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Müssen Schwerbehinderte immer zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden?

  • 2 Minuten Lesezeit
anwalt.de-Redaktion

Welche Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden und welche nicht, entscheiden Arbeitgeber in der Regel nach eigenem Ermessen. Schwerbehinderte Kandidaten müssen dagegen gemäß § 82 Sozialgesetzbuch (SGB) Neuntes Buch (IX) zumindest von öffentlichen Arbeitgebern eine Einladung zum Vorstellungsgespräch erhalten. In einem aktuellen Fall wurde daher nun der Entschädigungsanspruch eines nicht eingeladenen schwerbehinderten Bewerbers bestätigt.

Keine Einladung zum Vorstellungsgespräch

Eine Stadt hatte per Stellenausschreibung einen Technischen Angestellten (männlich oder weiblich) gesucht, der die Leitung des Sachgebiets Betriebstechnik in einem botanischen Garten übernehmen sollte. Der neue Mitarbeiter sollte Diplomingenieur (FH), staatlich geprüfte/r Techniker/in oder Meister/in für Heizung-/Sanitär-/Elektrotechnik sein. Auch eine „vergleichbare Qualifikation“ sollte gemäß der Ausschreibung genügen.

Ein ausgebildeter Zentralheizungs- und Lüftungsbauer und staatlich geprüfter Umweltschutztechniker mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 hatte sich daraufhin beworben und dazu auch einen ausführlichen Lebenslauf eingereicht. Die Stadt entschied sich allerdings, ohne den schwerbehinderten Mann zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu haben, am Ende für einen anderen Kandidaten.

Bis zu drei Monatsgehälter Entschädigung

Der abgelehnte Stellenbewerber fühlte sich diskriminiert und verlangte dafür eine Entschädigung. Nach § 15 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) kann diese – selbst wenn der Bewerber auch bei einem benachteiligungsfreien Auswahlverfahren nicht eingestellt worden wäre – bis zu drei Monatsgehälter betragen.

Die Diskriminierung ergab sich nach Ansicht des Bewerbers schon aus der Tatsache, dass er nicht zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen worden war, obwohl die Stadt als öffentlicher Arbeitgeber dazu gemäß § 82 Satz 2 SGB IX verpflichtet gewesen wäre. Die beklagte Stadt hingegen berief sich auf Satz 3, wonach keine Einladung erfolgen muss, wenn dem Bewerber die fachliche Eignung offensichtlich fehlt.

Keine offensichtliche fachliche Ungeeignetheit

Die Arbeitsgerichte folgten über alle drei Instanzen im Wesentlichen der Meinung des schwerbehinderten Klägers. Indem die Stadt ihn trotz einschlägiger Vorschriften nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hatte, gab es zumindest die begründete Vermutung, dass er aufgrund seiner Schwerbehinderung vorzeitig aus dem Auswahlverfahren ausscheiden musste und somit diskriminiert worden war.

Diesen Vorwurf konnte die Stadt im Laufe des Verfahrens auch nicht entkräften. Insbesondere durfte sie nicht davon ausgehen, dass der Bewerber fachlich offensichtlich ungeeignet war, denn schließlich hatte er eine thematisch passende Ausbildung und war laut seinem Lebenslauf auch bereits einige Jahre als technischer Leiter und stellvertretender Betriebsleiter tätig gewesen. Zumindest eine offensichtliche fachliche Ungeeignetheit lag damit nicht vor.

Entschädigungshöhe bleibt Frage des Einzelfalls

Während das Arbeitsgericht dem Kläger allerdings eine Entschädigung in Höhe von drei Monatsgehältern zugesprochen hatte, reduzierte das Landesarbeitsgericht (LAG) den Betrag im Rahmen der Berufung wieder. Die Entschädigungshöhe muss grundsätzlich der Schwere des Verstoßes gegen das AGG entsprechen, welche das LAG in diesem Fall als nicht besonders schwerwiegend einstufte.

Auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) hielt am Ende lediglich ein Monatsgehalt für angemessen. Der nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladene schwerbehinderte Bewerber erhält danach eine Entschädigung von immerhin 2.861,96 Euro.

Fazit: Öffentliche Arbeitgeber müssen schwerbehinderte Bewerber zum Vorstellungsgespräch einladen, sofern diese für eine ausgeschriebene Stelle fachlich nicht offensichtlich ungeeignet sind. Für die Privatwirtschaft gilt diese Pflicht nicht. Eine Diskriminierung schwerbehinderter Bewerber kann aber auch hier zu Entschädigungsansprüchen führen.

(BAG, Urteil v. 11.08.2016, Az.: 8 AZR 375/15)

(ADS)

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