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Das Versäumnisurteil im Zivilprozess – Fluch oder Segen?

  • 7 Minuten Lesezeit
Das Versäumnisurteil im Zivilprozess – Fluch oder Segen?

Experten-Autorin dieses Themas

Eine Zivilklage vor dem Amts- oder Landgericht führt früher oder später dazu, dass vom zuständigen Richter ein Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt wird. Im Regelfall ordnet das Gericht für die Verhandlung das persönliche Erscheinen beider Parteien an. An den Landgerichten herrscht nach der deutschen Zivilprozessordnung ein Anwaltszwang, sodass bei dortigen Terminen auch immer ein Anwalt für die Partei erscheinen muss. Nur der Anwalt kann vor dem Landgericht wirksame Prozesshandlungen vornehmen. In Fällen, in denen eine geladene Partei oder ein notwendiger Anwalt nicht erscheint, kann gegen die abwesende Partei ein sogenanntes Versäumnisurteil ergehen. Voraussetzung hierfür ist vor allem die sogenannte Säumnis einer Partei. In diesem Ratgeber erfahren Sie die wichtigsten Grundlagen für den Erlass eines Versäumnisurteils sowie die Besonderheiten bei den Kostenfolgen und bei der Vollstreckung.

Unter welchen Voraussetzungen kann ein Versäumnisurteil ergehen?

Das Gericht muss vor dem Erlass eines Versäumnisurteils vier Voraussetzungen prüfen. Ein Versäumnisurteil darf der Richter oder die Richterin nur dann fällen, wenn:

  • eine Partei säumig ist,
  • die andere Partei einen Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils gestellt hat,
  • ein Versagungsgrund nicht vorliegt und
  • die Klage zulässig ist.

Die Säumnis einer Partei kann in unterschiedlichen Stadien eines zivilen Klageverfahrens eintreten. Das Verfahren beginnt mit der Einreichung einer Klageschrift, die nach Einzahlung des angeforderten Gerichtskostenvorschusses durch den Kläger an die beklagte Partei zugestellt wird. In der Regel ordnet das Gericht ein schriftliches Vorverfahren an, bei dem die Parteien im Rahmen von Schriftsätzen den Streitstoff vortragen sowie die aus ihrer Sicht relevanten Rechtsfragen diskutieren. Bevor die beklagte Partei die Klageerwiderung einreicht, muss sie jedoch zwingend vorab ihre Absicht zur Verteidigung gegen die Klage mitteilen (sogenannte Anzeige der Verteidigungsabsicht). Besteht Anwaltszwang, kann die Verteidigungsabsicht nur von einem zugelassenen Rechtsanwalt vor Gericht angezeigt werden. Wird die Verteidigungsabsicht nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist ab Klagezustellung ordnungsgemäß angezeigt, ist die beklagte Partei in dem Verfahren säumig. Der Kläger kann dann gegenüber dem Gericht beantragen, dass ein Versäumnisurteil erlassen wird. Die Säumnis kann jedoch auch erst zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor Gericht eintreten, indem der Kläger oder die beklagte Partei körperlich nicht anwesend ist oder eine Partei trotz körperlicher Anwesenheit keine Anträge stellt.

In beiden Konstellationen ist stets ein Antrag der anderen Partei auf Erlass des Versäumnisurteils erforderlich. Das Gericht kann also nicht von Amts wegen eigenmächtig ein solches Versäumnisurteil gegen die säumige Partei erlassen. Das Gericht muss auch prüfen, ob ein Versagungsgrund vorliegt. Eine Versäumnisentscheidung ist nach § 335 Zivilprozessordnung (ZPO) zum Beispiel dann unzulässig, wenn „die nicht erschienene Partei nicht ordnungsgemäß, insbesondere nicht rechtzeitig geladen“ worden ist. Schließlich muss die Klage auch alle gesetzlich vorgeschriebenen Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllen, insbesondere vor dem zuständigen Gericht erhoben worden sein. Liegen diese sogenannten Prozessvoraussetzungen nicht vor, darf das Gericht kein Versäumnisurteil fällen.

Was ist der Unterschied zwischen einem echten und unechten Versäumnisurteil?

Wenn ein Versäumnisurteil ergeht, muss zwischen zwei Erscheinungsformen unterschieden werden: dem echten und dem unechten Versäumnisurteil. Von einem echten Versäumnisurteil spricht man, wenn entweder der Kläger oder der Beklagte zum Gerichtstermin nicht erscheint und die jeweils andere Partei den Erlass eines Versäumnisurteils beantragt. Ein echtes Versäumnisurteil wird gegen den Beklagten auch dann gefällt, wenn er versäumt, nach Erhalt der Klageschrift rechtzeitig seine Absicht zur Verteidigung gegen die Klage gegenüber dem Gericht anzuzeigen. Die Verteidigungsabsicht ist dem Gericht innerhalb von zwei Wochen ab Zugang der Klage mitzuteilen. Aber Achtung: Vor den Landgerichten herrscht Anwaltszwang, sodass vor diesen auch nur ein Anwalt die Verteidigungsabsicht wirksam anzeigen kann. Juristische Laien übersehen dies häufiger und werden dann vom Erlass eines Versäumnisurteils wegen fehlender Verteidigungsanzeige überrascht. Vor den Amtsgerichten können sich die Parteien hingegen selbst vertreten. Juristischen Laien ist dies jedoch aufgrund der Fülle möglicher juristischer Fallstricke im Zivilprozess meist nicht zu empfehlen.

Ein unechtes Versäumnisurteil ergeht in Fällen, in denen die Klage unzulässig oder unschlüssig ist und abgewiesen wird. Die Säumnis einer Partei ist bei dieser Form also nicht das ausschlaggebende Kriterium. Eine Klage ist zum Beispiel dann unzulässig, wenn das angerufene Gericht nicht zuständig ist oder die Klageschrift nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form entspricht. Eine Klage ist unschlüssig, wenn der vom Kläger vorgetragene Sachverhalt – bei unterstellter Wahrheit – die von ihm begehrte Rechtsfolge gar nicht trägt. Beispiel: Der Kläger macht einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung geltend, hat aber in der Klageschrift nichts zum Abschluss eines Kaufvertrages mit dem Beklagten vorgetragen. Selbst wenn der Beklagte nicht im Termin erscheint, so erlässt das Gericht gleichwohl nur ein unechtes Versäumnisurteil, in dem die Klage abgewiesen wird.

Was passiert nach dem Versäumnisurteil?

Ist ein Versäumnisurteil gegen eine säumige Partei ergangen, kann diese innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung des Urteils einen Einspruch gegen das Versäumnisurteil einlegen. Ist die Einspruchsfrist abgelaufen, wird das Versäumnisurteil rechtskräftig und eine Anfechtung ist ohne Ausnahmen ausgeschlossen. Wurde der Einspruch innerhalb der Frist ordnungsgemäß erhoben, wird das Gerichtsverfahren wieder in den Stand zurückversetzt, in dem es sich vor dem säumigen Ereignis befunden hatte. In der Regel findet dann noch mal ein weiterer Termin zur mündlichen Verhandlung statt. Ist in diesem Termin dieselbe Partei erneut säumig, ergeht auf Antrag der Gegenseite ein zweites Versäumnisurteil. Gegen ein zweites Versäumnisurteil steht der säumigen Partei jedoch kein erneutes Einspruchsrecht zu (§ 345 Zivilprozessordnung).

Das Versäumnisurteil hat die Besonderheit, dass es ohne Sicherheitsleistung durch die vollstreckende Partei sofort vorläufig vollstreckbar ist. Das bedeutet, dass aus dem Versäumnisurteil sofort und ohne Einschränkungen gegen die unterlegene Partei vollstreckt werden darf und der Gläubiger zwangsvollstreckungsrechtliche Maßnahmen einleiten kann. Zu solchen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zählen zum Beispiel die Beauftragung eines Gerichtsvollziehers, die Pfändung eines Bankkontos oder die Zwangsversteigerung einer Immobilie. Die beklagte Partei muss daher alle Forderungen umgehend begleichen. In der Praxis wartet der Gläubiger jedoch erfahrungsgemäß zumindest die zweiwöchige Einspruchsfrist erstmal ab, damit etwaige kostenintensive Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nicht schon bereits eingeleitet werden und dann doch erst einmal wieder eingestellt werden müssen. Dennoch kann ein Versäumnisurteil wegen der sofortigen Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung für den Schuldner gefährlich sein.

Welche Kosten entstehen bei einem Versäumnisurteil?

Oftmals kommt bei juristischen Laien die Frage auf, ob durch ein Versäumnisurteil oder den Einspruch dagegen zusätzliche Kosten entstehen. Allerdings gibt es insoweit Entwarnung: Durch das Versäumnisurteil oder die Einspruchserhebung entstehen weder zusätzliche Gerichtskosten noch weitere Anwaltsgebühren. Die nach dem Rechtsanwaltsgebührengesetz vorgesehene Terminsgebühr kann der Anwalt aber nur einmal abrechnen. Ist die beklagte Partei im Termin nicht erschienen, ist auf Antrag des klägerischen Anwalts ein Versäumnisurteil gegen den Beklagten ergangen und hat dieser Einspruch eingelegt, sodass ein zweiter Termin vor Gericht stattfindet, so darf der Anwalt des Klägers keine zweite Terminsgebühr abrechnen. Tritt für den Beklagten im Termin nach der Einspruchseinlegung erstmals ein Anwalt auf, entsteht für diesen erstmals die Terminsgebühr und kann abgerechnet werden. Im Zivilprozess gilt anders als im Strafrecht: Nur die erste Terminswahrnehmung wird vergütet. Alle weiteren Termine werden nicht erneut vergütet und sind mit der einmalig abgerechneten Terminsgebühr quasi mitabgegolten.

Allerdings hat die säumige Partei diejenigen Kosten anteilig zu tragen, die durch ihr Versäumnis entstanden sind. Diese sogenannten Versäumniskosten muss die säumige Partei auch dann tragen, wenn sie einen erfolgreichen Einspruch eingelegt hat. Ob derartige Mehrkosten durch die Säumnis einer Partei tatsächlich entstanden sind, wird erst im anschließenden Kostenfestsetzungsverfahren geklärt. Säumnisbedingte Mehrkosten sind zum Beispiel anfallende Kosten für die erforderliche nochmalige Ladung von Zeugen und Sachverständigen.

Rechtstipp vom Anwalt: Flucht in die Säumnis als prozesstaktischer Nothelfer

Manchmal verläuft ein Gerichtstermin nicht wie erwartet und es tauchen überraschend neue Probleme auf, die eine Partei vorher nicht hat kommen sehen oder sogar übersehen hat. In einem solchen Fall können Anwälte oder auch die Partei auf den prozesstaktischen Nothelfer der sogenannten „Flucht in die Säumnis“ zurückgreifen. Muss der Anwalt für die eigene Mandantschaft Zeit verschaffen, um überraschend aufgetretene Probleme noch klären zu können, kann er einfach im Termin gegenüber dem Gericht mitteilen, dass er keine Anträge stellen wird. Dies wird prozessual als ein sogenanntes „Nichtverhandeln“ gewertet und die Partei wird so behandelt, als wäre sie im Termin nicht erschienen. Sie ist also säumig und der Weg für den Erlass eines Versäumnisurteils ist frei. Dies verschafft der Partei in Nöten mindestens zwei Wochen Zeit, bis der Einspruch einzulegen ist und ein neuer Termin stattfindet. In dieser Zeit können etwaige Sachverhaltslücken oder Rechtsprobleme doch noch geklärt werden.

Das Gericht oder die Gegenseite kann eine solche „Flucht in die Säumnis“ nicht unterbinden. Das Versäumnisurteil kann daher im Zivilprozess ausnahmsweise auch einmal einen Segen darstellen, wenn einer Partei andernfalls buchstäblich die Zeit ablaufen würde. Denn werden in der mündlichen Verhandlung Anträge gestellt und wird die Verhandlung dann geschlossen, können die Parteien vor der Urteilsverkündung in der Regel nichts mehr Neues vortragen.

Foto(s): ©Adobe Stock/engel.ac

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