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Depression vor Eigenbedarf – wenn Vermieter zurücktreten müssen

  • 4 Minuten Lesezeit
anwalt.de-Redaktion

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Die deutschen Gesetze sind gerade für Laien deshalb so schwer verständlich, weil sie abstrakt formuliert sind und an vielen Stellen Begriffe verwenden, die nicht eindeutig sind. Der Jurist spricht dabei von unbestimmten Rechtsbegriffen, die ausgelegt werden müssen. Das heißt, Begriffe wie „unzumutbar“, „wichtiger Grund“ oder „verhältnismäßig“ müssen interpretiert werden. Ab wann genau ist etwas nicht mehr zumutbar? Wann ist ein Grund wichtig genug um z. B. eine fristlose Kündigung rechtfertigen zu können? Wann wird bei einer Benachteiligung die Grenze überschritten, sodass z. B. eine Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB) nicht mehr wirksam ist?

All das sind Fragen, die auch Juristen nicht per se beantworten können, sondern vielmehr von Fall zu Fall entscheiden. Wie schwierig das sein kann, zeigt eine jüngere Entscheidung des Landgerichts Berlin. Das Gericht musste sich in dem Fall mit der Frage auseinandersetzen, ob die depressive Erkrankung eines Mieters dazu führen kann, dass die Eigenbedarfskündigung seiner Wohnung für ihn eine „nicht zu rechtfertigende Härte“ darstellt.

Kündigung wegen Eigenbedarfs

Das deutsche Mietrecht sieht Mieter als besonders schutzwürdige Gruppe an. Man spricht hier vom sozialen Mieterschutz, der dazu führt, dass der Gesetzgeber hohe Anforderungen an die Vermieterkündigung stellt. Vermieter brauchen deshalb immer ein berechtigtes Interesse, um das Mietverhältnis mit einem Mieter kündigen zu können.

Ein klassisches Beispiel für ein solches berechtigtes Interesse ist der Eigenbedarf. Benötigt also ein Vermieter seine Wohnung, weil er z. B. selbst einziehen oder er die Wohnung seinen Kindern zur Verfügung stellen will, darf er den Mietvertrag mit einer bestimmten Frist grundsätzlich kündigen.

Aber selbst dann, wenn der Vermieter seine Wohnung künftig für eigene Zwecke benutzen will, kann der Mieter der Eigenbedarfskündigung widersprechen und stattdessen die Fortführung des Mietvertrages verlangen – wenn die Eigenbedarfskündigung seiner Wohnung für ihn eine „nicht zu rechtfertigende Härte“ darstellt. Eine solche nicht zu rechtfertigende Härte kann jeder Nachteil sein, der einem Mieter durch die Beendigung des Mietvertrages entsteht. Dies können z. B. wirtschaftliche, finanzielle, gesundheitliche, familiäre oder persönliche Nachteile sein.

Widerspruch wegen akuter Suizidgefahr

In dem Fall, den das Landgericht Berlin nun entscheiden musste, wollte die Vermieterin eines 82 Jahre alten Mannes ihre Wohnung künftig ihrem Sohn zur Verfügung stellen. Sie kündigte deshalb nach rund 45 Jahren den Mietvertrag wegen Eigenbedarf. In den Augen des Mieters stellte die Kündigung des Mietvertrages eine nicht zu rechtfertigende Härte dar, sodass er der Eigenbedarfskündigung seiner Vermieterin widersprach.  

Der Mann war in seiner Wohnung und dem Wohnumfeld so stark verwurzelt, dass er kaum in der Lage gewesen wäre, die mit dem Verlust der Wohnung verbundene Trauer zu bewältigen. Ein Sachverständigengutachten hat bestätigt, dass der Verlust der Wohnung zwangsläufig Bedrohungs- und Vernichtungsgefühle bei dem Mann ausgelöst hätte mit der Gefahr unvorhersehbarer Kurzschlussreaktionen. Nach Ansicht des Sachverständigen bestand eine ernstzunehmende Suizidgefahr, wobei die depressive Erkrankung des Mannes aufgrund seines hohen Alters nur schwer therapierbar sei.

Die Vermieterin erkannte den Widerspruch nicht an und erhob Räumungsklage. Sowohl das Amtsgericht Berlin-Lichtenberg als auch das Landgericht Berlin gaben aber dem Mieter recht.

Depression als nicht zu rechtfertigende Härte

Nach der Entscheidung des Landgerichts Berlins führt die depressive Erkrankung des Mannes zu einer nicht zu rechtfertigenden Härte, die das Interesse der Vermieterin an der Beendigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs zurücktreten lässt. Für die Richter spielte es dabei keine Rolle, wie wahrscheinlich der Selbstmord des Mannes nach einer Räumung sei. Stattdessen genüge es, dass nach dem psychiatrischen Gutachten mit einem psychischem Zusammenbruch und einer erheblichen Verschlechterung des gesundheitlichen Gesamtzustandes des Mannes zur rechnen war.

Die Richter begründeten den Fall der nicht zur rechtfertigenden Härte damit, dass der Mieter die Räumung seiner gemieteten Wohnung als Scheitern eigener Bemühungen erlebt hätte und damit seine gesamte Lebensleistung infrage gestellt hätte. Das berechtigte Interesse der Vermieterin an der Kündigung des Mietvertrages wegen Eigenbedarfs musste deshalb hinter der schweren und anhaltenden depressiven Störung des Mannes zurücktreten, da diese mit Grübeleien, anhaltender Antriebs- und Interessenlosigkeit, sozialem Rückzug, Scham, Verbitterung sowie resignativer Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit verbunden wäre.

Die schwere kaum zu behandelnde Depression des alten Mannes hat also die Kündigung wegen Eigenbedarfs im Ergebnis verhindert. Auch wenn die Vermieterin selbst ein berechtigtes Interesse an der Nutzung ihrer eigenen Wohnung hatte, musste sie den Mann weiter dort wohnen lassen.

Fazit: Grundsätzlich kann man als Vermieter seine Wohnung also immer kündigen, wenn man diese künftig selbst nutzen oder Familienangehörigen zur Verfügung stellen will. Die Kündigung darf aber nicht zu gravierenden Nachteilen für den Mieter führen. Die Verwurzelung älterer Menschen in einem bestimmten Wohnviertel kann einer solchen Eigenbedarfskündigung durchaus im Wege stehen. Das gilt ganz besonders dann, wenn der Verlust der Wohnung für den Mieter schwerwiegende gesundheitliche Folgen in Form einer anhaltenden Depression hätte.

(LG Berlin, Urteil v. 08.07.2015, AZ.: 65 S 281/14)

(THE)

Foto(s): ©Shutterstock.com

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