Corona-Impfung für Kinder bei gemeinsamem Sorgerecht
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Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern haben am 02.08.2021 beschlossen, Corona-Schutzimpfungen auch für 12- bis 17-Jährige anzubieten. Dabei sollten die bereits von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zugelassenen Corona-Impfstoffe von Moderna sowie von Biontech/Pfizer zur Anwendung kommen und ab sofort in Impfzentren, durch Kinder- und Hausärzte oder auf andere niedrigschwellige Weise angeboten werden.
Die Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) empfiehlt die Corona-Schutzimpfung für unter 18-Jährige hingegen nur bei bestimmten Vorerkrankungen oder bei anderen Risikofaktoren (nähere Informationen hierzu finden Sie hier: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/ImpfungenAZ/COVID-19/Infoblatt_Impfung_Kinder_und_Jugendliche.pdf?__blob=publicationFile).
Eine allgemeine Impfempfehlung für minderjährige Kinder gibt es von der STIKO nicht.
Welche Konsequenzen sich aus dieser Konstellation für getrennt lebende Eltern ergeben, die das gemeinsame Sorgerecht für ihre Kinder ausüben, aber unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Corona-Schutzimpfung vertreten, zeigt dieser Beitrag.
Entscheidungskompetenzen
Auch bei geteiltem Sorgerecht müssen Eltern nicht alle Entscheidungen über das Kind gemeinsam treffen – solche Angelegenheiten, die häufig vorkommen und keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben (sog. Angelegenheiten des täglichen Lebens) können von dem jeweils betreuenden Elternteil alleine getroffen werden. Nur solche Entscheidungen über Angelegenheit von erheblicher Bedeutung (die schwer abzuändernde Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben können) müssen die Eltern gemeinsam treffen. Können sie sich hierüber nicht einigen, kann das Familiengericht auf Antrag die Entscheidung einem Elternteil übertragen.
Schutzimpfung als Angelegenheit von erheblicher Bedeutung
Die Entscheidung, ob ein minderjähriges Kind gegen eine bestimmte Infektionskrankheit geimpft werden soll, ist in der Rechtsprechung stets als Angelegenheit von erheblicher Bedeutung eingeordnet worden (vgl. BGH vom 03. Mai 2017 - XII ZB 157/16, zuletzt auch: OLG Frankfurt am Main vom 08.03.2021 - 6 UF 3/21). Denn sie fällt (im Gegensatz zu Angelegenheiten des täglichen Lebens) regelmäßig nur einmal an. Zudem kann sie schwer abzuändernde Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben, wobei nicht erheblich ist, ob die Infektionsrisiken im Fall der Nichtimpfung die Impfungsrisiken überwiegen oder umgekehrt.
STIKO-Empfehlung als Maßstab
Das Familiengericht kann im Streitfalle also die Entscheidungsbefugnis, ob das Kind gegen Covid-19 geimpft werden soll, einem Elternteil übertragen. Maßstab für die Entscheidung des Gerichts ist dabei das Wohl des Kindes, wobei die tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten sowie die berechtigten Interessen der Beteiligten zu berücksichtigen sind.
Den Impfempfehlungen der STIKO, die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als medizinischer Standard anerkannt worden sind (vgl. BGH vom 15.02.2000 - VI ZR 48/99), kommt hierbei die Funktion eines antizipierten Sachverständigengutachtens zu. Es wird daher überwiegend vertreten, dass eine an den Empfehlungen der STIKO orientierte Entscheidung über vorzunehmende Impfungen im Ausgangspunkt das für das Kindeswohl bessere Konzept darstellt, wobei die individuellen Lebensumstände des Kindes angemessen zu würdigen sind. Im Hinblick auf eine grundsätzliche Abwägung zwischen den Risiken im Fall einer Impfung und den Risiken bei unterbleibender Impfung wird die Entscheidungsbefugnis daher wahrscheinlich auf den Elternteil übertragen werden, der diesbezüglich den fachlichen Empfehlungen der STIKO folgt (so jüngst OLG Frankfurt am Main vom 08.03.2021 - 6 UF 3/21).
Für die Covid-19-Impfung bedeutet dies, dass im Regelfall (wenn die von der STIKO genannten Vorerkrankungen oder anderen Risikofaktoren nicht vorliegen) einer Entscheidung gegen die Schutzimpfung wahrscheinlich der Vorrang gegeben werden wird.
Was tun bei eigenmächtiger Entscheidung?
Nach dem Gesetz haben die Eltern die elterliche Sorge in eigener Verantwortung und in gegenseitigem Einvernehmen zum Wohl des Kindes auszuüben. Ein absprachewidriges oder eigenmächtiges Handeln ist daher gegenüber dem anderen Elternteil pflichtwidrig. Die absprachewidrig oder eigenmächtig durchgeführte Schutzimpfung kann zwar nicht rückgängig gemacht werden, kann aber eine (mitunter erhebliche) Einschränkung der Erziehungseignung des Elternteils begründen, da ein solches Verhalten und Vorgehen üblicherweise nicht am Wohl des Kindes orientiert ist. Dies kann für den betreffenden Elternteil entsprechend negative Auswirkungen in einem späteren Sorgerechtsverfahren haben.
Ich befürworte die Impfung, der andere Elternteil lehnt sie ab – was nun?
Da die Eltern nach dem Gesetz bei Meinungsverschiedenheiten versuchen müssen, sich zu einigen, bevor sie gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen, sollten Sie frühzeitig das Gespräch mit dem anderen Elternteil suchen. Gegebenenfalls lässt sich ein Einvernehmen auch unter Beteiligung des zuständigen Jugendamtes erzielen. Ist dies nicht möglich oder lehnt der andere Elternteil ein Gespräch über dieses Thema grundsätzlich ab, sollte bei Gericht ein Antrag auf Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis gestellt werden.
Ich lehne die Impfung ab, der andere Elternteil befürwortet sie – was nun?
Schon um Missverständnisse auszuschließen ist es hier ratsam, den anderen Elternteil frühzeitig (und bestenfalls nachweisbar) über Ihren ablehnenden Standpunkt zur Corona-Schutzimpfung des Kindes zu informieren. Sollten Sie den Eindruck gewinnen, dass sich der andere Elternteil über Ihren Standpunkt eigenmächtig hinwegsetzen wird, sollte auch hier (gegebenenfalls im Wege der einstweiligen Anordnung) bei Gericht ein Antrag auf Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis gestellt werden.
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