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Cross-Border-Leasing: Kommunen im Strudel der Finanzkrise

  • 4 Minuten Lesezeit
Esther Wellhöfer anwalt.de-Redaktion

In den neunziger Jahren griffen viele Kommunen auf sogenannte Cross-Border-Leasing-Verträge zurück, um die kommunalen Haushalte zu entlasten. Doch im Zuge der Finanzkrise drohen ihnen jetzt gerade wegen dieser Verträge millionenschwere Verluste. Die anwalt.de-Redaktion schildert, wie es dazu kommen konnte.  


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Cross-Border-Leasing

Um Steuervorteile in den USA auszunutzen, wurden seit Mitte der 90er unter dem Begriff „sale-and-lease-back" öffentliche Einrichtungen und Infrastrukturbetriebe von Städten und Gemeinden über das Cross-Border-Leasing (CBL) an ausländische Finanzinvestoren übertragen. Berlin, Bochum, Dortmund, Dresden, Duisburg, Herten, Köln, Magdeburg, Mannheim, Nürnberg, Ulm und andere Städte und Kommunen haben solche CBL-Verträge für ihre öffentlichen Einrichtungen abgeschlossen.

Beim Cross-Border-Leasing überträgt die Kommune das jeweilige Objekt für 99 Jahre auf den Investor mit einem Leasing-Vertrag und least gleichzeitig das Objekt mit einer Laufzeit von 30 Jahren zurück. Die damit erzielten Steuervorteile zahlt der Investor anteilig an die Kommunen (sog. Barwertvorteil). Das Kapital wird von Banken und Versicherungen verwaltet, die laufenden Leasingraten werden aus Erträgen dieses Kapitals finanziert.

Das Cross-Border-Leasing von Straßenbahnen, Bussen, U-Bahnen, Schienensystemen, Bahnhöfen, Kanalisation, Kläranlagen, Müllverbrennungsanlagen, Messehallen, Kliniken und sogar Schulen spülte Geld in die kommunalen Etats. Beide Vertragsseiten profitierten von den Steuervorteilen in den USA bis die oberste US-Finanzbehörde IRS (Internal Revenue Service) diese Geschäfte zu rechtswidrigen Scheingeschäften erklärte und das Steuerschlupfloch geschlossen wurde.


Folgen der Finanzkrise

Weil als Leasinggeber häufig US-amerikanische Banken und Versicherungen fungierten, kann die Finanzkrise nun auch die deutschen Kommunen hart treffen: Die CBL-Geschäfte der Städte Berlin und Nürnberg beispielsweise werden über die AIG (American International Group), einen amerikanischen Versicherungskonzern abgewickelt, der kürzlich vom amerikanischen Staat nur mit Hilfe eines Kredits von 85 Milliarden US-Dollar vor der Pleite gerettet werden konnte.

Die Folge war, dass die AIG nun von den Rating-Agenturen schlechter bewertet wird. Das kann für die Kommunen erhebliche finanzielle Belastungen zur Folge haben. Denn in vielen Verträgen haben die Kommunen die Haftung für die Liquidität des Leasinggebers übernommen und sich vertraglich dazu verpflichtet, wenn die Bonität schlechter als die Ratingklasse AAA ist, einen neuen Vertrag mit einem anderen Versicherer abzuschließen. Diese neuen Verträge sind jedoch mit erheblichen Mehrkosten verbunden, so dass letztlich auf einen einzelnen kommunalen Haushalt Mehrbelastungen in Millionenhöhe zukommen können.

Im Fall des Crashs der Leasing gebenden Bank oder Versicherung kann es sogar sein, dass die Kommunen den Rückkaufwert nochmals bezahlen müssen. Die Kommune müsste also für den Rückkauf des Leasingobjekts zweimal bezahlen. Zudem denken viele Finanzinvestoren angesichts ihrer Milliardenverluste an den Ausstieg aus den laufenden CBL-Verträgen.


Kompliziertes Vertragswerk

Wie konnte es dazu kommen, dass die Kommunen solche riskanten Geschäfte abschlossen? Das liegt womöglich zu einem großen Teil an den CBL-Verträgen selbst. Das unübersichtliche Vertragswerk besteht aus bis zu 2.000 Seiten und ist ausschließlich in englischer Sprache verfasst. Die kommunalen Entscheidungsträger haben die komplizierten Verträge meist nie selbst vorgelegt bekommen, sondern lediglich eine Transaktionsbeschreibung, in der Experten nur die wesentlichen Grundzüge des CBL zusammengefasst hatten.

Mit Abschluss des Vertrags entstand eine dem deutschen Rechtssystem fremde Konstellation: Sowohl die Kommune als auch der Investor sind „Eigentümer“ des Leasingobjekts, die Kommune aufgrund deutschen Gesetzes, der Investor aufgrund US-amerikanischen Rechts. Dieses Geschäftsmodell bringt erhebliche rechtliche Unsicherheiten für beide Vertragsteile.

Gemeinden, Städte und Kommunen haben sich vertraglich dazu verpflichtet, am Leasinggegenstand lediglich Erhaltungsmaßnahmen durchzuführen. Das kann in Anbetracht der langen Laufzeiten dazu führen, dass die Kommunen trotz technischen Fortschritts möglicherweise veraltete Anlagen weiter betreiben müssen, obwohl es beispielsweise energieeffizientere Einrichtungen gibt. Weiter bringen die CBL-Verträge umfangreiche Verpflichtungen mit sich, die dem deutschen Rechtssystem durchaus widersprechen können. So kann etwa die aufgrund des Transparenzgebots erfolgende Meldung des Investors beim Finanzamt schon eine Vertragsverletzung darstellen, wenn die Kommunen vertraglich eine absolute Schweigepflicht übernommen haben.


Rechtswidrige Scheingeschäfte

Nachdem die IRS als höchste amerikanische Steuerbehörde CBL-Geschäfte als Scheingeschäfte eingestuft und der amerikanische Gesetzgeber das Steuerschlupfloch geschlossen hat, sind die Risiken für die an CBL-Projekten beteiligten Kommunen weiter gestiegen. Denn die Renditen wurden allein durch die Steuervorteile gebildet, nicht aufgrund realer Wertschöpfung.

Mit dem Wegfall der Steuervergünstigungen können die Investoren unter Umständen für die entgangenen Steuervorteile von den Kommunen Schadensersatz verlangen. Die Schadensersatzforderung kann ein Vielfaches des Barwertvorteils betragen, den die Kommunen mit dem CBL erzielt haben. Darüber hinaus bleibt es allein den amerikanischen Steuergerichten und Finanzbehörden überlassen, ob die Kommunen die Steuernachzahlungen übernehmen müssen. Weil der Gerichtsstand für die CBL-Verträge New York ist, gilt für darauf basierende Rechtsstreitigkeiten nicht das deutsche Zivilrecht, sondern das amerikanische „Case Law“, das nicht auf allgemeinen Gesetzen, sondern auf einer Sammlung verschiedener Gerichtsurteile beruht, die dann entsprechend angewandt werden.

Welche Verluste die CBL-Verträge für die Kommunen bringen und welche Folgen sie für die kommunale Infrastruktur haben, sind derzeit noch nicht absehbar.

(WEL)

Foto(s): ©iStockphoto.com

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