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Kein Versicherungsschutz wegen Unfallflucht?

  • 5 Minuten Lesezeit
Sandra Voigt anwalt.de-Redaktion

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Wer in einen Autounfall verwickelt wird, den packt nicht selten das Grauen: Man muss sich schließlich mit der Polizei, dem Unfallgegner und zumeist auch mit der eigenen Kfz-Versicherung auseinandersetzen. Folge ist z. B. die Pflicht, Schadenersatz zu zahlen, die Ahndung als Ordnungswidrigkeit oder die Rückstufung in eine schlechtere Schadensfreiheitsklasse beim Versicherer. In einer Kurzschlussreaktion verlassen manche Unfallbeteiligte einfach die Unfallstelle – und begehen Fahrerflucht. Doch darf die Kfz-Versicherung deshalb jegliche Leistung, z. B. die Kosten für die Reparatur des beschädigten Kfz, verweigern?

Nächtlicher Unfall mit Folgen

Ein Autofahrer fuhr um etwa drei Uhr nachts auf einer Autobahn gegen die Leitplanke. Er brachte einen Wagenheber unter seinem Fahrzeug an und kontaktierte einen Abschleppdienst – leider erfolglos. Daher bat er einen Freund um Hilfe, der ihn gegen 3:45 Uhr abholte. Gegen 4:05 Uhr ging der Notruf eines Dritten bei der Polizei ein, wonach sich der betreffende – und stark beschädigte – Wagen ungesichert und mit laufendem Motor sowie angeschaltetem Licht auf der rechten Fahrbahn befand.

Als der Autofahrer von seiner Kfz-Versicherung die Regulierung des Schadens – bzgl. seines Pkw sowie der beschädigten Leitplanke – verlangte, verweigerte sie jegliche Leistung. Schließlich habe der Autofahrer gegen die Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung verstoßen, weil er ihr den Unfall nicht unverzüglich angezeigt hat. Stattdessen war er davongefahren, ohne die nötigen Feststellungen – z. B. zu einem etwaigen Alkoholkonsum – ermöglicht zu haben. Dieser Obliegenheitsverstoß führe nach § 28 II Versicherungsvertragsgesetz (VVG) zur Leistungsfreiheit des Versicherers.

Diesen Vorwurf wollte der Autofahrer nicht auf sich sitzen lassen. Er wies darauf hin, das Straßenbauamt am nächsten Morgen um ca. 8 Uhr über den Schaden informiert zu haben. Auch habe er eine gewisse Zeit am Unfallort gewartet – er sei also nicht geflüchtet, um eine angebliche Alkoholfahrt zu vertuschen. Der Streit der Parteien endet vor Gericht.

Versicherer muss zahlen

Das Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken verpflichtete die Versicherung zur Leistung. Schließlich hatte sie den behaupteten Obliegenheitsverstoß des Autofahrers nicht beweisen können.

Welche Verhaltensregeln sind zu beachten?

Gemäß den Versicherungsbedingungen muss der Versicherungsnehmer bzw. der Fahrer seines Kfz zwar am Unfallort bleiben und alles tun, um die nötigen Feststellungen – z. B. zu seiner Person, zur Art seiner Unfallbeteiligung und zu seinem körperlichen Zustand – zu ermöglichen sowie bei der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken. Diese versicherungsrechtliche Obliegenheit darf aber grundsätzlich nicht weiter gehen als die strafrechtlich sanktionierten Pflichten in § 142 Strafgesetzbuch (StGB). Darin wird das unerlaubte Entfernen vom Unfallort unter Strafe gestellt. Sowohl der Geschädigte als auch die Versicherungen haben schließlich ein erhebliches Interesse daran, zu wissen, wer der Unfallgegner ist, z. B. um Schadenersatzansprüche gegen ihn geltend zu machen. Versicherungen wollen ferner wissen, ob der/die Unfallbeteiligte/n betrunken hinter dem Steuer saß/en, weil sie dann ihre Leistung versagen bzw. kürzen können.

Man darf also den Unfallort nur verlassen, wenn man mit dem anwesenden Unfallgegner die nötigen Informationen, z. B. Name oder Adresse, ausgetauscht hat. Ist der Gegner nicht anwesend, weil man etwa ein parkendes Kfz angefahren hat, muss man eine bestimmte Zeit auf ihn warten, bis man davonfahren darf, sowie unverzüglich die nötigen Feststellungen ermöglichen, z. B. bei der Polizei oder dem Geschädigten selbst – sofern er bekannt ist. Die Wartezeit ist je nach Einzelfall unterschiedlich. So ist sie bei einem nächtlichen Unfall auf einer einsamen Landstraße kürzer als bei einem Unfall mitten in der Stadt zur Rushhour.

Andere Verhaltensregeln – z. B. eine Pflicht zur Anzeige des Unfalls bei der Polizei – können zwar vereinbart werden. Dann müssen sie aber sehr deutlich formuliert und in den Versicherungsbedingungen klar erkennbar sein.

Wartezeit wurde eingehalten

Da sich zum Unfallzeitpunkt kein anderer Beteiligter am Unfallort aufhielt, musste der Autofahrer eine angemessene Zeit dort warten. So vergingen ca. 45 Minuten, bis der Mann von seinem Freund abgeholt wurde, was aufgrund der Tatsache, dass der Vorfall nachts passierte, als angemessene Wartezeit anzusehen war. Auch hatte der Autofahrer – was die herbeigerufene Polizei bestätigen konnte – einen Wagenheber unter seinem Pkw angebracht, was eher gegen eine überstürzte Flucht nach dem Unfall sprach.

Zwar besteht grundsätzlich die Möglichkeit, dass der Autofahrer den Unfallort schon früher verlassen haben könnte. Dies hätte jedoch die Versicherung beweisen müssen, was ihr vorliegend aber nicht möglich war.

Feststellungen zu spät ermöglicht?

Selbst wenn ein Autofahrer die Unfallstelle nach einer angemessenen Wartezeit verlassen darf, muss er die nötigen Feststellungen unverzüglich ermöglichen, vgl. § 142 II StGB. Ob die Mitteilung des Unfalls und seiner Beteiligung daran durch einen Verkehrsteilnehmer noch unverzüglich erfolgt oder nicht, ist wiederum einzelfallabhängig. Besteht etwa kein Zweifel an der Schuld eines Unfallbeteiligten, kann „unverzüglich“ auch noch eine spätere Meldung sein. Ist ein Unfall beispielsweise nachts passiert und kein Geschädigter anwesend, kann eine Mitteilung an z. B. die Polizei auch noch am nächsten Vormittag erfolgen, ohne dass sich der Unfallbeteiligte nach § 142 StGB strafbar macht.

Vorliegend hat der Autofahrer am Vormittag nach dem Unfall beim Straßenbauamt angerufen und den Unfall sowie den Schaden an der Leitplanke gemeldet. Dass er mit der späten Mitteilung arglistig versuchen wollte, eine angebliche Promillegrenzen und Strafen für Trunkenheit im Straßenverkehr">Alkoholfahrt zu vertuschen, hielt das Gericht für unwahrscheinlich. Schließlich hat er sich beim Straßenbauamt gemeldet, das eher den Zustand der Straßen und Wege überprüft, nicht die Fahrtüchtigkeit der Verkehrsteilnehmer. Er hätte bei Ankunft eines Sachbearbeiters also nicht damit rechnen müssen, einen Alkoholtest machen zu müssen.

Die wichtige Information, ob der Autofahrer den Unfall – und damit den Versicherungsfall – wegen Alkoholgenusses verursacht hat, hätte der Versicherer also selbst dann nicht bekommen, wenn der Autofahrer die nötigen Feststellungen unverzüglich ermöglicht hätte. Er wäre also – unverzügliche Meldung hin oder her – in jedem Fall einstandspflichtig gewesen, vgl. § 28 III VVG.

Fazit: Der Versicherer muss nachweisen, dass sein Versicherungsnehmer gegen die Versicherungsbedingungen verstoßen hat. Somit berechtigt allein der Verdacht einer Unfallflucht die Versicherung noch nicht dazu, ihre Leistung zu kürzen.

(OLG Saarbrücken, Urteil v. 10.02.2016, Az.: 5 U 75/14)

(VOI)

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