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Unterlassene Hilfeleistung & Unfallflucht: Erste Hilfe kann Leben retten!

  • 5 Minuten Lesezeit
Esther Wellhöfer anwalt.de-Redaktion

Gerät jemand durch ein Unglück in Not, kann er auf die Hilfe anderer zählen. So sollte es jedenfalls in einer Zivilgesellschaft sein. Doch nicht immer haben Beteiligte und Passanten die nötige Zivilcourage, um erste Hilfe zu leisten – sei es bei einem Verkehrsunfall, bei einer U-Bahn-Schlägerei oder einer sexuellen Belästigung in der Fußgängerzone. Unsere Rechtsordnung stellt unterlassene Hilfeleistung unter Strafe. Und dabei handelt es sich keineswegs um ein Bagatelldelikt. Jedes Jahr sterben ca. tausend Menschen, weil ihnen nicht geholfen wurde. Kann eine Straftat oder ein Unfall nicht aufgeklärt werden, sind die Unfallopfer häufig doppelt betroffen, weil sie keinen Adressaten haben, gegen den sie Schmerzensgeld und Schadensersatz geltend machen können.

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Straftat unterlassene Hilfeleistung

Das Strafgesetzbuch (StGB) sanktioniert unterlassene Hilfeleistung gemäß § 323c mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit einer Geldstrafe. Der Straftatbestand basiert darauf, dass in einem Unglücksfall ein Mindestmaß an Solidarität gesichert werden soll, indem die Verletzung der Hilfspflicht bei Unglücksfällen unter Strafe gestellt wird.

Eine Notlage liegt bei Unglücksfällen (Verkehrsunfall, akuter Krankheitsfall etc.), gemeiner Gefahr (z.B. Hindernis auf der Autobahn, Gasaustritt bei Chemieunfall) und Not (Überschwemmung, Stromausfall u.a.) vor. Auf die Ursache kommt es nicht an. Die erhebliche Gefährdung bezieht sich sowohl auf Personen als auch auf Sachen. Wer hier keine Hilfe leistet, obwohl sie erforderlich ist und ihm zugemutet werden kann, macht sich strafbar. Das bedeutet konkret: Wenn von anderer Seite sicher und sofort Hilfe geleistet werden kann, ist man nicht zu Rettungshandlungen verpflichtet. Allerdings muss man zumindest dafür Sorge tragen und sich vergewissern, dass tatsächlich Hilfe von anderen geleistet wird.

Nicht zumutbar ist die Hilfe, wenn der Helfer etwa durch die Hilfeleistung sich selbst oder einem anderen schadet. Beispiel: Wird man Zeuge eines Überfalls auf offener Straße, muss man nicht selbst als "Hilfssheriff" agieren, sondern sollte besser laut rufen, um so auf die Situation aufmerksam zu machen, und die Polizei informieren. Ob und welche Rettungshandlung zumutbar ist, richtet sich immer nach dem konkreten Einzelfall. Zunächst kommt es auf die Person des Helfers an. Je nach seinen physischen und psychischen Kräften zur Zeit der Notlage ist er zur Hilfeleistung verpflichtet. Beispiel: Von einem medizinischen Laien kann sicher nicht verlangt werden, dass er eine Notoperation durchführt, von einem Arzt dagegen schon.

Für eine Strafbarkeit gemäß § 323c StGB wird bedingter Vorsatz vorausgesetzt. Der Täter muss mit Wissen und Wollen keine Hilfe geleistet haben, obwohl er sowohl die Gefahrenlage als auch, dass er zur Hilfe fähig ist, erkannt und die Folgen billigend in Kauf genommen hat.

Schutz des Helfers

Wer in einer Notlage Hilfe leistet, den nimmt das Gesetz in Schutz. Er haftet grundsätzlich nicht für Fehler, die ihm bei der Hilfeleistung unterlaufen. Hinweis: Anders fällt die rechtliche Bewertung jedoch bei medizinischen Fachleuten (Sanitäter, Ärzte, Krankenschwestern) aus. Sie können beispielsweise für fahrlässiges Handeln haftbar gemacht werden.

Verletzt sich der Helfer selbst, so kann er seinerseits zivilrechtliche Ansprüche gegen den Unfallverursacher, die Unfallversicherung des Verursachers oder auch gegen das Opfer geltend machen. Darüber hinaus ist er mit der gesetzlichen Unfallversicherung abgesichert und kann bei ihr seine erlittenen Personen- und Sachschäden geltend machen (z.B. Kosten für eigene Heilbehandlung, durch Hilfeleistung verschmutzte/zerstörte Kleidung).

Pflichten bei einem Verkehrsunfall

Der Klassiker, bei dem unterlassene Hilfeleistung eine Rolle spielt, ist der Verkehrsunfall. Hierbei macht sich nicht nur ein Unfallbeteiligter strafbar, der keine Hilfe leistet. Die allgemeine Handlungspflicht des § 323c StGB gilt für jedermann, so dass beispielsweise auch unbeteiligte Passanten und „Gaffer“ gesetzlich zur Hilfeleistung verpflichtet sind.

Beteiligte an einem Verkehrsunfall, also Personen, deren Verhalten irgendwie zum Unfall beigetragen hat, sind außerdem gemäß § 34 Straßenverkehrsordnung (StVO) zu folgenden Sofortmaßnahmen vor Ort verpflichtet:

  • sofort anhalten,
  • den Verkehr sichern (Warndreieck aufstellen etc.) und bei Bagatellschäden unverzüglich auf die Seite fahren,
  • sich einen Überblick über die Unfallfolgen verschaffen,
  • Verletzten helfen (ansonsten macht man sich gemäß § 323c StGB strafbar),
  • bei anderen Unfallbeteiligten angeben, dass man beteiligt war und auf Verlangen seinen Namen und Anschrift hinterlassen und Führerschein und Fahrzeugpapiere zeigen und Angaben zu seiner Haftpflichtversicherung machen,
  • solange am Unfallort bleiben bis Personalien, Fahrzeug und Beteiligung am Unfall festgestellt worden sind bzw. eine angemessene Zeit am Unfallort warten und dort Namen und Anschrift hinterlassen, wenn niemand zur Aufnahme des Unfalls vor Ort war,
  • im letzteren Fall oder wenn man berechtigterweise den Unfallort vorzeitig verlassen muss (z.B. weil man selbst ärztliche Versorgung benötigt), ist man jedoch dazu verpflichtet, unverzüglich nachträglich Personalien und Unfallbeteiligung der nächsten Polizeidienststelle zu melden und sein Fahrzeug zur Klärung des Unfallhergangs für eine gewisse Zeit zur Verfügung zu stellen.

Die Polizei muss alle Umstände des Unfallhergangs feststellen können. Daher ist es nicht erlaubt, Unfallspuren zu beseitigen, bevor der Unfall polizeilich aufgenommen wurde.

Rechtsfolgen bei Unfallflucht

Verletzt ein Unfallbeteiligter die Wartepflicht, macht er sich wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort (Unfallflucht) gemäß § 142 StGB strafbar. Die Wartepflicht hat nicht nur strafrechtliche Folgen, sondern auch versicherungsrechtliche Aspekte. Denn sie dient zur Feststellung und Sicherung von zivilrechtlichen Ansprüchen. Das Oberlandesgericht Brandenburg hatte kürzlich über einen Verkehrsunfall zu entscheiden, bei dem eine Leitplanke beschädigt wurde und der Fahrer eine Fahrerflucht gemäß § 142 StGB begangen hatte. Sein Kasko-Versicherer weigerte sich, wegen der Unfallflucht für den verursachten Schaden aufzukommen. Die Brandenburger Richter gaben ihm Recht, der Fahrer musste alle Unfallkosten aus eigener Tasche bezahlen (Az.: 12 U 205/06). Der Versicherungsnehmer ist gegenüber seiner Versicherung darüber hinaus vertraglich gemäß den Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB) verpflichtet, alle Maßnahmen zur Schadensminderung zu ergreifen. Wer nun eine Unfallflucht begeht (§ 142 StGB), verstößt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs gleichzeitig auch gegen seine Aufklärungsobliegenheit gemäß § 7 AKB gegenüber seinem Kaskoversicherer (Az.: IV a ZR 28/86).

Daraus folgt, dass eine Wartepflicht entfällt, wenn bei dem Unfall kein oder lediglich ein geringfügiger Sachschaden entstanden ist, der versicherungsrechtlich nicht relevant ist. Nachdem die Gerichte bisher die Bagatellgrenzen bei 20,- bzw. 25,- Euro festgelegt hatten, hat das Oberlandesgericht Nürnberg diese im letzten Jahr auf 50,- Euro angehoben und seinen Beschluss mit den gestiegenen Preisen für Autoreparaturen begründet (Az.: 2 St OLG Ss 300/06).

(WEL)

Foto(s): ©Fotolia.com

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