Die fiktive Abnahme und ihre Bedeutung im Rechtsstreit
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Unter der Abnahme versteht man die Entgegennahme und die Akzeptanz der Werkleistung durch den Auftraggeber als vertragsgemäß. Wenn nun ebendiese Akzeptanz mit der Werkleistung nicht vorliegt und aufgrund dessen keine Abnahme durch den Auftraggeber erfolgt, kann es jedoch unter Umständen zu einer Abnahmefiktion kommen.
Die fiktive Abnahme hat dann dieselben weitreichenden Wirkungen wie jede andere Abnahme. Dieser Ratgeber soll einen Überblick verschaffen über die fiktive Abnahme, ihre Folgen, und wie sie vermieden werden können.
Was ist eine fiktive Abnahme?
Die fiktive Abnahme ist in § 640 Abs. 2 Satz 1 BGB geregelt. Demnach gilt das Werk auch dann als abgenommen, wenn der Auftragnehmer dem Auftraggeber nach Fertigstellung des Werkes eine angemessene Frist zur Abnahme gesetzt hat und der Auftraggeber die Abnahme nicht innerhalb der gesetzten Frist und unter Angabe mindestens eines Mangels verweigert hat.
Gemäß § 640 Abs. 2 Satz 2 BGB gilt jedoch eine Ausnahme, wenn der Auftraggeber ein Verbraucher ist. In diesem Fall muss der Auftragnehmer den Auftraggeber in Textform über die Möglichkeit des Eintritts einer fiktiven Abnahme hinweisen.
Kann man eine Abnahmefiktion vermeiden?
Ja, die Abnahmefiktion kann vermieden werden, wenn der Auftraggeber die Abnahme innerhalb der gesetzten Frist unter Angabe mindestens eines Mangels ausdrücklich verweigert, § 640 Abs. 2 Satz 1 BGB. Nach der Verweigerung der Abnahme kann der Auftragnehmer gemäß § 650g BGB eine Zustandsfeststellung verlangen. Sollte der Auftraggeber dieser fernbleiben, so kann der Auftragnehmer sie allein vornehmen. Folge der Zustandsfeststellung ist, dass für alle darin nicht aufgeführten Mängel vermutet wird, dass sie nachträglich entstanden und vom Auftraggeber zu vertreten sind (§ 650g Abs. 3 BGB).
Wichtig: Die Verweigerung der Abnahme gemäß § 640 Abs. 2 Satz 1 BGB zur Vermeidung des Eintritts der Abnahmefiktion darf nicht mit der Verweigerung der Abnahme in Bezug auf den Abnahmeanspruch des Auftragnehmers gemäß § 640 Abs. 1 Satz 2 BGB verwechselt werden. In diesen Fällen ist eine Verweigerung der Abnahme nur unter Angabe von wesentlichen Mängeln möglich.
Welche anderen Formen der Abnahme gibt es?
Neben der fiktiven Abnahme als Ausnahmefall bestehen noch weitere Formen der Abnahme.
Die förmliche Abnahme
Von einer förmlichen Abnahme spricht man, wenn der Auftraggeber und der Auftragnehmer bei einem gemeinsamen Termin das Werk besichtigen und überprüfen. Das Ergebnis wird dann in einem Abnahmeprotokoll festgehalten.
Wenn zwischen den Parteien die förmliche Abnahme vereinbart wurde, kann sich der Auftragnehmer grundsätzlich nicht auf eine konkludente Abnahme berufen. Anders ist das nur, wenn die Parteien später einvernehmlich auf die förmliche Abnahme verzichtet haben.
Die ausdrücklich erklärte Abnahme
Die ausdrücklich erklärte Abnahme kann sowohl schriftlich als auch mündlich erfolgen. Der Auftraggeber muss dabei auch nicht das Wort „Abnahme“ verwenden. Es reicht aus, wenn aus der Erklärung hervorgeht, dass eine Akzeptanz mit der Bauleistung besteht. Das ist auch durch die Worte „in Ordnung“ oder „mit den Leistungen zufrieden“ der Fall.
Da die Abnahme eine einseitige Erklärung des Auftraggebers ist, muss sie auch nicht unter Anwesenheit des Auftragnehmers abgegeben werden. Es ist ausreichend, wenn der Auftraggeber sie dem Auftragnehmer zusendet.
Die konkludente Abnahme
Eine Abnahme kann auch aufgrund von schlüssigem Verhalten des Auftraggebers vorliegen. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn die Rechnung vorbehaltlos bezahlt oder das Werk in Gebrauch genommen wird. Durch sein Handeln gibt der Auftraggeber in diesem Fall zu erkennen, dass er die Leistung als vertragsgemäß akzeptiert. Es muss ihm jedoch eine Prüffrist eingeräumt werden, innerhalb der er Mängel geltend machen kann.
An die Annahme einer konkludenten Abnahme sind hohe Anforderungen zu stellen. Ihr Vorliegen muss daher stets unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls beurteilt werden.
Die VOB-Abnahme
Bei der VOB (Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen) handelt es sich nicht um ein Gesetz, sondern um allgemeine Vertragsbedingungen für Bauaufträge. Sie kann von den Parteien in den Bauvertrag miteinbezogen werden. Zwingend vorgeschrieben ist die Einhaltung der VOB-Vorschriften nur bei Bauaufträgen der öffentlichen Hand.
Die Abnahme steht in § 12 VOB/B. In dessen Absatz 5 sind zwei Fiktionen geregelt:
Nr. 1: Wenn keine Abnahme verlangt wird, gilt das Werk mit Ablauf von zwölf Werktagen nach schriftlicher Mitteilung über die Fertigstellung als abgenommen.
Nr. 2: Wenn keine Abnahme verlangt und zumindest ein Teil des Werks in Benutzung genommen wird, gilt die Abnahme nach Ablauf von sechs Werktagen nach Beginn der Benutzung als erfolgt, wenn nichts anderes vereinbart wurde.
Die Teilabnahme
Gemäß § 641 Abs. 1 Satz 2 BGB und § 12 Abs. 2 VOB/B sind auch Teilabnahmen möglich. Voraussetzung ist, dass eine funktionsfähige Teilleistung vorliegt.
Die technische Abnahme
Unter technischer Abnahme versteht man beispielsweise die Begehung des Werks mit dem Architekten oder Bauleiter. Diese sind nicht zur rechtlichen Abnahme befugt – es sei denn, sie wurden vom Auftraggeber ausdrücklich dazu ermächtigt. Die technische Abnahme ist daher zwar für den weiteren Bau nützlich, sie führt aber nicht zu den rechtsgeschäftlichen Abnahmewirkungen.
Welche Folgen hat eine Abnahme?
An die Abnahme sind wesentliche Rechtsfolgen geknüpft:
Fälligkeit des Werklohns: Ab Abnahme ist der Werklohn fällig und es können Verzugszinsen anfallen, wenn die Schlussrechnung nach Ablauf von 30 Tagen oder Erhalt einer Mahnung nicht beglichen wird.
Beweislastumkehr bei Mängeln: Ab Abnahme muss der Auftraggeber beweisen, dass das Werk mangelhaft ist – vor der Abnahme muss der Auftragnehmer beweisen, dass es mangelfrei ist.
Beginn der Gewährleistung: Ab Abnahme beginnt die Verjährungsfrist für Mängelansprüche zu laufen.
Übergang der Leistungsgefahr: Ab Abnahme geht die Gefahr der Verschlechterung oder des zufälligen Untergangs auf den Auftraggeber über – vor der Abnahme besteht eine Pflicht des Auftragnehmers zur Mangelbeseitigung oder Neuherstellung.
Verlust von nicht vorbehaltenen Vertragsstrafen und Ansprüchen aufgrund erkennbarer Mängel (§ 640 Abs. 3 BGB): Daher sollten immer alle Mängel schriftlich festgehalten werden. Wichtig: Der Auftraggeber verliert nur die Ansprüche bezüglich der Mängel, die er vor der Abnahme tatsächlich kannte, da er sich nur diese Ansprüche vorbehalten konnte.
Wie Sie sehen, spielt die Abnahme eine größere Rolle, als in der Praxis oft angenommen wird. Sie haben Fragen zu Ihren Verpflichtungen oder Ansprüchen im Rahmen der Abnahme eines Bauwerks? Dann finden Sie noch heute den passenden Anwalt für Baurecht und Architektenrecht auf anwalt.de.
(PBI)
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Rechtstipps zu "Fiktive Abnahme"
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05.04.2025 Rechtsanwalt Christian Schilling„… , wenn sie die Nutzung nicht wesentlich beeinträchtigen. Der Auftraggeber kann sich solche Mängel für die Nachbesserung ausdrücklich vorbehalten. Fiktive Abnahme Was, wenn keine förmliche Abnahme stattfindet …“ Weiterlesen
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09.11.2024 Rechtsanwalt Christian Schilling„… der Abnahme: die förmliche Abnahme, die konkludente Abnahme und die fiktive Abnahme. Bei der förmlichen Abnahme erfolgt eine gemeinsame Begehung des Bauwerks durch beide Parteien und die Erstellung …“ Weiterlesen
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02.03.2023 Rechtsanwalt Clemens Biastoch„… diese „fiktive“ Abnahme nur, wenn der Unternehmer den Besteller zuvor über diese Rechtsfolgen belehrt hat. Fazit Die Abnahme geht, wie die anwaltliche Erfahrung zeigt, in der täglichen Praxis immer wieder …“ Weiterlesen
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19.10.2022 Rechtsanwalt Nils Buchartowski„… wird, die Sache auch erst in Gebrauch zu nehmen und auszuprobieren. 3. ) Die fiktive Abnahme Gemäß § 640 Abs. 2 BGB kann der Auftragnehmer eine Fiktion der Abnahme herbeiführen. Sollte der Auftraggeber …“ Weiterlesen
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15.07.2022 Rechtsanwalt Jochen Wöllstein„Seit der Reform zum Bauvertragsrecht und der damit einhergehenden Neuregelung zur fiktiven Abnahme in § 640 Abs. 2 BGB ist umstritten, ob die Wirkungen der Abnahme auch dann eintreten …“ Weiterlesen
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16.04.2022 Rechtsanwalt Markus Erler„… Honorarvereinbarungen vor, die zeitlich spätestens bei Auftragserteilung abgeschlossen und das fiktiv im Vergleich zu berechnende Mindestpreishonorar nicht unterschreiten sowie das Höchstpreishonorar …“ Weiterlesen
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29.03.2022 Rechtsanwalt Dr. Dieter Jasper LL.M.„… , dass bis zur Abnahme der Werkunternehmer die Pflicht hat, den Bau vertragsgemäß zu erstellen. Bis dahin hat der Besteller einen Erfüllungsanspruch. Er kann sich also darauf berufen …“ Weiterlesen
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04.10.2021 Rechtsanwalt Carsten Seeger„… , kann im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs statt der Leistung (kleiner Schadensersatz) gegen den Unternehmer gemäß § 634 Nr. 4, §§ 280, 281 BGB seinen Schaden nicht nach den fiktiven …“ Weiterlesen
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15.09.2021 Rechtsanwalt Carsten Seeger„… , die Abnahme zu konstruieren, indem sie auf die Begriffe der konkludenten (= schlüssigen) oder fiktiven Abnahme verweist. Jedoch helfen diese Abnahmeformen rechtlich nicht weiter, insbesondere …“ Weiterlesen
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09.11.2020 Rechtsanwalt Sascha C. Fürstenow„… zwischen den Zinsen, die der Darlehensnehmer bei Abnahme gezahlt hätte und der Rendite, die sich aus der fiktiven Wiederanlage ergeben würde, berechnet, so Rechtsanwalt Fürstenow. Wie können …“ Weiterlesen
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19.05.2020 Rechtsanwalt Finn Streich„… , dass ein Werk mit Ablauf von 12 Werktagen nach schriftlicher Mitteilung über die Fertigstellungsanzeige als abgenommen gilt (fiktive Abnahme). Eine solche Fertigstellungsanzeige …“ Weiterlesen
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22.07.2019 Rechtsanwalt Hermann Kaufmann„… kann. Bei derartigen Mängeln kann daneben auch keine fiktive Abnahme der Arbeitsleistung eintreten, wenn die Mängel offensichtlich und eindeutig bestanden und der Auftraggeber sich entweder nicht zur Abnahme …“ Weiterlesen
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29.06.2019 Rechtsanwalt Dr. Thomas Gutwin„… , ob sich die Parteien der Tatsache bewusst gewesen seien, dass eine förmliche Abnahme eigentlich vorgesehen war, oder ob sie das nur vergessen hätten. Zwar sei die fiktive Abnahme gemäß § 12 Abs. 5 VOB …“ Weiterlesen
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02.06.2019 Rechtsanwalt Dr. Thomas Gutwin„… das OLG, ob die unstreitig nicht stattgefundene förmliche Abnahme durch eine fiktive Abnahme nach § 12 Abs. 5 Nr. 1 VOB/B ersetzt wurde. Das kommt für das OLG nicht in Betracht, denn die Vereinbarung …“ Weiterlesen
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31.01.2019 Rechtsanwalt Frank Zillmer„… aufführen, selbst wenn es dazu schon aus der Bauphase viel Schriftverkehr gibt. Die Abnahme kann unterschiedlich erfolgen: ausdrücklich, durch schlüssiges Handeln oder fiktiv. Durch eine formlose …“ Weiterlesen
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04.01.2019 Rechtsanwalt Michael Walther„… , aber auch fiktiv bzw. stillschweigend (konkludent) erfolgen. Mit der Abnahme wird grundsätzlich die Vergütung des Auftragnehmers (Unternehmer) fällig und dieser kann nun seine Schlussrechnung …“ Weiterlesen
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19.10.2018 Rechtsanwältin Maike Bohn„Im Rahmen der Reform zum Bauvertragsrecht ist auch die gesetzliche Regelung zur Abnahme in § 640 BGB geändert worden. Hiervon betroffen ist die sogenannte „fiktive Abnahme“ (= vermutete Abnahme …“ Weiterlesen
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14.09.2018 Rechtsanwalt Alican Yildirim„… „Der Bauprozess“ 16.Auflage, Rn. 1824). 4. Die Abnahme durch Fristablauf (fiktive Abnahme) Es steht einer Abnahme gleich, wenn eine abnahmereife Leistung innerhalb einer gesetzten angemessenen Frist …“ Weiterlesen
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09.04.2018 Rechtsanwalt Jörg Diebow„… dem Jahr 2003 aufgenommen. Der Erstbeklagte ließ die Natursteinplatten (Römischer Travertin) durch einen Nachunternehmer verlegen. Nach Abnahme zahlte die Klägerin die im Jahr 2005 erstellte …“ Weiterlesen
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08.02.2018 Rechtsanwalt Holger Bernd„… des Bauunternehmers an der Feststellung des Zustandes – und der etwaigen Mängel – mitwirken muss. Auch die fiktive Abnahme ist neu geregelt: Ein Werk gilt nun als abgenommen, wenn der Besteller …“ Weiterlesen
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15.01.2018 Gabriele Weintz, anwalt.de-Redaktion„… wesentlichen Mängel vorhanden sind. Nach wie vor ist es so, dass ein Werk, das noch nicht fertiggestellt worden ist, weder ausdrücklich noch durch eine fiktive Abnahme abgenommen werden kann. Fiktive Abnahme …“ Weiterlesen
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23.10.2017 Rechtsanwalt Henrik Thiel„… einzuführen. Hier die wichtigsten Änderungen im Kurzüberblick Bislang konnte eine fiktive Abnahme des Werkes durch den Bauherrn, z. B. durch Bezug des Einfamilienhauses, nur angenommen werden …“ Weiterlesen
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07.04.2016 Görtz Legal Rechtsanwaltsgesellschaft mbH„… die Gesamtumstände des Einzelfalls geprüft werden, wird über diese Form der Abnahme auch vergleichsweise häufig gestritten. Die fiktive Abnahme: Gem. § 640 Abs. 1 S. 3 BGB kann der Auftragnehmer dem Auftraggeber …“ Weiterlesen
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14.08.2014 Rechtsanwalt Jürgen Leister„… des Kunden von vornherein kein Auftrag folgen soll. Der Kunde benötigt den Kostenvoranschlag lediglich als Grundlage für die fiktive Abrechnung eines Unfallschadens mit der eintrittspflichtigen …“ Weiterlesen