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Ungeklärte Verbrechen: Dem Täter auf der Spur

  • 10 Minuten Lesezeit
Esther Wellhöfer anwalt.de-Redaktion

Am 23. Juni kommt „Der Mandant“ ins Kino. In dem spannenden amerikanischen Justizthriller stößt ein Strafverteidiger auf ein ungeklärtes Verbrechen. Bei ungelösten Verbrechen handelt es sich oft um Mord, Gewalt- und Sexualstraftaten. Das hängt unter anderem mit der Beweisführung zusammen, die bei diesen Verbrechensarten besonders aufwendig ist. Andererseits haben sich Kriminaltechniken und forensische Methoden in den letzten Jahrzehnten enorm weiterentwickelt, so dass sich heute oft neue Beweise in alten Fällen finden lassen. Die Redaktion von anwalt.de zeigt anhand einiger spektakulärer Beispiele, wie man in den Vereinigten Staaten versucht, solche sog. Cold Cases aufzuklären.

[image]Organisation der Polizeibehörden

In den letzten Jahren wurden in den USA die Ermittlungen bei ungelösten Verbrechen immer stärker forciert - auf allen Ebenen der Polizeiarbeit. Von Spezialabteilungen mit vielen Beamten in großen Behörden bis hin zu einzelnen Ermittlern in kleineren Revieren ist man den Tätern auf der Spur. Um die Aufklärung ungelöster Fälle weiter voranzutreiben, werden außerdem spezielle Projekte umgesetzt, die sich auf eine festgelegte Anzahl von Fällen aus bestimmten Jahrgängen konzentrieren. Die Polizei New Haven in Connecticut hat beispielsweise in Zusammenarbeit mit dem FBI eine solche Spezialabteilung für ungeklärte Verbrechen eingerichtet. In 101 Fällen wird neu ermittelt, die bis ins Jahr 1979 zurückreichen.

Einrichtung von Spezialeinheiten

Schon im April 2011 zeigte sich der erste Erfolg: Der Polizeichef von New Haven konnte die Lösung eines Doppelmordes und die Verhaftung des Tatverdächtigen vermelden. Im Jahr 2000 waren ein Mann und eine Frau auf der Straße erschossen worden. Ein Ermittler der Spezialeinheit fand einen neuen Ermittlungsansatz, der letztendlich zum Verdächtigen führte: Vor dem Schusswechsel hatte der Täter am Tatort einen Streit mit einem Mann, von dem er eine Waffe gekauft hatte. Er versuchte vergeblich, sie zurückzugeben. Kurz darauf kam er an den Ort zurück und begann zu schießen. Das deutet nach Ansicht der Ermittler darauf hin, dass der Täter die zwei Opfer nicht gezielt töten wollte. Der mutmaßliche Täter hat ein langes Vorstrafenregister, unter anderem wegen Besitzes einer Waffe und von Drogen. Seit Januar 2005 verbüßt er eine Freiheitsstrafe von 21 Jahren, weil er schon 2004 jemanden angeschossen und kaum drei Wochen später auf seine Freundin geschossen hatte.

Vorgehen bei der Fallauswahl

Natürlich lohnt es sich nicht, jeden ungelösten Fall neu aufzurollen. Damit die Ermittlungen möglichst effizient sind, muss die Auswahl der Fälle gut überlegt sein. Ob eine Wiederaufnahme der Ermittlungen Sinn macht, richtet sich nach verschiedenen Kriterien. Zunächst müssen die Gründe geprüft werden, warum der Fall seinerzeit nicht aufgeklärt werden konnte. War die Technologie damals nicht fortschrittlich genug für die Beweisanalyse? Waren die Zeugen gegenüber der Polizei voreingenommen? Oder lag es daran, dass die Ermittler damals schlichtweg überarbeitet waren und nicht ausreichend Zeit hatten, in dem Fall zu ermitteln? Diese Fragen spielen für die Neuaufnahmen der Ermittlungen eine entscheidende Rolle.

Vorermittlungen bei Beweisen

Wird ein Ermittler auf einen ungeklärten Fall angesetzt, muss er strategisch vorgehen. Zuerst steht ein Besuch der Asservatenkammer an. Denn neue Ermittlungen lohnen sich nicht, wenn die Beweismittel im Laufe der Jahre beschädigt oder zerstört wurden. Sie müssen intakt sein, damit man sie für weitere Analysen überhaupt verwenden kann. Als Nächstes nimmt sich der Ermittler die Personen vor, die damals in die Tat verwickelt waren. Sind beispielsweise die Hauptbelastungszeugen oder der Hauptverdächtige bereits verstorben, machen neue Ermittlungen meist keinen Sinn. Darüber hinaus werden alle vorhandenen Daten neu aufbereitet. Der Ermittler wertet die vorhandenen Polizeiberichte, Notizen, Laborbelege, Fotografien, Tatortdiagramme, Zeugenlisten, Vernehmungsprotokolle und andere Beweise aus und strukturiert sie neu. Erst danach macht er sich auf die Suche nach neuen Beweisen.

Suche nach Tatbeteiligten

Der Spezialist muss herausfinden, wo Tatbeteiligte und Zeugen jetzt leben und entscheiden, ob neue Vernehmungen Sinn machen. Hat sich ihre Situation in irgendeiner Weise geändert, die für den Fall relevant ist? Der Faktor Zeit kann bei Zeugenaussagen eine positive und eine negative Rolle spielen. Mit der Zeit schwindet bei einer Zeugenaussage die Stichhaltigkeit. Es ist allgemein bekannt, dass die Erinnerungen an den Tathergang allmählich verblassen. Außerdem ist bei einer erneuten Zeugenbefragung Fingerspitzengefühl gefragt. Insbesondere bei Opfern und deren Angehörigen kann nach all den Jahren die erneute Konfrontation mit der Tat schwere Folgen haben und ein an sich verarbeitetes Trauma erneut auslösen. Doch die Zeit leistet den Ermittlern manchmal auch gute Dienste. Gerade bei Zeugen, die damals für den Täter noch Sympathie hegten, kann sich die Einstellung inzwischen geändert haben und etwa das Verhältnis merklich abgekühlt sein.

Neue Situation eines Zeugen

Im Jahr 1967 wurden zwei Frauen in einer Eisdiele bei Staunton in Virginia erschossen. Sie wurden mit Kopfschüssen im Hinterzimmer aufgefunden. Zunächst wurde ein Mann verdächtigt, den damals ein in dem Fall ermittelnder Polizist in einer Telefonzelle in der Nähe des Tatorts gesehen hatte. Allerdings sprach die Jury den Hauptverdächtigen aus Mangel an Beweisen frei. Erst 2006 packte eine Zeugin bei einem Privatdetektiv endlich aus: Seinerzeit hatte ihr eine Bekannte eine Pistole mit dem Kaliber der Tatwaffe gezeigt und gesagt, sie hätte für eines der Opfer eine Kugel reserviert. Diese Information will die Zeugin schon in jener Zeit an den Polizeibeamten weitergegeben haben. Ihre Aussage habe er aber abgetan und darauf hingewiesen, dass diese Bekannte eine Meisterschützin sei. Die Zeugin fasste das als Drohung auf und schwieg bis kurz vor dem Tod des Polizisten. 2006 erfuhr der Detektiv von der Aussage. Schließlich fand er die Bekannte der Zeugin in einem Pflegeheim. Nach mehreren Anläufen gab sie zu, die beiden Frauen erschossen zu haben, weil sie herumerzählt hätten, dass sie homosexuell sei. Allerdings sei der Mord nicht geplant gewesen. Warum sie dann ihre Waffe zur Eisdiele mitgenommen hatte, konnte der Ermittler nicht mehr klären. Täterin und Zeugin verstarben, noch bevor alle Frage beantwortet werden konnten.

Methode DNA-Analyse

Seit seiner Einführung Mitte der 80er Jahre hat der DNA-Abgleich die Kriminaltechnik revolutioniert. Mit seiner Hilfe lassen sich viele alte Fälle heute lösen. Denn die DNA (Desoxyribonukleinsäure) eines jeden Menschen ist individuell. Blut, Schweiß, Gewebe und Speichel eines Menschen enthalten Zellen mit derselben DNA. Mittels verschiedener Verfahren und in mehreren Schritten werden auf der DNA spezifische Regionen (loci) ausgewertet und in einer zentralen Datenbank gespeichert. Diese können dann mit DNA-Spuren abgeglichen werden, die im Zusammenhang mit der Straftat gesichert wurden. Die Ermittler haben auf verschiedene Datenbanken Zugriff. Speziell für Ermittlungen bei ungelösten Verbrechen hat das FBI die Datenbank CODIS entwickelt. Dort kann Genmaterial mit 13 spezifizierten loci von Straftätern und auch von vermissten Personen abgerufen und verglichen werden.

Identifizierung der Täter

Dank der DNA-Analyse konnte nach mehr als 35 Jahren eine Serie von Morden und Vergewaltigungen gelöst werden, die in den 70er Jahren ihren Anfang nahm. Alle Fälle weisen einen ähnlichen Tatablauf auf. Die Opfer waren Frauen zwischen 50 und 90 Jahren. Der Täter brach in ihre Wohnungen und Häuser ein, vergewaltigte und erwürgte sie anschließend. Bevor er den Tatort verließ, bedeckte er ihre Gesichter mit einer Decke oder einem Kopfkissen. Auf die Spur des Täters kam die Polizei mit einem DNA-Abgleich. Die bei zwei Opfern gefundenen DNA-Spuren stimmten mit der DNA-Probe eines ehemaligen Versicherungssachbearbeiters überein. Das DNA-Material des Täters, der schon mehrfach wegen Vergewaltigung inhaftiert war, stammte ursprünglich aus einer Untersuchung über einen anderen Serienkiller. Mit der Analyse seiner DNA gelang es den Ermittlern, ihn mit der Mordserie in Verbindung zu bringen und weitere Beweise zu finden: Zum einen wurden die Morde immer dort begangen, wo er gelebt hatte. Der Täter war mehrfach umgezogen. Zum anderen verlief die Serie in zwei Wellen. Zu der Zeit, in der er im Gefängnis saß, wurden keine Morde mit diesem Tatmuster begangen. Im April 2011 wurde er wegen Mord in sieben Fällen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Er wird verdächtigt, mindestens 10 bis 15 weitere Morde begangen zu haben.

Identifizierung der Opfer

Die DNA-Analyse hilft nicht nur, Täter ungeklärter Verbrechen zu finden. Inzwischen wird diese forensische Methode auch zur Identifizierung unbekannter Verbrechensopfer angewandt: Nach mehr als 55 Jahren konnte der Fall von „Jane Doe“ aufgeklärt werden. Ihre Leiche wurde im April 1954 nackt am Ufer eines Flusses bei der Stadt Boulder in Colorado entdeckt. Weil die Ermittler nicht herausfanden, wer sie war, gaben sie der etwa Zwanzigjährigen den Namen „Jane Doe“. Man vermutete, dass sie das Opfer eines Serienkillers geworden war, der wegen Mordes an drei Frauen 1959 in Kalifornien hingerichtet wurde. 2004 wurde Janes Leiche exhumiert und schließlich im Jahr 2009 mithilfe der DNA ihrer Schwester identifiziert.

Wissen und Informationen

Gerade bei der DNA-Analyse ist ein effektiver Wissensaustausch zwischen Ermittler und Kriminallabor erforderlich. Das zeigt der Fall von Chula Vista, Kalifornien: 1976 wurde die Leiche einer jungen Frau gefunden. Sie war mit mehr als dreißig Messerstichen getötet worden. Zwar deuteten einige Indizien auf einen Hauptverdächtigen hin. Doch die letzten stichhaltigen Beweise fehlten. Der Anblick des Tatortfotos ließ damals einen jungen Polizeibeamten nicht mehr los. Jahrzehnte lang versuchte er vergeblich, den Täter dingfest zu machen. Obwohl er inzwischen im Ruhestand war, trat er einer Sondereinheit für ungeklärte Verbrechen bei und rollte den Fall neu auf. Proben von den Fingernägeln des Opfers ließ er vom Labor auf Blutspuren untersuchen - leider ohne Erfolg. Damals wusste er nur wenig über die DNA-Analyse. Sechs Jahre später sprach er mit einer Kriminologin über den Fall. Sie brachte ihn auf die entscheidende Idee: Er sollte die Fingernägel nicht nach Blut- sondern nach Hautspuren untersuchen lassen. Und das Labor wurde fündig. Nach über 31 Jahren konnte dem Hauptverdächtigen endlich der Mord nachgewiesen werden. Trotzdem bleibt ein bitterer Beigeschmack. Denn der Täter konnte für seine Tat gerichtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden. Er war 2001 im Gefängnis an Hepatitis C gestorben.

Methode Fingerabdruckabgleich

Schon ca. 221 vor bis 220 nach Christi Geburt war im alten China die Einzigartigkeit von Fingerabdrücken bekannt. Sie wurden als Identifikationsmerkmale genutzt, zum Beispiel auf Dokumenten und Stempeln. Vergleichsweise spät fand der Fingerabdruck den Weg in die Kriminaltechnik. Anfang 1902 wurden Fingerabdrücke zur Überführung von Straftätern vor Gericht verwendet. Konnten die Ermittler früher nur Abdrücke von Verdächtigen mit denen abgleichen, die am Tatort gefunden worden waren, wurde erst mit Fingerabdruckregistern ein Vergleich auch mit Personen möglich, die von den Ermittlern nicht in Zusammenhang mit dem Verbrechen gebracht wurden. Gedruckte Sammlungen der Fingerabdrücke von Gefängnisinsassen wurden im Laufe der Jahre zu elektronischen Datenbanken weiterentwickelt, die einen schnellen Abgleich ermöglichen und weitere biometrische Daten enthalten.

Abgleich in zentraler Datenbank

Im Jahr 2002 entschied das FBI, eine zentrale Datenbank einzurichten, die Fingerabdrücke von allen Inhaftierten aus 50 Einzelstaaten bündelt. Und der Erfolg stellte sich schnell ein. Mithilfe der Datenbank gelang es, einen zweifachen Mörder und Vergewaltiger zu überführen, der im Jahr 1957 in Kalifornien fünf Teenager gekidnappt und einen davon vergewaltigt hatte. Nach der Tat fuhr er in einem gestohlenen Auto über eine rote Ampel. Als eine Streife ihn deshalb anhielt, erschoss er die beiden Polizisten. In dem Wagen fand man einen Fingerabdruck. Aber erst durch die Datenspeicherung über die Grenzen der Staaten hinweg, konnten die gefundenen Fingerabdrücke denen des Täters zugeordnet werden. Nachdem er mit weiteren Beweisen konfrontiert wurde, gestand er schließlich die Tat. Er sitzt heute in South Carolina eine lebenslange Freiheitsstrafe ab.

Methode Ballistik

Mithilfe der Ballistik lassen sich Erkenntnisse bei Kriminalfällen mit Schusswaffen gewinnen. Wird ein Geschoss abgefeuert, prägen kleinste Grate im Lauf oder am Schlagbolzen markante Kerben in das Geschoss beziehungsweise in die Patronenhülse ein. Durch diese Spuren kann man ein Geschoss einer Waffe zuordnen. Die Kratzer sind bei jeder Waffe individuell, ähnlich wie ein Fingerabdruck. Aber die Kriminaltechniken beschränken sich nicht nur auf diese sog. Innenballistik. Mit der Abgangsballistik kann man herausfinden, welche Vorgänge an der Laufmündung auftreten. Die Außenballistik liefert Erkenntnisse zur Laufbahn des Geschosses und die Zielballistik gibt Hinweise, welche Spuren das Geschoss im Ziel hinterlässt. Wird zum Beispiel kein Projektil gefunden, lässt sich mittels der Wundballistik mit einem CT Scan das Kaliber der Schusswaffe ermitteln.

Vom Projektil zum Täter

Durch die Weiterentwicklung ballistischer Methoden lassen sich heute ungeklärte Verbrechen aufklären, die mehrere Jahrzehnte zurückliegen. 1961 wurde ein Taxifahrer in Südkalifornien mit einem Kopfschuss ermordet und von einer Klippe gestürzt. Weil seine Taschen leer waren und er kein Geld bei sich hatte, vermutete die Polizei einen Raub hinter dem Verbrechen. Drei Wochen später war ein junger Soldat bei einer Polizeikontrolle aufgefallen. Er trug eine Pistole Kaliber 32 bei sich. Es war derselbe Waffentyp, der bei der Ermordung des Taxifahrers verwendet wurde. Über 39 Jahre blieb der Mord ungeklärt. Bis es den Ballistikern 2001 dank neuer Ballistikmethoden endlich gelang, das Geschoss eindeutig der Waffe des Verdächtigen zuzuordnen. Gestützt auf die ballistischen Beweise und die Aussage des Polizeibeamten, der damals die Polizeikontrolle durchgeführt hatte, wurde der Täter wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

(WEL)

Wie Strafverteidiger Haller ungelöste Fälle behandelt - sehen Sie selbst ab 23. Juni in den deutschen Kinos.

Foto(s): ©iStockphoto.com

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