Notwendiger Weg: Was in Österreich funktioniert, muss nicht in der Tschechischen Republik funktionieren

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Notwendiger Weg: Was in Österreich funktioniert, muss nicht in der Tschechischen Republik funktionieren

Das Jahr 2022 war reich an bahnbrechenden Urteilen auf einer Reihe von Rechtsgebieten, das Immobilienrecht nicht ausgenommen. Neben dem Urteil 33 Cdo 72/2021 vom 27.05.2022, in dem sich der Oberste Gerichtshof der Tschechischen Republik mit der Frage befasste, ob ein Vorvertrag über die Übertragung von Eigentumsrechten an Immobilien der Schriftform bedarf oder nicht, erregte auch das Urteil des Verfassungsgerichts der Tschechischen Republik II. ÚS 1587/20 vom 12.01.2022, in dem sich das Verfassungsgericht mit den Bedingungen befasste, unter denen die Einrichtung eines so genannten notwendigen Weges zu einer Immobilie geltend gemacht werden kann, große Aufmerksamkeit.

Gemäß Artikel 1029 des Bürgerlichen Gesetzbuchs kann der Eigentümer eines Grundstücks, das nicht ordnungsgemäß bewirtschaftet oder anderweitig ordnungsgemäß genutzt werden kann, weil es nicht ausreichend an eine öffentliche Straße angebunden ist, von seinem Nachbarn verlangen, dass dieser ihm gegen eine Entschädigung den notwendigen Weg über sein Grundstück zur Verfügung stellt.

Das Gericht kann einen notwendigen Weg in dem Umfang, der dem Bedürfnis des Eigentümers des Grundstücks entspricht, dieses mit möglichst geringen Kosten ordnungsgemäß zu nutzen, auch als Dienstbarkeit zulassen. Gleichzeitig ist darauf zu achten, dass der Nachbar durch den Bau oder die Benutzung des erforderlichen Weges möglichst wenig belästigt und sein Grundstück möglichst wenig beeinträchtigt wird.

Für den notwendigen Weg fallen eine Vergütung und Schadenersatz an, sofern dieser nicht bereits durch die Vergütung abgedeckt ist.

Das Bürgerliche Gesetzbuch sieht in seiner Bestimmung § 1032 auch Fälle vor, in denen das Gericht den notwendigen Weg nicht genehmigt. Das Gericht gewährt den notwendigen Weg unter anderem dann nicht, wenn die Person, die den notwendigen Weg beantragt, den fehlenden Zugang grob fahrlässig oder vorsätzlich verursacht hat.


Das Verfassungsgericht hat sich in seinem Urteil mit der Auslegung des Begriffs der groben Fahrlässigkeit befasst. 

Das Verfahren betraf eine in der Tschechischen Republik relativ häufige Situation. Die Beschwerdeführer haben ein Grundstück (ein Wochenendhaus) erworben, aber der Zugang zu dem Grundstück (dem Wochenendhaus) ist von einer öffentlichen Straße aus nur über das Grundstück eines Dritten (eines anderen) möglich. Diese Tatsache war den Beschwerdeführern bekannt und wurde im Kaufvertrag ausdrücklich erwähnt.

Nach dem Erwerb des Hauses versuchten die Beschwerdeführer, den Zugang zu regeln, indem sie u. a. mit den Grundstückseigentümern verhandelten, jedoch ohne Erfolg. Als ihnen dies nicht gelang, beantragten sie vor Gericht die Einräumung einer angemessenen Grunddienstbarkeit für den notwendigen Weg.

Sowohl das erstinstanzliche als auch das zweitinstanzliche Gericht wiesen den Antrag der Kläger zurück und genehmigten die Bestellung des notwendigen Wegs nicht. Beide Gerichte verwiesen auf die (damals) bestehende Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte zu den Bestimmungen von § 1032 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, wonach es als grobe Fahrlässigkeit gilt, wenn der Antragsteller nicht versucht, vor dem Erwerb des Grundstücks den Zugang zu diesem auszuhandeln.

Der Streit landete schließlich vor dem Verfassungsgericht. Dieses kritisierte die Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte und deren Auslegung des Begriffs der "groben Fahrlässigkeit", da diese den Begriff der "groben Fahrlässigkeit" zu weit auslegten und sich zudem auf die österreichische Gesetzgebung und Rechtsprechung zur Errichtung eines notwendigen Weges stützten. Wie das Verfassungsgericht feststellte, ist die historische Entwicklung des Grundeigentums in der Tschechischen Republik ganz anders als in Österreich. "In Österreich stellt angesichts der abweichenden rechtlichen Entwicklung im 20. Jahrhundert das Vorhandensein von Grundstücken auf fremdem Grund und Boden im Gegensatz zur Tschechischen Republik kein massives Problem dar,. Was für österreichische Verhältnisse ein individuelles Problem zu sein scheint, ist für tschechische Verhältnisse ein systemisches Problem. Diesem Unterschied sollte dann auch der unterschiedliche Ansatz der Gerichte entsprechen".


Daher können die Bestimmungen von Artikel 1032 des tschechischen Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht mechanisch angewandt und Klagen auf Bestellung des notwendigen Wegs nicht ohne weitere Prüfung der Besonderheiten des Falles abgewiesen werden. Das Verfassungsgericht betonte, dass die ordentlichen Gerichte verpflichtet sind, sich um einen gerechten Ausgleich zwischen den Rechten des Eigentümers des "abgeschnittenen" Grundstücks und des Eigentümers des Grundstücks, durch das der notwendige Weg verlaufen soll, zu bemühen.

Er betonte, dass in den Fällen, in denen der Antragsteller die Bestellung des notwendigen Wegs anstrebt, grundsätzlich zwischen zwei Gruppen von Fällen unterschieden werden muss.   

Bei der ersten Gruppe handelt es sich um Fälle, in denen der Grundstückseigentümer die Abtrennung seines Grundstücks von der öffentlichen Straße durch eigenes Verschulden (Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit) verursacht hat. In diesen Fällen wird, wie das Verfassungsgericht feststellt, die Anwendung von § 1032 des tschechischen Bürgerlichen Gesetzbuchs grundsätzlich angemessen sein.

Die zweite Gruppe besteht aus Fällen, "in denen das Fehlen des Zugangs eine objektive Tatsache ist und der Erwerber diese lediglich hinnimmt". In diesen Fällen wird die Anwendung von § 1032 des tschechischen Bürgerlichen Gesetzbuchs hingegen grundsätzlich nicht mit den verfassungsrechtlichen Garantien des Eigentumsrechts vereinbar sein. Nach Ansicht des Verfassungsgerichts gibt es keinen Grund, warum in einem solchen Fall, der in der Tschechischen Republik angesichts der historischen Entwicklung im 20. Jahrhundert sehr häufig vorkommt, das Eigentumsrecht einer Einheit automatisch dem Eigentumsrecht einer anderen Einheit vorgezogen werden sollte.

Ein solcher Zustand sei angesichts der weiten Verbreitung des Phänomens unhaltbar, so das Verfassungsgericht.


Die beiden Rechte müssen daher gegeneinander abgewogen und ihr Konflikt auf angemessene (und gerechte) Weise funktional gelöst werden. Die Art und Weise, in der sich die Notwendigkeit des notwendigen Weges ergibt, kann sich beispielsweise in der Höhe der Entschädigung für die Begründung der Dienstbarkeit und in der Festlegung anderer Bedingungen für deren Ausübung widerspiegeln, die die Nuancen des Falles angemessen erfassen können. Wie das Verfassungsgericht feststellt, war dies auch bei den Beschwerdeführern des Verfassungsbeschwerdeverfahrens der Fall, bei denen der Kern des Problems nicht die Errichtung des notwendigen Weges als solche, sondern die Höhe des Entgelts für die Errichtung eines solchen Weges war.

Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass das oben genannte Urteil in der Praxis sehr umstritten ist und kritisiert wird, vor allem weil es die bisherige Rechtsprechung "auf den Kopf stellt". Es ist unmöglich vorherzusagen, wie sich die Rechtsprechung der Obersten Gerichte im Anschluss an dieses Urteil entwickeln wird.  


Was ist also zu raten, wenn Sie eine Immobilie kaufen, die nicht direkt an eine öffentliche Straße angebunden ist? 

Achten Sie darauf, dass diese Tatsache beachtet wird. Im schlimmsten Fall sind Sie zwar Eigentümer des Grundstücks, aber der Eigentümer des nicht öffentlichen Weges kann Sie daran hindern, seinen Weg zu nutzen oder sein Grundstück zu überqueren, und Sie bleiben somit gesperrt und auf den guten Willen des betreffenden Grundstückseigentümers angewiesen. Kann das Grundstück nicht genutzt werden, weil es nicht ausreichend an eine öffentliche Straße angebunden ist, dann kann der Grundstückseigentümer verlangen, dass der Nachbar gegen Entschädigung die notwendige Durchfahrt über sein Grundstück gestattet.

Das Gericht wird einen notwendigen Weg nicht zulassen, wenn Sie den fehlenden Zugang durch grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz verursacht haben.


Wie sollten wir also idealerweise vorgehen?

Achten Sie beim Kauf einer Immobilie darauf, ob das Grundstück von einer öffentlichen Straße aus zugänglich ist, wie die Nutzung der Zufahrt geregelt ist und scheuen Sie sich nicht, den Eigentümer der Zufahrt direkt zu kontaktieren und ihm den Abschluss eines Vertrags anzubieten, um die Nutzung der Zufahrt zu Ihrem Grundstück zu sichern. All diese Aktivitäten können Ihnen helfen zu beweisen, dass Sie den fehlenden Zugang zu Ihrem Grundstück nicht durch grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz verursacht haben, falls Sie einen Antrag auf Errichtung einer notwendigen Zufahrt stellen.

Möchten Sie eine Immobilie ohne Zugang von einer öffentlichen Straße kaufen und möchten Sie einen notwendigen Weg dazu bestellen oder den Zugang sonst sichern? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren!

Wir sind für Sie da.  

Foto(s): https://www.shutterstock.com/cs


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