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Mindestlohn: Mehr arbeiten für gleiches Gehalt?

  • 3 Minuten Lesezeit
Sandra Voigt anwalt.de-Redaktion

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Bereits seit dem 01.01.2015 müssen Arbeitgeber grundsätzlich einen Mindestlohn von 8,50 Euro/Stunde an ihre Beschäftigten zahlen. Das führt unter anderem natürlich zu erhöhten Personalkosten – weshalb viele Chefs in die Trickkiste greifen und versuchen, irgendwie um die Zusatzkosten herumzukommen. So wollen die einen z. B. Zuschläge oder Sonderzahlungen auf den Mindestlohn anrechnen, andere passen den Lohn zwar an, fordern aber gleichzeitig vertraglich unbezahlte Mehrarbeit durch ihre Angestellten. Doch darf der Chef einfach kündigen, wenn der Beschäftigte sich weigert, für dasselbe Gehalt mehr zu arbeiten?

Änderungsvertrag nicht unterschrieben – Kündigung?

Noch vor Erlass des Mindestlohngesetzes (MiLoG) wurde die Disponentin eines Unternehmens zu ihrem Vorgesetzen gerufen. Der legte ihr einen Änderungsvertrag vor, den sie sofort unterschreiben sollte. Die Angestellte erbat sich jedoch Bedenkzeit – schließlich beinhaltete der Vertrag relevante Änderungen bzgl. ihres Lohns: So sollten die vertraglich vereinbarten 40 Wochenarbeitsstunden ab Januar 2015 zwar mit 8,50 Euro/Stunde vergütet werden. Daneben sollte sie sich jedoch verpflichten, Mehrarbeit zu leisten – dabei sollten zehn Stunden Mehrarbeit pro Monat mit dem Gehalt abgegolten sein.

Als die Disponentin den Vertrag in der Folgezeit nicht unterschrieb, sondern sich um weitere Gespräche und Verhandlungen bemühte, wurde ihr ordentlich gekündigt. Die Frau hielt die Kündigung für unwirksam und zog vor Gericht. Der Arbeitgeber erwiderte daraufhin, dass er nicht genügend Mitarbeiter habe – daher sei das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) gar nicht einschlägig und die Kündigung nicht auf ihre soziale Rechtfertigung zu prüfen. In jedem Fall habe er jedoch einen guten Grund für die Kündigung gehabt: Das Vertrauen in die Disponentin sei unwiderruflich zerstört worden, als sie sich als einzige Beschäftigte im Unternehmen weigerte, den Änderungsvertrag zu unterschreiben. Sie störe daher den Betriebsfrieden und das weiterhin gute Betriebsklima.

Keine Pflicht zur Annahme des Vertragsangebots

Das Sächsische Landesarbeitsgericht (LAG) entschied, dass die Kündigung unwirksam war. Sie ist schließlich nur ausgesprochen worden, weil die Angestellte in zulässiger Weise ein ihr zustehendes Recht ausgeübt hat. Damit war in der Kündigung ein Verstoß gegen das sog. Maßregelungsverbot nach § 612a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu sehen.

Regelungen über den Lohn eines Beschäftigten können nicht mittels Direktionsrecht bzw. Weisungsrecht des Arbeitgebers geändert werden. Vielmehr muss sich auch der Beschäftigte mit den geplanten Änderungen einverstanden erklären. Hierbei kann der Chef entweder eine Änderungskündigung aussprechen oder dem Mitarbeiter einen Änderungsvertrag vorlegen. In jedem Fall gilt dann die sog. Vertragsfreiheit – das Änderungsangebot des Chefs kann vom Angestellten angenommen werden oder auch nicht, der Arbeitgeber dagegen behält natürlich sein Recht, einen Vertrag z. B. wieder beenden zu können. Deshalb ist nicht jede Kündigung automatisch wegen § 612a BGB unwirksam, auch wenn sie nach Ablehnung eines Änderungsangebots ausgesprochen wird.

Racheakt des Arbeitgebers

Ein Verstoß gegen § 612a BGB ist vielmehr nur anzunehmen, wenn die Ausgestaltung des Änderungsangebots selbst bereits eine unerlaubte Maßregelung darstellt – sich also der Arbeitgeber mit der Kündigung an einem Angestellten rächen will, weil der seine Rechte in zulässiger Weise geltend gemacht hat.

Vorliegend wollte sich die Disponentin nicht auf eine Vertragsänderung einlassen, die zu einer Unterschreitung des Mindestlohns geführt hätte. Zwar sollte sie 8,50 Euro/Stunde erhalten – dafür aber auch zumindest zehn Stunden pro Monat unentgeltlich Mehrarbeit leisten, sodass sie „unter’m Strich“ nicht mehr Gehalt bekommen sollte, als vor Inkrafttreten des MiLoG. Obwohl dieses Vorgehen demnach eindeutig gesetzeswidrig und die Frau zur Annahme nicht verpflichtet war, hat der Chef auch weiterhin sein Änderungsangebot unverändert aufrechterhalten und seine Angestellte entlassen, als die sich mit der Vertragsänderung nicht einverstanden erklärte.

Damit diente die Kündigung als bloßer „Racheakt“ und war unzulässig. Das angeblich verloren gegangene Vertrauen in die Mitarbeiterin stellte auch keinen wirksamen Kündigungsgrund dar. Denn das Motiv für die Kündigung – der vermeintliche Vertrauensverlust – basierte erneut auf der Weigerung der Frau, den Änderungsvertrag zu unterzeichnen, was jedoch ihr gutes Recht war.

Übrigens: Zwar war das KSchG vorliegend tatsächlich nicht einschlägig, weil das Unternehmen weniger als zehn Mitarbeiter beschäftigte, vgl. § 23 I KSchG. Doch selbst wenn das KSchG nicht gilt, stehen Beschäftigte nicht schutzlos da: Sie können sich auf die Unwirksamkeit der Kündigung wegen z. B. Sittenwidrigkeit oder – wie hier – eines Verstoßes gegen das Maßregelungsverbot berufen.

Fazit: Arbeitgeber dürfen Beschäftigten, die mit einer Vergütung unterhalb des Mindestlohns nicht einverstanden sind, nicht kündigen.

(Sächsisches LAG, Urteil v. 24.06.2015, Az.: 2 Sa 156/15)

(VOI)

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