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Bahnstreik – Warum ist der Streit zwischen Bahn und GDL so heftig?

  • 3 Minuten Lesezeit
Christian Günther anwalt.de-Redaktion

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Es soll der längste Streik in der Geschichte der Bahn werden. Fast eine Woche lang will die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) streiken: 138 Stunden im Güterverkehr ab Montagnachmittag, 15 Uhr, 127 Stunden im Personenverkehr, ab Dienstagnacht, 2 Uhr. Enden soll er erst am Sonntagmorgen, 9 Uhr. Der seit fast einem Jahr dauernde Tarifstreit zwischen Deutscher Bahn und GDL erreicht mit dem nunmehr achten Streik eine weitere Stufe der Eskalation. Vermutlich wird es nicht die letzte sein.

Abkehr vom Grundsatz der Tarifeinheit

Warum ist das so? Ginge es nur um die Arbeitsbedingungen wie Löhne und Arbeitszeiten, wäre der Streit längst beendet. Und würde der Streik einen weniger einschneidenden Bereich für Bevölkerung und Wirtschaft als den Schienenverkehr betreffen bzw. zu einer Zeit, in der die Abläufe weniger verzahnt sind als in der heutigen Gesellschaft: Es würde sich kaum jemand dafür interessieren.

Im Jahr 2010 vollzog das Bundesarbeitsgericht (BAG) jedoch eine 180-Grad-Wende bei seiner bisherigen Rechtsprechung (Beschluss v. 27.01.2010, Az.: 4 AZR 549/08 (A) und Urteil vom 07.07. 2010, Az.: 4 AZR 549/08). Jahrzehntelang entschied das höchste Arbeitsgericht: „Ein Betrieb – ein Tarifvertrag.“ Diesen von ihm selbst entwickelten Grundsatz der Tarifeinheit erklärte es nun für verfassungswidrig. Der Grundsatz verstoße gegen die in Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz (GG) garantierte Koalitionsfreiheit, dem Recht von Arbeitgebern und Arbeitnehmern Vereinigungen zu gründen und Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen selbst auszuhandeln. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden garantiert die Koalitionsfreiheit insbesondere den Abschluss von Tarifverträgen und das Ergreifen dazu notwendiger Arbeitskampfmaßnahmen. Der Staat darf seine Finger nur ins Spiel bringen, wenn er dabei andere Rechte von Verfassungsrang anführen kann – und auch dann, muss dies verhältnismäßig erfolgen. Diese hohe Hürde hat zur wesentlichen Klärung tarifrechtlicher Fragen durch die Gerichte anstelle des Gesetzgebers geführt.

Tarifeinheitsgesetz soll Lösung bringen

Infolge der Abkehr von der Tarifeinheit durch das BAG trafen sich noch im selben Jahr die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). In ungewöhnlicher Einheit plädierten sie für eine gesetzliche Verankerung der Tarifeinheit. Die Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern in einem Betrieb solle gültige Tarifverträge verhandeln können. Kleinere Gewerkschaften müssten sich den Interessen der größten Gewerkschaft unterordnen. Ihr Streikrecht bliebe zwar unangetastet. Es verkäme aber, da die kleineren Gewerkschaften keine gültigen Tarifverträge mehr abschließen könnten, zum stumpfen Schwert.

Im Oktober 2014 legte Bundesarbeitsministerin Nahles den Entwurf eines entsprechenden Tarifeinheitsgesetzes vor. Heute soll eine Anhörung zu dem geplanten Gesetz im Bundestag stattfinden. Im Juli soll der Bundesrat darüber beraten. Noch in diesem Sommer könnte das Gesetz in Kraft treten. Für diesen Fall haben neben der GDL auch weitere kleinere Gewerkschaften wie der Marburger Bund und die Pilotenvereinigung Cockpit eine Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht ebenso wie zuletzt auch die Großgewerkschaft ver.di angekündigt. Ob das Tarifeinheitsgesetz die Koalitionsfreiheit verletzt, ist stark umstritten.

Keine Aussicht auf Einigung

Bis dahin ist mit keinem Ende des Streits bei der Bahn zu rechnen. Die GDL konkurriert bei der Bahn mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) darum, wer von ihnen die meisten Bahnmitarbeiter vertritt und damit künftig das Sagen hat. Je nach Berechnungsmethode ergeben sich unterschiedliche Mitgliederzahlen. Problematisch ist aber auch der Anwendungsbereich. Demnach kommt die Mehrheitsregel nur zum Zuge, wenn sich die Geltungsbereiche nicht inhaltsgleicher Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften überschneiden.

Eine gemeinsame Verhandlung mit der Bahn oder gar eine Zusammenarbeit lehnen beide Gewerkschaften ab. Die Bahn will wiederum einheitliche Abschlüsse für dieselben Berufsgruppen erreichen. Aus Sicht der GDL entbrennt der Tarifstreit zurzeit besonders an der Gruppe der sogenannten Lokrangierführer. Diese sind überwiegend aber nicht nur in der EVG vertreten, während umgekehrt die Mehrzahl der Lokführer Mitglied der GDL ist, sie aber auch bei der EVG zu finden sind. Da die Lokrangierführer aus Sicht der Bahn überwiegend Rangiertätigkeiten an Bahnhöfen ausüben, statt die Strecken zu bedienen, will sie die Lokrangierführer anders als die Lokführer entlohnen. Über Zuschläge erhielten die Rangierführer trotz ihres im Vergleich zu Lokführern niedrigeren Grundgehalts eine vergleichbare Bezahlung. Aus Sicht der GDL üben sie die gleiche Tätigkeit wie Lokführer aus, da sie insbesondere auch oft auf den Strecken unterwegs seien. Diese fordert daher gleichen Lohn wie Arbeitszeiten. Gleichzeitig wirft die Lokführer-Gewerkschaft der Bahn vor, den Streit bis zum Inkrafttreten des Tarifeinheitsgesetzes verschleppen zu wollen.

Bahnreisenden, die nun abermals vom Streik betroffen sind, bleiben nur die in diesem Rechtstipp beschriebenen Möglichkeiten.

(GUE)

Foto(s): ©Fotolia.com

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