Konkurrentenschutz: Rechtsschutz nach Stellenbesetzung im öffentlichen Dienst?

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Kann der Bewerberverfahrensanspruch bei (Tarif-)Stellen im öffentlichen Dienst auch noch dann arbeitsgerichtlich erfolgversprechend geltend gemacht werden, wenn der öffentliche Arbeitgeber ohne Einhaltung einer adäquaten Wartefrist bereits einen Arbeitsvertrag mit einem Mitbewerber abgeschlossen hat? Wie muss bei einer Wiederholung eines Auswahlverfahrens im öffentlichen Dienst die betreffende Stelle ggf. freigemacht werden?

Mit der Antwort befasst sich der nachfolgende Beitrag zu zwei aktuellen Entscheidungen des Arbeitsgerichtes Erfurt (Urt. v. 27.10.2023, Az.: 3 Ca 521/23 und Urt. v. 10.1.2024, Az.: 4 Ga 29/23).


Sachverhalt - Entscheidung ArbG Erfurt v. 27.10.2023


Der Kläger verfügt neben einem Berufsabschluss als Drucker über einen Meistertitel im Buchdruck-/Schriftsetzer-Handwerk und damit über die Berechtigung zur Führung der Bezeichnung als „Bachelor Professional“ in diesem Handwerk (a. a. O.). Er ist bereits seit vielen Jahren als Tarifbeschäftigter im öffentlichen Dienst bei einer Landesbehörde – zuletzt langjährig als Meister und stellvertretender Druckleiter – mit Eingruppierung in EGr. 9b TV-L als „Mitarbeiter Druckerei“ tätig (vgl. ArbG Erfurt, Urt. v. 27.10.2023, a. a. O.).

Im Zusammenhang mit dem nahenden Ruhestandseintritt (s)eines direkten Vorgesetzten (der ebenfalls über den Meistertitel im Druckerhandwerk verfügte) wurde Anfang 2023 die Stelle als „Sachbearbeiter* „Druckerei““ (EGr. 11 TV-L) öffentlich ausgeschrieben (a. a. O.). Erwartet wurde in der Stellenausschreibung neben entsprechender Berufserfahrung u. a. „ein abgeschlossenes Fachhochschul- oder Bachelorstudium in der Fachrichtung Druck- und Medientechnik oder vergleichbar“ (a. a. O.).

Der Kläger bewarb sich neben acht weiteren Bewerber:innen fristwahrend (a. a. O.). Die Bewerbung des Klägers wurde vom Beklagten mit Schreiben vom 16.3.2023 unmittelbar deshalb abgelehnt, weil der Kläger nicht über ein abgeschlossenes Fachhochschul- oder Bachelorstudium verfüge (a. a. O.).

Bereits am 17.3.2023 schloss der Beklagte ohne weiteres Zuwarten mit einem anderen (externen) Bewerber einen Arbeitsvertrag und stellte diesen mit Beschäftigungsbeginn ab dem 1.4.2023 auf der o. g. Stelle ein (a. a. O.).

Hiergegen richtete der Kläger sich unter dem 30.3.2023 mit seiner Klage vor dem ArbG Erfurt mit dem Ziel der Wiederherstellung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs.

Das ArbG Erfurt gab der Klage mit Urteil vom 27.10.2023 (Az.: 3 Ca 521/23) statt und verurteilte den Beklagten dazu, die Auswahlentscheidung über und die Besetzung der Stelle als „Sachbearbeiter* „Druckerei““ aufzuheben und über die Bewerbung des Klägers nach Durchführung eines dem Leistungsgrundsatz nach Art. 33 Abs. 2 GG genügenden Auswahlverfahrens unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden (a. a. O.).

Der Ausschluss der Bewerbung des Klägers war nach Sichtweise des ArbG i. S. v. Art. 33 Abs. 2 GG mit Blick auf die Anforderungen der Stelle bzw. die Stellenausschreibung fehlerhaft (a. a. O.). Auch war demnach bereits die Dokumentation des gesamten Auswahlverfahrens unzureichend (a. a. O.). Die ohne Einhaltung der mindestens zweiwöchigen Wartefrist erfolgte Stellenbesetzung könne dem Kläger wegen der Vereitelung der Möglichkeit der Inanspruchnahme effektiven Rechtsschutzes (die in Bewerbungsverfahren im öffentlichen Dienst regelmäßig im Wege des Eilrechtsschutzes im einstweiligen Verfügungsverfahren erfolgt) daher nicht entgegengehalten werden (a. a. O.). Der Beklagte sei deshalb verpflichtet, den rechtswidrigen Zustand zu beseitigen und das Verfahren unter Einbeziehung der Bewerbung des Klägers erneut/fehlerfrei durchzuführen (a. a. O.).


Sachverhalt-Fortsetzung - Entscheidung ArbG Erfurt v. 10.1.2024


Unmittelbar nach der Verkündung des o.g. Urteils am 27.10.2023 wurde der Kläger zu einem Vorstellungsgespräch „nachgeladen“ (vgl. ArbG Erfurt, Urt. v. 10.1.2024, a. a. O.). Nach diesem - am 6.11.2023 erfolgten - Gespräch vermerkte der Beklagte hierzu, dass es im Ergebnis bei der ursprünglichen Auswahl zugunsten des Mitbewerbers bleibe (a. a. O.). Nachfolgend lehnte der Beklagte die Bewerbung des Klägers (erneut) mit Schreiben vom 15.11.2023 ab (a. a. O.). Der Mitbewerber war durchgehend als unmittelbarer Vorgesetzter des Klägers als „Sachbearbeiter“ tätig (a. a. O.).

Der Kläger bat um Freihaltung der Stelle und zunächst um Gewährung von Akteneinsicht in den Auswahlvorgang (a. a. O.). Der Beklagte erklärte auf nochmalige Nachfrage des Klägers, dass die Stelle bis zu einer Entscheidung im Eilverfahren freigehalten werde, soweit gegen die Ablehnung der Bewerbung ein Rechtsbehelf eingelegt werde (a. a. O.).

Daher wandte der Kläger sich - nunmehr im einstweiligen Verfügungsverfahren gerichtet auf Freihaltung der Stelle - unverzüglich innerhalb von zwei Wochen nach Mitteilung der Ablehnung der Bewerbung erneut an das ArbG Erfurt (a. a. O.). Erst im laufenden Klageverfahren erklärte der Beklagte, dass er am 6.12.2023 (nach Rechtskraft des ersten Urteils des ArbG Erfurt) nun einzelne Aufgaben zwischen dem Kläger und dem neu eingestellten Mitbewerber „vorläufig“ anders zu-/aufgeteilt habe, wobei sich u. a. auch an der Eingruppierung beider Bewerber indes nichts ändere (a. a. O.). Der Beklagte vertrat die Auffassung, die Stelle sei hierdurch dauerhaft frei bzw. „freigemacht“ (a. a. O.).

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wurde mit Urteil vom 10.1.2024 vom ArbG Erfurt abgewiesen, weil die Stelle nach der Rechtsauffassung des ArbG (auch) zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht frei war (a. a. O.). Nach den Rechtssätzen des ArbG müsse, „(…) um eine ernsthafte Aufhebung der Stellenbesetzung (…) annehmen zu können, (…) ausgeschlossen werden, (…) dass die getroffenen Maßnahmen nur vorgeschoben wurden, um lediglich den äußeren Anschein einer Aufhebung zu setzen“ (a. a. O.). Hierfür müssten „alle Aufgaben dieser Stelle entzogen“ werden (a. a. O.). Da (schon) diese Voraussetzung „jedenfalls im Zeitpunkt der Entscheidung“ des ArbG (noch immer) nicht gegeben war, habe der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung und Freihaltung der streitbefangenen Stelle abgewiesen werden müssen (a. a. O.).


Rechtliche Bewertung


Beiden Entscheidungen des ArbG Erfurt ist zuzustimmen. Die o.g. Urteile sind i. S. v. Art. 33 Abs. 2 GG i. V. m. Art. 19 Abs. 4 GG grds. konsequent.

Gemäß Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt (sog. Bewerberverfahrensanspruch). Dieser Anspruch gilt grundrechtsgleich, wobei der Begriff des öffentlichen Amts dabei verfassungsrechtlich weit verstanden wird und (neben Beamtenstellen) z.B. auch Stellen für Angestellte/Tarifbeschäftigte im öffentlichen Dienst umfasst.

Der Bewerberverfahrensanspruch wird im Rahmen des weitgehend nur richterrechtlich etablierten Systems des sog. Konkurrentenschutzes im öffentlichen Dienst grds. allein dadurch gewährt, dass der öffentliche Dienstherr den erfolglosen Bewerbern über die Ablehnung ihrer Bewerbung rechtzeitig Mitteilung machen und danach mindestens zwei Wochen nach Zugang dieser Auswahlmitteilung abwarten muss, bevor er die Stelle(n) besetzen kann. Innerhalb dieser zweiwöchigen Wartefrist können abgelehnte Bewerber sodann u.a. im Wege der einstweiligen Verfügung bzw. Anordnung einstweiligen Rechtsschutz gerichtet auf Freihaltung der Stelle und Überprüfung des Auswahlverfahrens beim zuständigen Arbeits- oder Verwaltungsgericht beantragen.

Grundsätzlich geht der Bewerbungsverfahrensanspruch nach der in der höchstrichterlichen Rechtsprechung vertretenen Auffassung mit der Stellenbesetzung unter. Von einer Stellenbesetzung und dem Untergang des Bewerberverfahrensanspruchs ist z.B. nach ständiger Rechtsprechung des BAG arbeitsrechtlich jedenfalls mit dem Schluss eines Arbeitsvertrags (wie hier am 17.3.2023 mit Wirkung zum 1.4.2023 geschehen) auszugehen. Voraussetzung für den Untergang ist allerdings die Möglichkeit, effektiven Rechtsschutz in Anspruch nehmen zu können. Diese Möglichkeit wurde dem Kläger vorliegend durch den Beklagten durch Abschluss eines Arbeitsvertrags mit dem Mitbewerber genommen. Nach Rechtsprechung des BAG besteht im Falle der sog. Rechtsschutzvereitelung - wie hier - daher ausnahmsweise auch noch nach Stellenbesetzung ein Anspruch auf Wiederherstellung und Beseitigung des rechtswidrigen Zustands. Das Verfahren ist unter Beachtung der Verfassungsrechte in Art. 33 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG neu/fehlerfrei durchzuführen.

In einem solchen Fall kann der öffentliche Dienstherr den Verpflichtungen aus einem Urteil zur Wiederherstellung nicht dadurch gerecht werden, dass er im Zweifel ein neues Verfahren nur vorgibt (und insbesondere die streitbefangene Stelle tatsächlich nicht einmal vollständig freimacht). Der öffentliche Dienstherr ist daher verpflichtet, neben der Auswahlentscheidung v. a. auch die Stellenbesetzung vollständig aufzuheben und das Verfahren sodann unter Einhaltung der Vorgaben in Art. 33 Abs. 2 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 19 Abs. 4 GG fehlerfrei neu durchzuführen.

Vorliegend bleibt dem Kläger daher nun grds. allein die Zwangsvollstreckung des ersten Urteils des ArbG Erfurt v. 27.10.2023. Das zweite Klageverfahren (gerichtet auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Freihaltung der Stelle) konnte nicht erfolgreich sein, weil der Beklagte sich schon nicht an das erste Urteil gehalten und die Stelle zum Ztpkt. seiner "neuen Auswahlentscheidung" bzw. bis zur mdl. Verhandlung vor dem ArbG nicht „freigemacht“ hatte. Dies ist besonders bemerkenswert, da z. B. nach ständiger Rechtsprechung des BAG eigentlich davon ausgegangen werden kann und muss, dass Ordnungs-/Vollstreckungsmaßnahmen gegenüber der öffentlichen Hand nicht erforderlich sind, da der öffentliche Dienstherr sich (schon wegen der Bindung an Recht und Gesetz und die verfassungsmäßige Ordnung -vgl. u.a. Art. 1 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) zumindest an die Vorgaben aus einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung halten wird.


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