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Muss ein Parkplatz für Behinderte auch behindertengerecht sein?

  • 3 Minuten Lesezeit
anwalt.de-Redaktion

Das Diskriminierungsverbot von Behinderten ist in unserer heutigen Gesellschaft ein großes Thema. So wurde z. B. das Neunte Buch des Sozialgesetzbuches (SGB IX) geschaffen, um die Eingliederung von schwerbehinderten Menschen in Arbeit und Beruf zu sichern. Verstöße gegen das Gleichbehandlungsverbot sind nicht nur ein Dauerbrenner vor deutschen Gerichten, sondern beschäftigen regelmäßig auch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Brüssel.

Bundesverfassungsgericht muss sich mit Behindertenparkplätzen auseinandersetzen 

In einer jüngeren Entscheidung musste sich nun das deutsche Bundesverfassungsgericht mit der Frage auseinandersetzen, ob ein Parkplatz für Behinderte auch behindertengerecht sein muss. In diesem Fall, den am Ende das oberste deutsche Gericht zu entscheiden hatte, kämpfte eine Frau seit Jahren um Schadensersatz und Schmerzensgeld, weil sie auf einem nicht behindertengerechten Behindertenparkplatz gestürzt war und sich dabei schwer verletzt hatte.

Im November 2009 parkte die Frau vor dem Rathaus der beklagten Stadt. Obwohl der Parkplatz von der Stadt als Behindertenparkplatz eingerichtet und ausgewiesen war, war er mit unregelmäßigen Kopfsteinen gepflastert. Als die Frau aus dem Pkw aussteigen und in den Rollstuhl wechseln wollte, rutschte der Rollstuhl aufgrund der unebenen Fläche seitlich weg, sodass die Frau stürzte und sich den rechten Unterschenkel brach. Die Frau verklagte deshalb die Stadt auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von knapp 5000 Euro.

Der lange Weg durch die Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht

Das Landgericht wies die Klage als Eingangsinstanz mit der Begründung ab, dass es nicht erwiesen sei, dass die unebene Pflasterung des Parkplatzes für den Sturz verantwortlich war. Vielmehr wäre es auch denkbar, dass die nicht gebremsten, rotierbaren Vorderräder des Rollstuhls beim Umstieg weggerollt seien und damit den Sturz der Klägerin verursacht hätten.

Auch das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig-Holstein wies die Klage ab, allerdings mit einer anderen Begründung: Für die Entscheidung das OLG war es irrelevant, ob der Unfall durch die unebene Oberflächenstruktur verursacht worden ist, da die Klägerin schon deshalb keine Rechte habe, weil sie die Gefährlichkeit des Behindertenparkplatzes gekannt habe. Deshalb hätte sich die Frau mit der Benutzung des eigens für behinderte eingerichteten Parkplatzes in eine vermeidbare Gefahr begeben. Sie sei zwar nicht verpflichtet gewesen, auf einen anderen Parkplatz mit ebeneren Pflastersteinen am Randbereich des Rathauses auszuweichen, jedoch treffe sie eine Obliegenheit, unfallursächliche Eigengefährdungen zu vermeiden – auch wenn sie für den sicheren Parkplatz einen Umweg in Kauf nehmen muss. Diese Obliegenheit hat die Klägerin verletzt, als sie trotz der bekannten Gefahren auf dem Behindertenparkplatz geparkt hatte. Dadurch war die Frau selbst mit Schuld an ihrem Unfall, und zwar in so starkem Maße, dass ihr Mitverschulden einen potenziellen Schadensersatzanspruch gegen die Stadt auf null kürzte.

Gegen diese Entscheidung des OLG Schleswig-Holstein hat die Rollstuhlfahrerin Verfassungsbeschwerde eingelegt und Recht bekommen.

Die Entscheidung des BVerfG: Behindertenparkplatz muss behindertengerecht sein

Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ist diese Ansicht des OLG ein klarer Verstoß gegen das Gebot, niemanden wegen seiner Behinderung zu benachteiligen. Nach dem Grundrechtsschutz des Art. 3 Abs. 3 S. 2 unseres Grundgesetzes ist die Schlechterstellung von Behinderten nur zulässig, wenn es dafür zwingende Gründe gibt. Der Staat trägt dabei eine ganz besondere Verantwortung für behinderte Menschen. Speziell für Behinderte eingerichtete und ausgewiesene Parkplätze müssen von den Städten deshalb auch entsprechend behindertengerecht und sicher gestaltet werden.

Das vom OLG Schleswig-Holstein festgestellte Mitverschulden der Klägerin ist vor dem Hintergrund des grundrechtlich gewährleisteten Gleichbehandlungsgebots nicht geeignet, einen potenziell bestehenden Schadensersatzanspruch auf null zu kürzen. Denn die Kenntnis der Klägerin von den möglichen Sicherheitsmängeln des Behindertenparkplatzes ändert nichts daran, dass es sich um einen Parkplatz handelt, der gerade für Menschen mit Behinderung vorgesehen ist und dazu bestimmt war, ihr als behinderter Rollstuhlfahrerin die gleichberechtigte Teilhabe am Alltagsleben zu ermöglichen.

Fazit:  

Ein als behindertengerecht ausgewiesener Parkplatz muss also auch tatsächlich behindertengerecht und entsprechend sicher sein. Ist er das nicht, haben Behinderte grundsätzlich einen Schadensersatzanspruch gegen die Stadt, wenn sie sich deshalb verletzen. Dieser Anspruch besteht auch dann, wenn dem Behinderten vorher bekannt ist, dass der für ihn eingerichtete Parkplatz nicht sicher genug ist. Ein darauf beruhendes Mitverschulden ist keinesfalls geeignet, den Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld vollständig auszuschließen. Das OLG Schleswig-Holstein muss den Fall nun neu entscheiden und feststellen, ob die fehlende Sicherheit des Parkplatzes ursächlich für den Unfall der Frau war.

(BVerfG, Beschluss v. 24.03.2016, AZ.: 1 BvR 2012/13)

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