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Geburtsschaden: Welche Rechte haben betroffene Eltern und ihre Kinder?

  • 6 Minuten Lesezeit
Geburtsschaden: Welche Rechte haben betroffene Eltern und ihre Kinder?

Geburtsschäden bei Mutter oder Kind sorgen für viele Sorgen und Schwierigkeiten bei betroffenen Familien. Es stellen sich Fragen wie: „Womit soll die Pflege in Zukunft gezahlt werden?“, und: „Welche Ansprüche können wir gegenüber dem behandelnden Arzt geltend machen?“. Nachfolgend lesen Sie, wann es sich rechtlich gesehen um einen Geburtsschaden handelt, wann medizinisches Personal zur Verantwortung gezogen werden kann, wer den Geburtsschaden aufgrund einer falschen Behandlung beweisen muss und welche Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche Betroffene haben.

Was ist ein Geburtsschaden?

Im rechtlichen Sinne ist ein Geburtsschaden ein gesundheitlicher Schaden bei einem neugeborenen Kind, der Mutter oder bei beiden. Die Schädigung erfolgt aufgrund eines vermeidbaren medizinischen Fehlers in der Zeit zwischen der Feststellung der Schwangerschaft bis zur Nachgeburtsuntersuchung.

Bei Geburtsschäden kann es sich sowohl um körperliche – wie beispielsweise Lähmungen oder Hirnschädigungen – als auch psychische Schäden handeln. Aber auch ein tödlicher Ausgang bei Mutter oder/und Kind zählt dazu. Als Schaden gelten sowohl unmittelbare als auch langfristige Folgeschäden.

Häufigste Ursachen für Geburtsschäden sind Diagnosefehler sowie fehlerhafte oder falsche Therapien, die zur Folge haben, dass notwendige Behandlungen unterlassen werden. Beispiele hierfür sind:

  • Missbildung oder deutliche Erkrankung des Säuglings, die während der Voruntersuchungen nicht erkannt wurde
  • Sauerstoffmangel beim Säugling aufgrund einer zu spät erkannten falschen Lage oder unregelmäßiger Herztöne, weshalb ein notwendiger Kaiserschnitt verspätet erfolgte
  • Verletzungen durch fehlerhafte Geburtsmanöver wie die unsachgemäße Nutzung von Zange oder Saugglocke
  • fehlerhafte Medikamentenvergabe, weil nicht nach einer Schwangerschaft gefragt oder diese nicht berücksichtigt wurde
  • unzureichende Reaktion auf eine Thrombose oder Infektion

Ansprüche bei Geburtsschäden: Welche Entschädigung steht Betroffenen zu?

Ob Betroffene Ansprüche durchsetzen können, entscheidet sich auf Grundlage des Arzthaftungsrechts. Danach entstehen Ansprüche nur, wenn ein medizinischer Behandlungsfehler vorliegt. Dies ist der Fall, wenn ein vermeidbarer Fehler bei der Geburt zu Schäden bei der Mutter, beim Kind oder bei beiden führt.

Nach § 630 a Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) liegt ein medizinischer Behandlungsfehler vor, wenn die Geburt oder Geburtsvorsorge nicht nach – zum Behandlungszeitpunkt bestehenden – anerkannten fachlichen Standards erfolgte. Zivilrechtlich gilt ein Behandlungsfehler als Pflichtverletzung des Arztes. Daraus ergibt sich nach § 280 BGB ein Anspruch auf Schadensersatz.

Art und Höhe der Ansprüche: Schadensersatz und Schmerzensgeld

Bei einem Schadensersatz handelt es sich um den Ausgleich von Schäden, die mit einem (Geld)Wert bemessen werden können. Das bedeutet, dass im Falle eines Geburtsschadens beispielsweise folgende konkrete Kostenfaktoren herangezogen werden können: Aufwand für Pflegeleistungen, Therapien, Medikamente, behindertengerechter Umbau von Auto und Haus, Verdienstausfall etc. Für Folgeschäden werden Schätzwerte herangezogen.

Neben Schadensersatz kann häufig auch Schmerzensgeld gefordert werden. Dabei handelt es sich um eine Entschädigung für immaterielle Schäden, die nicht konkret bezifferbar sind und daher in der Regel individuell bemessen werden. Die Höhe hängt dabei von verschiedenen Einflussfaktoren ab:

  • Grad und Dauer der Schmerzen
  • körperliche Entstellung
  • Folgeschäden
  • Umfang der körperlichen oder geistigen Einschränkungen
  • Beeinträchtigung im Alltag und Beruf
  • Dauer von Behandlungen und Aufenthalten im Krankenhaus und in Reha-Einrichtungen

Als Richtwert dienen meist Schmerzensgeldtabellen zur Einschätzung der Schadensersatzhöhe. Diese basieren auf früheren Gerichtsurteilen, wie nachfolgend beispielhaft aufgeführt.

Form des Behandlungsfehlers bei der Geburt Folgen für das Kind beziehungsweise die Mutter Schmerzensgeld Urteil
Fehlende Lokalanästhesie beim Nähen des Dammschnitts, rechtswidrige vaginal-operative Saugglockenentbindung, fehlende Beratung und Mitsprache bei Entbindungsvorgang Temporäre Schmerzen und psychischer Druck der Mutter zum Zeitpunkt der Geburt (keine bleibenden Schäden) 3.000 Euro Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg, 08.02.2012, 5 U 101/10
Wehenforcierung bei Schulterdystokie Lähmung des rechten Arms des Kindes 50.000 Euro Landesgericht(LG) Rottweil, 27.11.2003, 2 O 537/01
Übersehene Uterusruptur massive geistige und körperliche Behinderung des Kindes 250.000 Euro OLG Freiburg, 3.08.2007, 5 O 10/05
Zu spät behandelte Sauerstoffunterversorgung Spastische Tetraplegie mit psychischem Leiden des Kindes 300.000 Euro OLG Hamm, 17.03.2015, 26 U 108/13
Verspätet eingeleiteter Notkaiserschnitt Entwicklungsrückstand sowie schwere geistige und körperliche Behinderung wegen einer Hirnschädigung des Kindes 350.000 Euro OLG Koblenz, 26.02.2009, 5 U 1212/07
Zu spät erkannte Sauerstoffunterversorgung und Verkennen der Dringlichkeit weiterer Behandlung Schwere Hirnschädigung mit körperlicher Behinderung und geistiger Beeinträchtigung des Kindes 400.000 Euro OLG Hamm, 19.03.2018, 3 U 63/15
Zu frühe Nutzung des Kristeller-Handgriffs Schwerste körperliche wie geistige Behinderung des Kindes 500.000 Euro OLG Hamm, 21.05.2003, 3 U 122/02
Verwechselter Herzschlag von Mutter und Kind mit zu spät erkannter Sauerstoffunterversorgung Schwerer Hirnschaden des Kindes 500.000 Euro OLG Oldenburg, 13.11.2019, 5 U 108/18
Verspätet eingeleiteter Notkaiserschnitt Schwerste körperliche wie geistige Behinderung des Kindes 600.000 Euro OLG Jena, 14.08.2009, 4 U 459/09
Verspätet eingeleiteter Notkaiserschnitt Massive geistige und körperliche Behinderung des Kindes (100 %) 700.000 Euro OLG Frankfurt, 10.09.2012, 14 U 99/11

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Verjährung von Ansprüchen bei Geburtsschäden

Ein Anspruch auf Entschädigungsleistungen kann verjähren. Die gesetzliche Frist nach § 195 BGB liegt bei drei Jahren zum Jahresende, wobei der Fristbeginn einzelfallabhängig ist. In der Regel beginnt die Frist allerdings mit Ende des Jahres, in dem der Schaden entstanden ist und der Geschädigte beziehungsweise dessen Vertreter vom Schaden und Verursacher Kenntnis erlangt hat (§ 199 BGB).

Beispiel: Bei einer Mutter setzen im August 2021 die Wehen ein und sie wird ins Krankenhaus eingeliefert. Dort wird ungeplant ein Notkaiserschnitt durchgeführt. Im Februar 2022 diagnostiziert der Kinderarzt bei dem Kind eine Hirnschädigung aufgrund eines früheren Sauerstoffmangels. Dieser kam zustande, da der Kaiserschnitt zu spät vorgenommen wurde. Das bedeutet, die Verjährungsfrist in diesem Fall beginnt erst zum Zeitpunkt der Kenntnisnahme am 31.12.2022 und endet – drei Jahre später – am 31.12.2025.

Nach der Verjährung sind in der Regel keine Ansprüche mehr durchsetzbar. Diese Frist kann umgangen werden, indem innerhalb der Verjährungsfrist ein Feststellungsantrag bei Gericht eingereicht wird. Damit läuft eine 30-jährige Verjährungsfrist ab dem Datum der Antragstellung. Mit dieser Methode können Ansprüche aufgrund noch nicht ersichtlicher Folgeschäden auch noch nach mehr als drei Jahren eingefordert werden.

Nachweis von Geburtsschäden: Ablauf und Beweispflicht

Um Ansprüche wegen Geburtsschäden durchsetzen zu können, muss in der Regel die geschädigte Familie dem verantwortlichen Arzt beziehungsweise der verantwortlichen medizinischen Kraft – etwa einer Hebamme – einen medizinischen Behandlungsfehler nachweisen, der ursächlich für die eingetretenen Schäden ist. Das bedeutet, die Beweispflicht liegt beim Geschädigten.

Beweiserleichterung und Beweislastumkehr

Doch nicht immer ist der Geschädigte in der Beweispflicht. Ist beispielsweise die Patientenakte oder die Behandlungsdokumentation aufgrund mangelnder beruflicher Sorgfaltspflicht nicht vollständig, so kommt es zu einer Beweiserleichterung. Handelt es sich um einen groben Behandlungsfehler – umgangssprachlich: Kunstfehler oder Ärztepfusch –, kehrt sich die Beweislast um. Das bedeutet, der Arzt muss nachweisen, dass er keinen Fehler gemacht hat.

Ein grober Behandlungsfehler liegt dann vor, wenn ein Verstoß aus subjektiver Sicht nicht mehr verständlich ist, da eindeutig nicht nach gesicherten medizinischen Erkenntnissen und ärztlichen Behandlungsregeln gehandelt wurde. Hierzu gehören beispielsweise unterlassene Reaktionen auf eindeutige Symptome. 

Geburtsschaden nachweisen: Was ist zu tun?

  1. Holen Sie sich anwaltlichen Rat ein. Den passenden Anwalt für Medizinrecht finden Sie auf anwalt.de.
  2. Sichern Sie selbst Beweise: Erstellen Sie hierfür ein Gedächtnisprotokoll, das alle Umstände erfasst, die zu dem Behandlungsfehler geführt haben könnten. Heben Sie zudem alle medizinischen Dokumente, wie etwa Arztbriefe, Ultraschallbilder, Mutterpass, Untersuchungsheft des Kindes und Krankenhausberichte auf.
  3. Der beauftragte Anwalt wird sämtliche Unterlagen prüfen und eine Abschrift der Patientenakte – mit Aufzeichnung des Wehenschreibers und Geburtsprotokolls – auf Grundlage des Herausgaberechts nach § 630g BGB anfordern. Gegebenenfalls wird in diesem Rahmen noch ein medizinisches Gutachten nötig.

Wichtig: Stellen Sie keinesfalls eine Strafanzeige, ohne vorher mit einem Anwalt gesprochen zu haben. Diese Anzeige würde ein Strafverfahren auslösen, das das zivilrechtliche Verfahren – bei dem die Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden können – blockieren würde. Denn beide Verfahren können nicht gleichzeitig ablaufen. Treffen Sie auch keine Einigung mit dem Arzt oder Krankenhaus ohne anwaltlichen Beistand. Dadurch fallen in der Regel die Entschädigungszahlungen geringer aus.

Entschädigungen für Geburtsschäden einfordern: außergerichtlich oder gerichtlich

Ansprüche können sowohl in einer außergerichtlichen Einigung geltend gemacht oder vor Gericht verhandelt werden. Wurde die Mutter bei der Geburt geschädigt, kann diese ihre Ansprüche selbst geltend machen oder – wenn sie nicht mehr selbst dazu in der Lage ist – ein gesetzlicher Vertreter. Die Ansprüche eines geschädigten Kindes machen in der Regel gesetzliche Vertreter wie beispielsweise die Eltern geltend.

Außergerichtliche Einigung

Bei einer außergerichtlichen Einigung kommt es meist zu einer Verhandlung mit der Haftpflichtversicherung des Arztes beziehungsweise Krankenhauses. Dabei verhandelt – im idealen Fall – der Anwalt des Geschädigten mit der Haftpflichtversicherung eine angemessene Schmerzensgeld- und Schadensersatzsumme. Zudem stellt er sicher, dass eine verjährungssichere Anerkenntniserklärung entsteht, die zukünftige Folgeschäden abdeckt. Wird keine Einigung erzielt, ist als nächster Schritt eine gerichtliche Verhandlung möglich.

Gerichtliche Durchsetzung von Ansprüchen bei Geburtsschäden

Sollen Ansprüche wegen eines Geburtsschaden von einem Richter entschieden werden, so ist eine Klage bei Gericht einzureichen. Dabei gilt, dass ab einem Streitwert von über 5.000 Euro ein Anwalt Pflicht ist. Der Prozess beginnt offiziell mit der Zustellung der Klageschrift an die Gegenseite und deren schriftlicher Stellungnahme. Anschließend erfolgt die Gerichtsverhandlung. Bei dieser werden Sachverständige angehört und Untersuchungen sowie Auswertungen der Beweismittel vorgenommen. Das Gericht entscheidet auf dieser Grundlage, ob ein Geburtsschaden vorliegt, und legt die Entschädigungssumme fest. Das Gericht gibt im Rahmen der Urteilsfindung auch die Frist vor, in der die Auszahlung der Entschädigungssumme erfolgen muss.

Kosten für eine gerichtliche Einigung

Bei einer gerichtlichen Einigung fallen in der Regel die Kosten für den Anwalt, das Gericht sowie möglicherweise Zeugen und Sachverständige an. Der Prozessverlierer hat zudem eine Entschädigung an den Gegner für Anwalts- und Gerichtskosten zu zahlen. Der Eigenanteil der zu begleichenden Kosten kann niedriger ausfallen, wenn zum einen eine Rechtsschutzversicherung genutzt und zum anderen die Prozesskostenhilfe in Anspruch genommen werden kann.

(KGR)

Fragen und Antworten zum Geburtsschaden

Auf welche Entschädigung haben Betroffene von Geburtsschäden Anspruch?

Betroffenen stehen in der Regeln Ansprüche in Form von Schadensersatz und Schmerzensgeld zu. Die Höhe richtet sich dabei nach der Schwere der Geburtsschäden sowie nach damit zusammenhängenden Folgen, wie etwa Pflegeaufwand oder notwendige Umbaumaßnahmen. Der tatsächliche Betrag wird in der Regel individuell festgelegt. Als Orientierung können Schmerzensgeldtabellen mit vergleichbaren Gerichtsurteilen dienen.

Wer muss einen Geburtsschaden beweisen?

Die Beweispflicht liegt in der Regel bei der geschädigten Person. Das bedeutet, diese muss den Nachweis erbringen, dass ein ärztlicher Behandlungsfehler vorliegt und dass die betreffenden Schäden dadurch verursacht wurden. Anders ist es, wenn ein grober Behandlungsfehler vorliegt. In diesem Fall ist der Arzt beziehungsweise das Krankenhaus in der Beweispflicht.

Verjähren Ansprüche aufgrund eines Geburtsschadens?

Ja. In der Regel verjähren Ansprüche nach Ablauf des dritten Jahres nach Feststellung und Kenntnisnahme des Schadens und dessen Verursachers durch den Geschädigten oder dessen gesetzlichen Vertreter. Es kann jedoch eine längere Frist von 30 Jahren erzielt werden, wenn ein Feststellungsantrag bei Gericht eingereicht wird.

Foto(s): ©Adobe Stock/hedgehog94

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