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Betriebsbedingte Kündigung - entlassen und verlassen?

  • 6 Minuten Lesezeit
Esther Wellhöfer anwalt.de-Redaktion

Derzeit wird man mit immer neuen erschreckenden Zahlen konfrontiert: Allein für das Jahr 2009 plant Siemens den Abbau von über 5.000 Stellen, Heidelberg Druck streicht voraussichtlich 3.000, die Hypovereinsbank 1.500, die Commerzbank/Dresdner Bank 6.500, die HS Nordbank 1.000 und Sinn Leffers 1.000 Arbeitsplätze. Und laut Angaben des Bundesverbandes Zeitarbeit haben bislang bereits 250.000 Zeitarbeiter ihren Job verloren. Wegen der Wirtschaftskrise sind immer mehr Beschäftigte von einer betriebsbedingten Kündigung bedroht und betroffen. Eine solche betriebsbedingte Kündigung kommt nicht nur in Frage, wenn es um eine Betriebsstilllegung geht. Sie kann auch wegen Rationalisierung, Änderung des Produktionsablaufs oder Standortverlagerung erfolgen. Die Redaktion von anwalt.de informiert, welche Regeln im Falle einer betriebsbedingten Kündigung gelten.

[image] Chancen bei betriebsbedingter Kündigung

Der in Deutschland geltende Kündigungsschutz stellt an die Arbeitgeber strenge Anforderungen im Fall einer Kündigung. Schließlich ist hier Bestandsschutz und der Erhalt des Arbeitsplatzes oberstes Gebot. Die Kündigung ist dem Arbeitgeber nur als letztes Mittel erlaubt und scheidet beispielsweise aus, wenn der Arbeitnehmer an anderer Stelle im Unternehmen weiterbeschäftigt werden kann (sog. Vorrang der Änderungskündigung).

Allerdings ist in den letzten Jahrzehnten der Kündigungsschutz schleichend aufgeweicht worden und die strengen Regeln des Kündigungsschutzgesetzes gelten inzwischen für immer weniger Arbeitnehmer. Zum einen wurden immer mehr Beschäftigungsverhältnisse etabliert, bei denen der Kündigungsschutz nicht oder nur eingeschränkt besteht: Derzeit sind 2,7 Millionen Menschen befristet und 550.000 als Zeitarbeiter beschäftigt. Diese Beschäftigungsformen sind vom Gesetzgeber immer weiter ausgeweitet und die Möglichkeit der Kündigungsschutzklage durch Anhebung des Schwellenwertes von fünf auf zehn Beschäftigte eingegrenzt worden. Hinzu kommt, dass die Zusagen von Arbeitgebern, wie etwa die jetzt zwischen Schaeffler und der IG Metall vereinbarte Beschäftigungssicherung bis Mitte Juni 2010 oder die von Daimler angebotene Beschäftigungssicherung, nicht direkt von den Arbeitnehmern gerichtlich einklagbar sind und einseitig von Arbeitgeberseite gekündigt werden, so geschehen zuletzt bei Heidelberger Druck.  Häufig können die Arbeitsgerichte auch nur zugunsten des Arbeitgebers entscheiden, denn die Sinnhaftigkeit der unternehmerischen Entscheidungen dürfen sie nicht überprüfen (sog. eingeschränktes Prüfungsrecht).

Auf den ersten Blick mag die rechtliche Ausgestaltung des Kündigungsschutzes also für Arbeitnehmer eher schwach erscheinen. Aber tatsächlich gibt es durchaus Chancen, sich gegen eine betriebsbedingte Kündigung zu wehren. Denn in vielen Fällen ist eine Kündigung rechtswidrig und unwirksam, weil dem Arbeitgeber dabei Fehler unterlaufen. Daher kann es sich für Arbeitnehmer durchaus lohnen, gegen eine Kündigung Kündigungsschutzklage einzureichen - mit dem Ziel, in dem Betrieb weiter beschäftigt zu werden oder wenigstens eine Abfindung zu erhalten. Arbeitnehmer, die eine betriebsbedingte Kündigung erhalten oder davon erfahren, sollten jedenfalls fachkundigen Rat einholen, damit sie ihre Rechte gegenüber dem Arbeitgeber wahren können.

In diesem Zusammenhang ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes zur Erstattungspflicht der Rechtsschutzversicherung empfehlenswert. Lesen Sie hierzu den aktuellen anwalt.de-Rechtstipp „Rechtsschutz bei betriebsbedingter Kündigung".

Bei Kündigungsschutzklage auf Drei-Wochen-Frist achten

Nur mithilfe einer Kündigungsschutzklage kann der Arbeitnehmer seine Rechte bei einer Kündigung wahren. Wer Bedenken in Hinblick auf die Rechtmäßigkeit seiner Kündigung hat, muss innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht einreichen. Vorsicht: Arbeitnehmer sollten sich nicht mit Verhandlungen mit dem Arbeitgeber über eine Weiterbeschäftigung oder einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses und einen Einspruch beim Betriebsrat von der Einreichung einer Kündigungsschutzklage abhalten lassen. Denn wenn die dreiwöchige Klagefrist abgelaufen ist, wird sogar eine rechtswidrige Kündigung bestandskräftig.

Das Bundesarbeitsgericht ist sehr streng, wenn die Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage vom Arbeitnehmer nicht eingehalten wird. Das zeigt sich an einem aktuellen Urteil der Erfurter Arbeitsrichter: Ein Arbeitnehmer wollte gegen seine Kündigung gerichtlich vorgehen und wandte sich an die Geschäftsstelle seiner Gewerkschaft. Als der Büroleiter zum vereinbarten Termin keine Zeit hatte, hinterließ der Beschäftigte seine Unterlagen im Gewerkschaftsbüro, damit die Gewerkschaft für ihn als Prozessvertreter die Kündigungsschutzklage einreicht. Doch wegen Bauarbeiten in den Gewerkschaftsräumen gingen die Unterlagen für mehrere Wochen verloren. Nachdem sie wieder aufgetaucht waren, beantragte die Gewerkschaft beim Arbeitsgericht die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage, die abgelehnt wurde. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts fiel zu Lasten des Gekündigten aus und die Kündigung wurde vom Gericht wegen der Fristversäumung als von Anfang an wirksam beurteilt. Der Arbeitnehmer musste sich die Fristversäumung anrechnen lassen, obwohl er selbst daran schuldlos war (Urteil v. 28.05.2009, Az.: 2 AZR 548/08).

Klageberechtigung nach Anzahl der Beschäftigten

Kündigungsschutzklage können nur Arbeitnehmer erheben, die in einem Betrieb mit mehr als zehn Arbeitnehmern beschäftigt sind. Azubis werden bei diesem Schwellenwert nicht als Arbeitnehmer mitgezählt. Arbeitnehmer, deren Beschäftigungsverhältnis bis einschließlich 31.12.2003 begonnen hat, sind klageberechtigt, wenn in ihrem Betrieb mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt waren, Mitarbeiter, die ab dem 01.01.2004 neu eingestellt wurden, werden dann dabei aber nicht mitgezählt. Grund für diese Sonderregelung ist eine Anhebung des Schwellenwertes für das Kündigungsschutzgesetz, die der Gesetzgeber mit In-Kraft-Treten seit dem 01.01.2004 vorgenommen hat.

Mit der Anhebung des Schwellenwertes hat der Gesetzgeber schätzungsweise 4,8 Millionen Beschäftigten die Kündigungsschutzklage verwehrt. Doch auch sie stehen nicht völlig ohne Rechte da. Arbeitnehmer, die in Kleinbetrieben beschäftigt sind und nicht unter das Kündigungsschutzgesetz fallen, können ebenfalls gerichtlich Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis durchsetzen, etwa eine Abfindung. Zudem gilt auch für sie ein spezieller Kündigungsschutz, z.B. wenn sie schwerbehindert oder in Elternzeit oder Pflegezeit sind.

Gericht prüft Arbeitgeberentscheidung nur eingeschränkt

Ob die unternehmerische Entscheidung an sich richtig war, wird von den Arbeitsgerichten nicht geprüft, d.h. im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses spielt es keine Rolle, ob beispielsweise die Rationalisierung an sich sinnvoll oder die Betriebsstilllegung zweckmäßig war. Denn grundsätzlich steht es allein im Ermessen des Arbeitgebers, wie er sein Unternehmen organisiert und ausgestaltet.

Dass die Gründe für eine betriebsbedingte Kündigung nur eingeschränkt der gerichtlichen Kontrolle unterliegen, bedeutet aber nicht, dass es dem Arbeitgeber völlig frei steht, eine betriebsbedingte Kündigung auszusprechen. Er muss viele gesetzliche formelle und auch materielle Kriterien beachten, z.B. den Betriebsrat hinzuziehen und auch die sog. Sozialauswahl ordnungsgemäß nach den gesetzlichen Vorgaben durchführen.

Dabei darf der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer grundsätzlich nur betriebsbedingt kündigen, wenn folgende drei Voraussetzungen erfüllt sind:

1. Eine betriebsbedingte Kündigung ist zunächst nur gerechtfertigt, wenn sie aus dringenden betrieblichen Gründen erforderlich ist. Sowohl innerbetriebliche als auch außerbetriebliche Gründe kommen in Betracht, die tatsächlich gegeben sein müssen.

2. Weiter muss der Arbeitgeber - spätestens im Gerichtsprozess - nachweisen, dass der Arbeitsplatz tatsächlich wegfällt und keine Weiterbeschäftigung möglich ist, z.B. in einer anderen Abteilung.

3. Schließlich hat er eine korrekte Sozialauswahl zutreffen und darf nur dem Arbeitnehmer kündigen, der durch einen Arbeitsplatzverlust am wenigsten belastet ist, sofern nicht der gesamte Betrieb geschlossen werden soll. Dabei muss er insbesondere soziale Kriterien berücksichtigen, z.B. Alter, Unterhaltsverpflichtung, Behinderung, Betriebszugehörigkeit des Mitarbeiters.

Weitere Informationen zur Sozialauswahl und wie sich Fehler bei einer fehlerhaften Punktevergabe auswirken, finden Sie im anwalt.de-Rechtstipp „Sozialauswahl anhand der Rangliste".

Kündigung wegen Umsatzrückgang und Auftragsmangel

Häufig ziehen Arbeitgeber eine betriebsbedingte Kündigung wegen Umsatzeinbruch oder mangelnder Aufträge in Betracht. Beides wird als Kündigungsgrund von den Arbeitsgerichten anerkannt. Nur in seltenen Fällen beruht eine betriebsbedingte Kündigung allein auf der wirtschaftlichen oder finanziellen Entwicklung (außerbetrieblicher Kündigungsgrund), z.B. Umsatzeinbruch, Auftragswegfall, Auftragsmangel, Gewinnverfall, veränderte Marktstrukturen etc. In den meisten Fällen führt die Verschlechterung der Unternehmenssituation zu einer entsprechenden Entscheidung des Arbeitgebers, die zu einem innerbetrieblichen Kündigungsgrund führt, etwa Umstellung von Drei- auf Zwei-Schichten, Rationalisierung, Betriebsstilllegung, Schließung einer Abteilung etc.

Wird eine Firma beispielsweise wegen eines Auftragsrückgangs umstrukturiert, muss der Arbeitgeber außerdem im Fall eines Prozesses genau belegen können, dass der Arbeitsplatz des Gekündigten auf Dauer weggefallen ist. Er muss zwar nicht beweisen können, dass der konkrete Arbeitsplatz weggefallen ist. Allerdings hat er darzulegen, dass der Auftragswegfall mit dem Arbeitsplatz in Zusammenhang steht. Darüber hinaus muss er vor dem Arbeitsgericht den durch den Auftragseinbruch bedingten Überschuss an Arbeitsplätzen belegen und die damit zusammenhängende Personaländerung genau nachweisen.

Zudem muss die Entscheidung des Arbeitgebers bereits zum Zeitpunkt der Kündigung endgültig feststehen und auch in gewissem Sinne bereits erste Formen angenommen haben, beispielsweise wenn ein Auftrag ersatzlos ausläuft und die zuständige Abteilung deshalb geschlossen wird. Steht die Entscheidung des Arbeitgebers allerdings noch nicht fest, sondern wird eine Schließung lediglich von ihm erwogen, steht er wegen einer Betriebsveräußerung noch in Verhandlungen oder bemüht sich noch um neue Aufträge, reicht dies alleine nicht aus, um eine betriebsbedingte Kündigung zu rechtfertigen (Bundesarbeitsgericht, Urteil v. 13.02.2008, Az.: 2 AZR 543/06).

(WEL)

Foto(s): ©iStockphoto.com

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