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Gleichstellung Behinderter auch bei beruflicher Veränderung

  • 3 Minuten Lesezeit
Christian Günther anwalt.de-Redaktion

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Schwerbehinderte stehen unter besonderem rechtlichen Schutz. Unter bestimmten Voraussetzungen können sich andere unter einer Behinderung leidende Menschen mit Schwerbehinderten gleichstellen lassen. Das gilt auch für den Fall, dass Betroffene die Gleichstellung zum Zweck der beruflichen Veränderung beantragen, wie das Bundessozialgericht (BSG) nun entschied.

Grad der Behinderung von mindestens 30

Als schwerbehindert gilt jeder mit einem Grad der Behinderung (GdB) von wenigstens 50. Auf Antrag können sich behinderte Menschen mit einem geringeren Grad der Behinderung von mindestens 30 mit Schwerbehinderten gleichstellen lassen. Voraussetzung dafür ist laut § 2 des Neunten Sozialgesetzbuches (SGB IX), dass die Betroffenen ohne die Gleichstellung infolge ihrer Behinderung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder nicht behalten können.

Schutz vor Arbeitslosigkeit ist ein Gedanke

Ein wesentlicher Gedanke dabei ist es, auch Behinderte besser vor Arbeitslosigkeit zu schützen. So gewährt § 85 SGB IX schwerbehinderten Menschen etwa einen besonderen Kündigungsschutz. Betriebe mit mehr als 20 Arbeitsplätzen müssen aufgrund von § 71 SGB IX auf mindestens 5 Prozent der Arbeitsplätze Schwerbehinderte beschäftigen oder andernfalls eine Abgabe zahlen. Durch die Gleichstellung würden auch Behinderte mit einem GdB zwischen 30 und 50 von entsprechenden Regelungen profitieren.

Konkrete Anzeichen für Gleichstellung erforderlich

Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Person, die eine Gleichstellung beantragt, dieser auch konkret zum Schutz des Arbeitsverhältnisses bedarf. Wer sich mit der Gleichstellung besonders schützen will, darf den Schutz seines Arbeitsverhältnisses nicht anderweitig genießen. Beispiele dafür sind ein Kündigungsschutz aufgrund eines geltenden Tarifvertrags oder eine andere, gleichwertige Beschäftigungsmöglichkeit im Unternehmen. Andererseits muss auch eine gewisse, an konkreten Umständen festzumachende Gefahr des Arbeitsplatzverlusts gegeben sein. Beispiele dafür sind etwa häufige Fehlzeiten oder eine im Vergleich zu nichtbehinderten Mitarbeitern geringere Leistungsfähigkeit. Die abstrakte Gefahr, den Arbeitsplatz irgendwann zu verlieren, allein reicht jedoch nicht für eine Gleichstellung.

Der bessere Schutz vor einem Arbeitsplatzverlust ist jedoch nur eine Seite. Denn umgekehrt kann die Gleichstellung auch begehren, wer seine Chancen auf einen konkreten Arbeitsplatz verbessern will. So entschied aktuell das Bundessozialgericht. Die Klägerin, eine unter Colitis ulcerosa leidende Justizfachangestellte mit einem dadurch anerkannten GdB von 30, hatte sich auf eine Ausbildungsstelle zur Diplom-Finanzwirtin für den gehobenen Dienst beworben. Ihre Einstellung erfolgte dabei unter dem Vorbehalt, dass die Frau den für das daraus folgende Beamtenverhältnis erforderlichen Gesundheitstest besteht. Solche Tests sollen das Risiko senken, dass Beamte vor Erreichen der Altersgrenze dienstunfähig werden.

Gleichstellung auch für bessere Aufstiegschancen

Infolge ihrer Behinderung scheiterte sie an der Gesundheitsprüfung. Sie beantragte daraufhin bei der zuständigen Bundesagentur für Arbeit (BA) eine Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen, um so die Stelle als schwerbehindert einzustufende Bewerberin ohne die Prüfung zu erlangen. In diesem Fall genügt für die Übernahme in das Beamtenverhältnis, wenn für einen Zeitraum von zehn Jahren eine über 50-prozentige Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass ein Bewerber dienstfähig bleiben wird und er voraussichtlich keine krankheitsbedingten Fehlzeiten von mehr als zwei Monaten pro Jahr haben wird.

Nach Ablehnung des Gleichstellungsantrags durch die BA, da die Gleichstellung nicht zum Zweck der beruflichen Veränderung erfolgen könne, erhob die Frau Klage zum Sozialgericht. In der Revision vor dem Bundessozialgericht hatte sie nun Erfolg. Die obersten Sozialrichter in Kassel stellten klar, dass eine Gleichstellung sehr wohl auch Zwecke des beruflichen Aufstiegs rechtfertigen kann. Der dafür notwendige Zusammenhang zum Erlangen der konkreten Stelle sei gegeben. Denn nur mit der Gleichstellung habe die Frau aufgrund ihrer Behinderung überhaupt eine Chance auf eine Einstellung, da sie nur so den Nachteil ihrer Behinderung bei der vorgeschriebenen Gesundheitsprüfung wettmachen könne. Dabei ist die zuständige Behörde verpflichtet, einen Antrag zu genehmigen, sofern keine außergewöhnlichen Umstände dagegen sprechen. Grundlage der Entscheidung waren dabei auch völker- und europarechtliche Bestimmungen wie der UN-Behindertenrechtskonvention oder der Europäischen Sozialcharta zur Förderung der Teilhabe sowie der Beseitigung von Diskriminierung behinderter Menschen, denen sich die Bundesrepublik Deutschland unterworfen hat.

(BSG, Urteil v. 06.08.14, Az.: B 11 AL 5/14 R)

(GUE)

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