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Praktikum, Volontariat und Traineeprogramm - Ausbildung oder Ausbeutung?

  • 4 Minuten Lesezeit
Esther Wellhöfer anwalt.de-Redaktion

Angesichts hoher Jugendarbeitslosigkeit wählen viele junge Leute mit oder ohne Berufsabschluss für ihren Berufseinstieg ein Praktikum, Volontariat oder Traineeprogramm, die schlecht oder gar nicht bezahlt werden. Zunehmend sind sogar immer mehr Akademiker betroffen. Doch welches Gehalt ist für Praktikanten, Volontäre und Trainees angemessen? Wann wird die Grenze zum rechtswidrigen Lohnwucher überschritten? Die Redaktion von anwalt.de beantwortet diese Fragen am Beispiel Praktikum. Die rechtlichen Wertungen können entsprechend auf die Ausbildungsformen Volontariat und Traineeprogramm übertragen werden.

[image] Gehaltshöhe nach konkreter Tätigkeit 

Die Vereinbarung von Billiglöhnen, die der erbrachten Arbeitsleistung nicht entsprechen, ist gemäß § 138 Absatz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nichtig. Liegen die Voraussetzungen für Lohnwucher vor, so hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf angemessene Entlohnung. Auch im Rahmen eines Praktikums ist grundsätzlich gemäß § 17 Absatz 1 Berufsbildungsgesetz (BBiG) ein angemessener Lohn zu zahlen.

Hinweis: Das Berufsbildungsgesetzes (BBiG) gilt nur für Praktika und andere Ausbildungsverhältnisse, die nicht integraler Bestandteil einer Berufsausbildung, Fachhochschul- und Hochschulausbildung sind. Ist das Praktikum in die schulische Ausbildung jedoch integriert und beispielsweise Voraussetzung für die Zulassung zur Prüfung, so haben die Praktikanten in diesen Fällen weder einen Anspruch auf Lohn, noch auf Kündigungsschutz und auch keinen Anspruch auf Urlaub. Gleiches gilt für Schulpraktika.

Welches Gehalt ein Praktikant erhält, richtet sich nach der Tätigkeit, die er konkret ausübt. Erfüllt ein Praktikant im Betrieb Aufgaben eines Arbeitnehmers, so muss er auch entsprechend einem Arbeitnehmer vergütet werden. Dies gilt unabhängig davon, ob das Beschäftigungsverhältnis im Arbeitsvertrag als Praktikum etc. bezeichnet ist. Denn ein Praktikum oder ein anderes der genannten Ausbildungsverhältnisse liegt nur vor, wenn bei dem Beschäftigungsverhältnis auch tatsächlich die Ausbildung im Vordergrund steht.

 
Praktikum und Einfühlungsverhältnis 

Das Praktikum soll in erster Linie dazu dienen, dass der Praktikant erste praktische Erfahrungen macht, welche Kenntnisse und Fähigkeiten er für seinen Beruf erlernen und mitbringen muss. Nur wenn der Schwerpunkt auch tatsächlich auf der Ausbildung liegt, ist ein geringeres Ausbildungsgehalt gerechtfertigt.

Ein unentgeltliches Praktikum ist nur ganz ausnahmsweise zulässig, wenn es sich bei der Tätigkeit lediglich um ein so genanntes „Einfühlungsverhältnis" handelt, das höchstens sechs Monate unentgeltlich laufen darf. Es ist in etwa mit der Probezeit eines Arbeitsverhältnisses vergleichbar. Hier prüfen die Vertragsparteien zunächst, ob sie sich fest binden wollen. Im Rahmen des „Einfühlungsverhältnis" ist der Einfühlende nicht verpflichtet, eine bestimmte Leistung zu erbringen und auch nicht an die Weisungen des Arbeitgebers gebunden.

 
Beschäftigung als Arbeitnehmer 

Anders liegt der Fall, wenn nur zum Schein ein Praktikumsvertrag geschlossen wird und der Betroffene tatsächlich als Arbeitnehmer Arbeitsleistungen für das Unternehmen erbringt. Als Indizien für ein Arbeitsverhältnis werten die Arbeitsgerichte beispielsweise die Vereinbarung einer Probezeit, eine reguläre und betriebsübliche Arbeitszeit und ein deutlich über eine bloße Aufwandsentschädigung hinausgehendes Gehalt.

Lohnwucher gemäß § 138 Absatz 2 BGB liegt vor, wenn Leistung und Gegenleistung in einem auffälligen Missverhältnis zueinander stehen und auf Arbeitgeberseite darüber hinaus noch die Ausbeutung einer Zwangslage, einer erheblichen Willensschwäche oder der Unerfahrenheit anzunehmen ist, beispielsweise wenn der Arbeitnehmer erhebliche Leistungen unentgeltlich erbringt. Für die Beurteilung, ob das Gehalt der Arbeitsleistung angemessen ist, wird das übliche Gehalt in der vergleichbaren Branche herangezogen. Ist sie überwiegend tarifgebunden, so ist der Tariflohn ausschlaggebend. Bei Wirtschaftskreisen, in denen nur selten Tarifverträge gelten, ist das allgemeine Lohnniveau entscheidend. Das Bundesarbeitsgericht bejaht Lohnwucher, wenn der Lohn das übliche Lohnniveau um 2/3 unterschreitet (Az.: 5 AZR 527/99). Kommen weitere Umstände hinzu, kann Lohnwucher auch schon bei einem Gehalt von 3/4 des üblichen Entgelts vorliegen.

 
Anspruch auf Arbeitnehmergehalt 

Erst kürzlich hatte das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg über die Gehaltshöhe für eine als Praktikantin angestellte Diplomingenieurin zu entscheiden, die von ihrem Arbeitgeber unter Berücksichtigung der geleisteten Arbeitszeit lediglich einen Stundenlohn von 2,46 Euro (375 Euro brutto monatlich) erhielt, obwohl sie in Vollzeit als Arbeitnehmerin im Betrieb tätig war und auch entsprechende Arbeitsleitungen erbracht hatte. Die Stuttgarter Richter gaben der Frau Recht. Weil sie im Rahmen ihres sechsmonatigen Praktikums nur in einer Abteilung des Unternehmens tätig und weisungsgebunden war, wertete das Gericht dies als Indiz, dass bei ihrer Tätigkeit die Ausbildung nicht im Vordergrund stand. Damit war sie als Arbeitnehmerin tätig und konnte ein Monatsgehalt in Höhe von 1.522,50 Euro brutto beanspruchen, vergleichbar mit dem Regelgehalt eines Sachbearbeiters (Az.: 5 Sa 45/07).

 
Leistungsklage wegen Sittenwidrigkeit 

Sind die Voraussetzungen des § 138 Absatz 2 BGB erfüllt und liegt mithin eine sittenwidrige Vergütungsvereinbarung vor, hat der Arbeitnehmer die Möglichkeit, gegen den Wucherlohn mit einer Leistungsklage vorzugehen und auf reguläre Entlohnung gemäß § 612 BGB zu klagen. Darüber hinaus kann das Arbeitsgericht das Bestehen eines regulären Arbeitsverhältnisses feststellen.

Auf Seiten des Arbeitgebers kommt neben den arbeitsrechtlichen Folgen auch eine Strafbarkeit wegen Wucher nach § 291 Absatz 1 Nr. 3 Strafgesetzbuch (StGB) in Betracht.

(WEL)

Foto(s): ©iStockphoto.com

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