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Macht ein Großraumbüro schwerhörig?

  • 3 Minuten Lesezeit
Gabriele Weintz anwalt.de-Redaktion

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Jeder Mensch ist anders und jeder Mensch hat ein anderes Lärmempfinden – was den einen stört, nimmt ein anderer gar nicht als Lärm wahr. Aus diesem Grund wurden Richtwerte eingeführt, ab denen Lärm sogar krank machen und zu einer Berufsunfähigkeit führen kann. Ein Mann wollte nun gerichtlich feststellen lassen, dass seine Hörprobleme von seiner Arbeit in einem Großraumbüro stammen und als Berufskrankheit einzustufen sind – zu Recht?

Ingenieur im Großraumbüro

Ein im Jahr 1967 geborener Mann arbeitete seit 01.01.2000 bei der R. Bosch GmbH als Ingenieur in einem Großraumbüro und ist bei seiner Firma gesetzlich unfallversichert. Am 11.06.2012 erschien er beim Werksarzt. Er gab an, an seinem Arbeitsplatz einer erhöhten Lärmbelästigung ausgesetzt zu sein, insbesondere durch Baulärm auf dem Werksgelände und durch einen Klimaschrank. Aus diesem Grund leide er an Tinnitus, Ohrdruck und Schlafproblemen.

Verschiedene Arztbesuche

Ab dem 18.06.2012 war der Mann arbeitsunfähig erkrankt und suchte schließlich am 20.06.2012 einen Hals-Nasen-Ohren-Arzt auf. Dieser stellte im Bereich der Ohren keinerlei krankhaften Befund fest und auch ein durchgeführtes Tonaudiogramm war unauffällig. Allerdings stellte er die Diagnose Tinnitus bei Depression und Verdacht auf eine akute Dekompensation durch Lärmeinfluss. Diesen Bericht schickte der Arzt an die Arbeitgeberin des Mannes. Der Mann erschien sowohl am 06.07.2012 als auch am 11.07.2012 beim HNO-Arzt und gab an, dass er weiterhin unter starken Ohrgeräuschen und einem anhaltenden Tinnitus leide.

Lärmmessung durchgeführt

Der Angestellte teilte der Arbeitgeberin per E-Mail mit, dass er seit Langem durch den Umgebungslärm in seinem Büro belastet sei und zwischen dem 11.06.2012 und dem 13.06.2012 auch noch der Lärm einer Baustelle auf dem Firmengelände und von einem Klimaschrank neben seinem Arbeitsplatz hinzugekommen sei. Daraufhin ließ die Arbeitgeberin am 18.06.2012 eine Lärmmessung im betreffenden Büro durchführen. Dabei ergab sich ein Lärmpegel zwischen 50 dB und 65 dB.

Feststellung als Arbeitsunfall beantragt

Der Mann wandte sich erneut schriftlich an seine Arbeitgeberin und wollte seine Gehörprobleme als Arbeitsunfall anerkannt bekommen. Dies lehnte sie jedoch ab. Stattdessen leitete sie bei der zuständigen Berufsgenossenschaft ein Verwaltungsverfahren zur Feststellung einer Berufskrankheit ein. In diesem Zusammenhang wurden sämtliche Arztbriefe angefordert und eine Schwerhörigkeit ausgeschlossen.

Keine Anerkennung einer Berufskrankheit

Die Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung einer Berufskrankheit und damit verbundene Leistungsansprüche mit Bescheid ab. Eine Hörschädigung kann erst als Berufskrankheit anerkannt werden, wenn eine Lärmeinwirkung am Arbeitsplatz über 85 dB vorgelegen hat. Da die tatsächlich gemessenen Werte deutlich unter diesem Wert lagen, lag keine Lärmexposition im Sinne einer Berufskrankheit vor. Gegen diesen Bescheid legte der Mann schließlich Widerspruch ein, der jedoch zurückgewiesen wurde.

Klage vor dem Sozialgericht (SG) Stuttgart

Daraufhin klagte der Mann vor dem zuständigen SG – allerdings erfolglos, die Klage wurde abgewiesen. Die beim Kläger diagnostizierte Hörminderung im Hochtonbereich mit Tinnitus stelle gerade keine Lärmschwerhörigkeit im Sinne einer Berufskrankheit dar. Für die Anerkennung einer Berufskrankheit müsste am Arbeitsplatz ein auf acht Stunden Arbeitszeit bezogener äquivalenter Dauerschallpegel von mehr als 85 dB bestanden haben. Dies war aber gerade nicht der Fall – die Lärmexposition lag deutlich unter 80 dB.

Berufung ohne Erfolg

Die vom Ingenieur eingelegte Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hatte ebenfalls keinen Erfolg. Die Richter führten aus, dass die Bundesregierung eine Berufskrankheiten-Verordnung erlassen habe und in einer zugehörigen Anlage eine Erkrankung an einer Lärmschwerhörigkeit enthalten sei. Für die Anerkennung dieser Art von Schwerhörigkeit müssen die Tatbestandsmerkmale „versicherte Tätigkeit”, „Verrichtung”, „Einwirkungen” und „Krankheit” mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwiesen sein.
Im vorliegenden Fall ist von keiner hohen Lärmbelastung im Büro des Mannes auszugehen, da der Dauerschallpegel bei einem Achtstundentag über dem Wert von 85 dB bestehen und über viele Arbeitsjahre anhalten muss. Dies liegt hier gerade nicht vor, wie die Lärmmessung am Arbeitsplatz des Klägers bewiesen hat.
Auch sei von den Ärzten keine Lärmschwerhörigkeit diagnostiziert worden, sondern lediglich eine geringe Hörminderung im Hochtonbereich und ein psychisch bedingter Tinnitus.
Aus diesen Gründen hat der Mann keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Hörminderung und des Tinnitus als Berufskrankheit.

Fazit: Für die Anerkennung als Berufskrankheit müssen die Voraussetzungen der Berufskrankheiten-Verordnung im Vollbeweis vorliegen – erst dann kann ein Anspruch bestehen.

(LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 17.02.2016, Az.: L 6 U 4089/15)

(WEI)

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