Die „Coaching-Falle“ Teil 27: Landgericht Stuttgart urteilt gegen Bestseller-Verlag von Dirk Kreuter - Das Urteil

  • 5 Minuten Lesezeit

Das LG Stuttgart hat in einem Fall gegen den Bestseller-Verlag von Dirk Kreuter entschieden und den Vertrag für nichtig erklärt (SPIEGEL ONLINE berichtete). Nachdem das Urteil des Gerichts nunmehr im Volltext veröffentlich wurde (Az. 30 O 266/22), möchten wir hierauf nochmals aufmerksam machen, da die Umstände des Falles und die deutlichen Ausführungen des Gerichts ein Schlaglicht auf die Methoden in der Coaching-Szene werfen, also auch für viele andere Fälle relevant sind.


Was war geschehen?

Das Landgericht führt zum Sachverhalt wie folgt aus (Hervorhebungen jeweils nur durch den Autor des Artikels):


„Nachdem der Beklagte kostenlose YouTube-Videos angeschaut und an einem kostenlosen Online-Seminar der Klägerin teilgenommen hatte, fand am Sonntag, dem 11. September 2022, ein fast einstündiges Telefongespräch zwischen dem Beklagten und einem Mitarbeiter der Klägerin statt, das der Mitarbeiter der Klägerin teilweise aufzeichnete. 


Gegenstand des Telefonats war ein „xxxx“ der Klägerin mit „xxx“ zum Preis von 60.000 Euro netto in zwölf gleichmäßigen monatlichen Teilzahlungen. Der Mitarbeiter der Klägerin versprach dem Beklagten, durch seine Teilnahme an dem Programm seinen Umsatz um 30% steigern zu können. Der Beklagte wurde durch die Verkaufsstrategie des Mitarbeiters der Klägerin in eine Stimmung versetzt, die ihm wirtschaftlichen Erfolg und Reichtum suggerierte


Mittels einer manipulativen Verkaufsstrategie, einer sog. „Ja-Straße“ ist der Beklagte psychologisch dazu bestimmt worden, auf die gestellten Fragen mit „Ja“ zu antworten. Der Beklagte machte bei dem Gespräch deutlich, dass die Zahlung von 60.000 Euro netto für ihn den wirtschaftlichen Ruin bedeute. Auch vor dem Gespräch hatte er dies gegenüber der Klägerin deutlich gemacht.“


Die Leistungen des Bestsellerverlags für diese Summe – die in ähnlicher Form von zahllosen anderen Coaches ebenfalls angeboten werden:


„Der Kunde bekommt demnach während der Laufzeit Zugang zu Live-Zoom-Meetings, Zugang zu einer Telegram-Gruppe mit den anderen Teilnehmern des Programms, Zugang zu einer Datenbank mit Schulungsvideos, Quartalsweise ein Zielsystem - eine Art Erfolgskontrollkonzept -, drei Tickets für das als Präsenzveranstaltung stattfindende Seminar „Vertriebsoffensive“ und 2 Tickets für Folgeseminare.“


Das Urteil des Landgerichts

Die Einschätzung des Landgerichts dazu fiel deutlich aus:


„Das „xxx“ hat keinerlei messbaren Effekt auf Umsatz oder Geschäftstätigkeit des Betriebes.“ 

Es hat keinerlei Nutzen für den Beklagten.“


Bemerkenswert ist dabei, dass der Bestseller Verlag es vor Gericht hat unstreitig stehen lassen, dass die Leistungen nutzlos waren – also keinerlei Argumente dafür vorgebracht hat, dass das Coaching von Nutzen für den Kunden gewesen ist:


„b) Demnach wird die Sittenwidrigkeit des streitgegenständlichen Vertrags vermutet. Unstreitig waren die Leistungen der Klägerin nutzlos. Es fehlt damit auch an einem Wert, so dass die Gegenleistung den Wert der Leistung sogar um ein Vielfaches übersteigt.


Dies führt aus juristischer Sicht dann zur Sittenwidrigkeit des Vertrags, da der Bestseller Verlag zudem mit einer verwerflichen Gesinnung gehandelt. So das Landgericht Stuttgart:


  • "c) Die Klägerin hat diese Vermutung auch nicht widerlegt, vielmehr bestehen gewichtige Indizien, die in der Gesamtschau die verwerfliche Gesinnung der Klägerin bestätigen:                                                                         
  • aa) Die Klägerin und ihr Abschlussvertreter (§ 166 Abs. 1 BGB) wussten, dass die Zahlung von 60.000 Euro für den Beklagten den wirtschaftlichen Ruin bedeuten würde. Das brachte sie nicht vom Vertragsschluss ab.                                                                                                                                                                    
  • bb) Die Klägerin wählte zum Abschluss eines äußerst komplexen Beratervertrags zum Preis von mehreren Zahntausenden Euro den Vertragsschluss am Telefon, obwohl diese Form des Vertragsschlusses spezifische technisch-strukturelle Risiken birgt und insbesondere Informationsasymetrien zu besorgen sind (vgl. etwa BeckOGK/Busch, 1.6.2021, BGB § 312c Rn. 2).                                                                                                                                    
  • cc) Die Klägerin verwendete im Verkaufsgespräch eine manipulative Gesprächsstrategie in Form einer „Ja-Straße“.                                                                                                                                                                                            
  • dd) Die Klägerin vereinbarte mit den Beklagten einen Pauschalpreis mit Ratenzahlung, so dass ihre Vergütung unabhängig davon fällig würde, ob sie selbst auch eine Leistung erbracht hat (vgl. § 614 BGB).                                                                                                                                                                                                                        
  • ee) Gewichtiges Indiz für eine verwerfliche Gesinnung ist auch der nach Vertragsschluss angebotene Kulanznachlass von einem Drittel der Vertragssumme, denn er offenbart, dass der verlangte Preis in keinem Zusammenhang mit den Kosten der Klägerin steht. Der Ansatz von Preisbildungsfaktoren, von denen anzunehmen ist, dass auf ihrer Grundlage kalkulierte Preise bei wirksamem Wettbewerb auf dem Markt nicht durchgesetzt werden könnten, kann ein Indiz für einen missbräuchlich überhöhten Preis sein“


Welche Auswirkungen hat das Urteil auf die Coaching-Szene?

Das Urteil aus Stuttgart hat die Rechte von Kunden, die Online-Coachings oder Mentoring-Programme erworben haben, in jedem Falle deutlich gestärkt. Dies ist bereits daran zu erkennen, dass unsere Kanzlei vermehrt Anfragen zu Coachings des Bestseller-Verlags, aber auch zu einer Vielzahl von anderen Anbietern erhält. Wir vertreten zahlreiche Mandanten auf diesem Gebiet.


Dennoch ist darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung nicht ohne weiteres verallgemeinert werden kann – das Urteil bedeutet also nicht zwingend, dass alle Angebote von Dirk Kreuter oder anderen Anbietern grundsätzlich unseriös oder gar sittenwidrig sind. Diese Frage ist grundsätzlich im Einzelfall zu beurteilen, denn auch ein hochpreisiges Coaching kann sein Geld wert sein, wenn eine entsprechende Gegenleistung erbracht wird.  


Allerdings reiht sich das Urteil in eine mittlerweile recht umfangreiche Liste von Entscheidungen zu Gunsten der Coaching-Kunden ein:


  • So hatte das Landgericht Stade einen Coaching-Vertrag für sittenwidrig erklärt                                                                                                                                                                          
  • Das Oberlandesgericht Celle hat dann in der Folge entschieden, dass Unternehmer ebenfalls ein Widerrufsrecht haben, wenn das Fernunterrichtsschutzgesetz Anwendung findet                                                                                                                                                                                        
  • Das Landgericht Leipzig, das Landgericht Hamburg, das Landgericht Hannover und das Landgericht Nürnberg-Fürth und jüngst das Landgericht Ulm haben das Fernunterrichtsschutzgesetz für anwendbar erklärt und gegen die Coachingunternehmen entschieden


Wenn auch Sie einen Coaching-Vertrag abgeschlossen haben und unzufrieden sind, beraten wir Sie gern dazu, mit welchen rechtlichen Mitteln Sie vorgehen können und welche Erfolgsaussichten in Ihrem individuellen Fall bestehen. Selbstverständlich vertreten wir Sie auch als Anwaltskanzlei mit Spezialisierung im Vertragsrecht und der Erfahrung aus zahlreichen Coaching-Fällen.

Melden Sie sich hierzu gern für ein unverbindliches Erstgespräch!


Direkt zum Telefontermin: https://calendly.com/kanzleiliebich/erstbesprechung

Website: http://www.ra-marko-liebich.de/

E-Mail: Kanzlei@RA-Marko-Liebich.de

Telefon: 03521 / 71 99 6 99




Foto(s): adobe stock photos


Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Marko Liebich

Beiträge zum Thema