Häusliche Gewalt und das Strafrecht - Einschätzung eines Fachanwalts für Strafrecht

  • 6 Minuten Lesezeit

Allzu oft wird davon ausgegangen, dass die meisten Straftaten auf offener Straße durch Fremde verübt werden. Dabei steigen gerade die Fall-Zahlen der im eigenen zuhause verübten Gewalt drastisch an. 2022 wurden demnach 180.000 Personen Opfer von häuslicher Gewalt, so die „Welt am Sonntag“. Das sind deutlich mehr Fälle als im Vorjahr. Es sei demnach bundesweit sogar ein Anstieg um 9,3 Prozent im Vergleich zum Jahre 2021 zu verzeichnen. Bis zum 3. Juli soll ein Lagebild der aktuellen Zahlen durch das Bundeskriminalamt erstellt und gemeinsam mit Innenministerin Nancy Fraeser (SPD) und Familienministerin Lisa Paus (Grüne) vorgestellt werden.

Häusliche Gewalt in Zahlen – „Zuhause ist mehr Gewalt eingezogen“

Laut der Bundesregierung gab es im Jahr 2022 mehr als 143.000 Opfer häuslicher Gewalt - 80 Prozent der Betroffenen sind Frauen. Die „Welt am Sonntag“ kommt unter Berufung auf die Innenministerien und Kriminalämter sogar auf 180.000 polizeilich registrierte Fälle. Insbesondere die Zahlen zur sogenannten Partnerschaftsgewalt blieben sehr hoch. 2021 wurden 143.604 Fälle partnerschaftlicher Gewalt durch die Polizei erfasst. Die Dunkelziffer dürfte dabei um ein Vielfaches höher liegen. Insbesondere während der Pandemie-Jahre waren deutliche Anstiege häuslicher Gewalt zu verzeichnen, doch der Aufwärtstrend bleibt bestehen.

Was ist häusliche Gewalt?

Zu häuslicher Gewalt zählen nicht nur körperliche Übergriffe wie Schläge. Vielmehr ist die körperliche Gewalt nur eine Facette eines komplexen Verhaltensmusters, das auf Macht und Kontrolle abzielt. Gewalt kann auch psychisch, sexuell, durch Demütigungen, soziale Isolation oder die Ausübung wirtschaftlichen Drucks verübt werden. Geschieht dies zwischen Menschen, die in einem Haushalt zusammenleben, spricht man von häuslicher Gewalt. Das Schuld- und Schamgefühl der Betroffenen führt oft dazu, dass die Taten nicht polizeilich angezeigt werden.


Auch als Fachanwälte für Strafrecht sind wir häufig mit der Thematik konfrontiert, dass immer mehr Gewalt zuhause verübt wird. Dieser Text soll deshalb eine Übersicht bieten welches Verhalten auch im Rahmen der eigenen vier Wände strafbar ist und demnach angezeigt werden kann und sollte.

Welche Straftaten aus dem Strafgesetzbuch werden bei häuslicher Gewalt verwirklicht?

Häusliche Gewalt ist kein eigener Straftatbestand im Strafgesetzbuch. Es gibt allerdings eine Vielzahl an Delikten, die bei zuhause verwirklichter Gewalt, einschlägig sein und demnach zu einer Strafbarkeit führen könnten. Die meiste Gewalt wird dabei gegen Kinder und Frauen verübt.

Welche Tötungsdelikte könnten verwirklicht sein?

Zum Einen kommen in drastischen Fällen Tötungsdelikte in Frage (bspw. Totschlag, § 212 StGB oder Mord, §§ 211, 212 StGB). Das Leben eines Menschen beenden zu wollen, ist dabei auch im Versuchsstadium strafbar. Außerdem ist neben den bekannten Straftatbeständen immer auch an eine mögliche Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB), womöglich an einen Versuch der Körperverletzung mit Todesfolge und an die fahrlässige Tötung zu denken (§ 222 StGB).

Ist Femizid strafbar?

Immer wieder wird die Debatte aufgeworfen, ob der „Feminizid“, also die Tötung von Frauen und Mädchen allein aufgrund ihres Geschlechts und wegen bestimmter Vorstellung von Weiblichkeit, gesondert in das Strafgesetzbuch aufgenommen werden sollte. Als Grund dafür werden in solchen Fällen tödliche geschlechterspezifische Macht- und Hierarchieverhältnisse angeführt, die sich bisher nicht im Strafrecht niederschlagen. Demnach würden viele Femizide strafrechtlich nicht angemessen beurteilt. Aktuell werden derartige Fälle als Mord (§§ 212, 211 StGB) oder häufiger auch „nur“ als Totschlag (§ 212 StGB) bestraft. Der Unterschied besteht insbesondere darin, dass ein Mord mit lebenslanger Freiheitsstrafe und ein Totschlag mit „nur“ fünf Jahren vergolten werden kann. Um als Mord abgeurteilt zu werden, müsste der Täter das Mordmerkmal der sogenannten „niedrigen Beweggründe“ erfüllt haben, für welches (gerade bei Trennungen und Beziehungskonstellationen) eine hohe Schwelle gilt.

Körperverletzungsdelikt

Die meisten Fälle der körperlich verübten häuslichen Gewalt, erfüllen den Tatbestand der Körperverletzung nach den §§ 223 ff. StGB. Eine Körperverletzung kann dabei härter bestraft werden, wenn sie beispielsweise mit einem Gegenstand vorgenommen wurde oder besonders schwere Folgen für das Opfer mit sich bringt. Auch eine nicht absichtlich begangene Körperverletzung kann als fahrlässige Körperverletzung strafbar sein (§ 229 StGB). Die Grenzen sind hier zum Teil fließend. Es ist daher sehr ratsam, die Fachmeinung eines Strafanwalts oder einer Strafanwältin einzuholen, die mit diesem Deliktsbereich vertraut ist.

Ehrverletzungen

Selbst wenn „lediglich“ verbal die Fetzen fliegen, kann das Verhalten strafrechtlich relevant sein. So ist die Beleidigung nach § 185 StGB verbunden mit einem gestellten Strafantrag (vgl. 194 StGB) strafbar. Auch könnte je nach Fallgestaltung und Äußerung eine Üble Nachrede (§ 186 StGB) oder eine Verleumdung (§ 187) in Betracht kommen.


Gerade weil Gewalt statistisch oft durch Ex-Partner verübt wird, ist darauf hinzuweisen, dass sowohl die Bedrohung (§ 241 StGB) als auch Stalking (§ 238 StGB) strafbar ist und angezeigt werden sollte.

Sexualdelikte

Auch innerhalb einer Partnerschaft ist sexuell übergriffiges Verhalten selbstverständlich strafbar. Die Vergewaltigung (§ 177 StGB) und andere strafbare sexuelle Handlungen, die dem Willen des Opfers entgegenstehen (wie ein sexueller Übergriff, die sexuelle Nötigung oder sexueller Missbrauch) werden strafrechtlich verfolgt und sind schon versucht strafbar.

Gewalt gegen Kinder

Gem. § 1631 BGB haben Kinder ein Recht auf eine gewaltfreie Erziehung.

Dennoch: Im Jahr 2020 sind laut der Polizeilichen Kriminalstatistik 152 Kinder in Deutschland Opfer tödlicher Gewalt geworden. In 134 weiteren Fällen wurde ein Todesversuch unternommen. Gewalt gegen Kinder kann auch in Misshandlungen, Kindeswohlgefährdungen, sexueller Missbrauch von Kindern oder in Fällen von Kinderpornografie bestehen.

Welche strafrechtlichen Möglichkeiten haben Betroffene von häuslicher Gewalt?

Betroffene, die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind, können bei der Polizei eine Strafanzeige oder einen Strafantrag stellen. Je nach Sachverhalt, ist es darüber hinaus zu empfehlen, eine Ärztin oder einen Arzt aufzusuchen. Gerade bei sexuellen Übergriffen oder anderen Handgreiflichkeiten, dient ein ärztliches Gutachten der Beweissicherung und kann vor Gericht zu Ihren Gunsten eingesetzt werden.


Haben Sie Anzeige erstattet, werden Sie regelmäßig durch die Polizei als Zeugin bzw. Zeuge vorgeladen und befragt. Anschließend prüft die Staatsanwaltschaft, ob Anklage gegen den Täter erhoben oder beispielsweise ein Strafbefehl erlassen wird.


Außerdem kann neben einer psychologischen Betreuung auch eine strafrechtliche Beratung durch einen Fachanwalt oder eine Fachanwältin für Strafrecht ratsam sein, die Sie bezüglich des außergerichtlichen Vorgehens und später vor Gericht unterstützen kann. Als Opfer können Sie beispielsweise auch als Nebenklägerin vor Gericht auftreten.


Welche Möglichkeiten kann es neben dem Strafrecht noch geben?

Neben dem Strafgesetzbuch kann auch das Gewaltschutzgesetz (GewSchg) Anwendung finden. Betroffene häuslicher Gewalt können so gegenüber dem Täter noch besseren Schutz erlangen. Das Familiengericht kann dem Täter beispielsweise untersagen, sich dem Opfer zu nähern oder es anderweitig zu kontaktieren (Schutzanordnung). Zudem könnten Ansprüche auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld geltend gemacht werden.


Sie sind betroffen?

Als langjährige Fachanwälte für Strafrecht verfügen wir über einen großen Erfahrungsschatz und wissen auch mit sensiblen Thematiken feinfühlig umzugehen. Umso früher Sie uns ins Vertrauen ziehen, desto besser können wir uns für Ihre Interessen einsetzen.


In jedem Fall möchten wir Sie dazu ermutigen, häusliche Gewalt nicht hinzunehmen. Wenn Sie sich noch nicht bereit fühlen, die Polizei oder anwaltliche Hilfe aufzusuchen, gibt es auch andere unabhängige Anlaufstellen, die sie unterstützen können, wie beispielweise den Weissen Ring (tel. 116006). In Akutsituationen finden Frauen Hilfe in einem Frauenhaus. Dort können Opfer auch ohne Anmeldung einfach hingehen.


Auch als Beschuldigter eines Strafverfahrens sollten Sie ihre Rechte kennen. Über Ihr Schweigerecht und weitere Empfehlungen zum Verhalten während eines Strafverfahrens lesen Sie hier.


Von unseren Kanzlei-Standorten in Berlin, Hamburg und München vertreten wir Sie im gesamten Bundesgebiet gerne. Unser Vorgehen ist dabei stets zielstrebig und kompetent. Kontaktieren Sie uns jetzt für weitere Informationen oder eine erste telefonische Beratung.



Um dieses Video anzuzeigen, lassen Sie bitte die Verwendung von Cookies zu.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Benjamin Grunst

Beiträge zum Thema