruppen gemacht:
- bei erheblichen Straftaten gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung und die Freiheit der Person
- bei Delikten von Amtsträgern
- bei Straftaten, bei denen sich die Opfer in einem besonderen Obhutsverhältnis zur öffentlichen Hand befinden
Verfassungsrechtliche Grundlage für einen Anspruch auf Strafverfolgung ist dann das vom Bundesverfassungsgericht entwickelte allgemeine Persönlichkeitsrecht.
Voraussetzung: Schwere Straftat oder staatliche Pflichtverletzung
Im ersteren Fall geht es darum, dass bei solch schwerwiegenden Straftaten eine Ahndung einfach notwendig ist, um die Geltung der Grundrechte überhaupt sicherzustellen. Das BVerfG führt dazu gut verständlich aus: „Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichten den Staat, sich dort schützend und fördernd vor das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit und die sexuelle Selbstbestimmung des Einzelnen zu stellen und sie vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten Dritter zu bewahren“.
In den beiden letzten Fällen soll dagegen das „Vertrauen in die Integrität staatlichen Handelns“ geschützt werden. Wenn Beamte Straftaten gegen Bürger begehen oder der Staat Schutzpflichten verletzt, soll dies nicht nur staatshaftungsrechtlich oder dienstrechtlich behandelt werden, sondern gerade auch der Strafverfolgung zugeführt werden.
Einen Grundrechtsverstoß begehen die Gerichte aber erst dann, wenn sie diese Grundrechte und Schutzfunktionen grob verkennen. Hierfür muss aus der Entscheidung hervorgehen, dass diese Werte entweder gar nicht in Erwägung gezogen wurden oder ihr Wesensgehalt völlig falsch eingeschätzt wurde.
Anspruch auch bei willkürlicher Entscheidung
Diese Rechtsprechung wurde durch Beschluss vom 19.05.2015 (2 BvR 987/11) bestätigt. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht hier auch noch einen Verstoß gegen das Willkürverbot als Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes geprüft.
Notwendig hierfür wäre, dass Staatsanwaltschaft und Gericht aus sachfremden Erwägungen entschieden haben, die Einstellung des Verfahrens also schlechthin unvertretbar ist. Insoweit reicht also auch ein falsches Urteil des OLG alleine nicht, es braucht vielmehr ein offensichtliches, krasses, unerträgliches Fehlurteil.
Hohe Anforderungen an Verfassungsbeschwerde
Nach alledem sind die Hürden für die Annahme einer verfassungswidrigen Zurückweisung des Klageerzwingungsantrags sehr hoch. Die Entscheidung muss intensiv geprüft und mit der Rechtsprechung abgeglichen werden. Es müssen handfeste Fehler insbesondere des Gerichts dargelegt werden, die auch verfassungsrechtlich relevant sein müssen.
Rechtsanwalt Thomas Hummel steht auch für derartige Verfassungsbeschwerden zur Verfügung. In diesem Spezialbereich arbeitet die Kanzlei mit renommierten Strafrechtlern zusammen, um alle Aspekte des Falles angemessen zu würdigen.
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