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Unpünktliche Lohnzahlung: Muss der Chef Schadenersatz leisten?

  • 5 Minuten Lesezeit
Sandra Voigt anwalt.de-Redaktion

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Welcher Beschäftigte freut sich am Ende jedes Monats nicht, wenn das erarbeitete Gehalt endlich auf dem eigenen Konto landet? Schließlich geht ein guter Teil des Geldes für den Lebensunterhalt „drauf“. Oftmals müssen davon auch Schulden zurückbezahlt werden, die man z. B. für den Kauf eines Fahrzeugs oder einer Immobilie aufgenommen hat. Bleiben die Lohnzahlungen daher aus, ist Ärger vorprogrammiert. Im schlimmsten Fall können die Tilgungsraten nicht mehr bezahlt werden – es kommt zur Zwangsvollstreckung. Doch kann man dann wenigstens von seinem Chef Schadenersatz verlangen?

Ehepaar verliert Eigenheim

Ein Hilfsarbeiter hatte zusammen mit seiner Frau zur Finanzierung von Immobilien Darlehen aufgenommen und diese jahrelang regelmäßig getilgt. Erst im Jahr 2012 kam er mit der Rückzahlung nicht mehr nach – die Bank kündigte daher die Darlehensverträge. In der Folgezeit bemühte sich der Angestellte zwar bei anderen Kreditinstituten um eine Finanzierung, allerdings erfolglos. Aus diesem Grund kam es erneut zu Verhandlungen zwischen ihm und der betreffenden Bank. Hierbei einigte man sich, nicht in das Vermögen des Hilfsarbeiters zu vollstrecken, solange er monatlich 1000 Euro an die Bank zahlt.

Auch diesen Betrag konnte der Hilfsarbeiter nicht aufbringen. Die Bank zwangsversteigerte daher die Immobilien des Mannes. Obwohl ein Hausgrundstück objektiv 140.000 Euro wert war, kam es für nur 70.000 Euro unter den Hammer – weil es angeblich in einem schlechten Zustand war. Die Differenz, also ebenfalls 70.000 Euro, die von ihm zu zahlenden Kosten für die Zwangsversteigerung sowie weitere Kosten aus der Versteigerung einer anderen Immobilie verlangte der Hilfsarbeiter von seinem Arbeitgeber ersetzt. Der habe nämlich ständig den Lohn unregelmäßig gezahlt. Der Hilfsarbeiter habe daher die Tilgungsraten nicht pünktlich zahlen können, was letztendlich die Bank zur Zwangsversteigerung veranlasst hat.

Unpünktliche Lohnzahlung des Chefs

Der Arbeitgeber verweigerte jegliche Zahlung. Schließlich habe er seinem Angestellten erläutert, dass er das Gehalt nicht pünktlich überweisen könne, weil es seinem Unternehmen derzeit schlecht gehe. Da es somit schon häufiger zu unpünktlichen Zahlungen gekommen sei, hätte sich der Hilfsarbeiter besser darauf vorbereiten müssen, indem er z. B. Geld anspart. Im Übrigen sei die monatlich zu zahlende Tilgungsrate viel zu hoch gewesen. Er hätte eine Rate mit der Bank vereinbaren müssen, die sowohl er als auch seine Frau bei Ausfall eines Einkommens alleine bedienen hätte können. Er als Arbeitgeber könne jedoch auf keinen Fall für die privaten Probleme seines Beschäftigten haften.

Zwangsversteigerung aufgrund Zahlungsverzugs?

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Mainz gab dem Hilfsarbeiter recht und verpflichtete dessen Arbeitgeber zur Zahlung von Schadenersatz nach den §§ 280 I, II, 286 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).

So ist die ausgebliebene Lohnzahlung ursächlich dafür gewesen, dass die Bank die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Hilfsarbeiters betreiben durfte. Denn obwohl der Darlehensvertrag gekündigt worden war, hatten das Kreditinstitut und sein Kunde vereinbart, dass eine Zwangsvollstreckung unterbleibt, sofern monatlich eine Darlehensrate von 1000 Euro bezahlt wird. Dies wäre dem Arbeitnehmer auch problemlos möglich gewesen, wenn er pünktlich seinen verdienten Lohn erhalten hätte. Damit hat allein der Zahlungsverzug des Chefs zur Zwangsversteigerung der Immobilien geführt.

Pünktliche Lohnzahlung ist Pflicht

Das Risiko, dass der Chef den Lohn nicht zahlen kann, ist im Übrigen allein von ihm und nicht von den Angestellten zu tragen. Er ist schließlich verpflichtet, das Gehalt an seine Beschäftigten pünktlich auszuzahlen, weil die es zum Bestreiten ihres Lebensunterhalts grundsätzlich zwingend benötigen. Ferner muss die Finanzierung einer Immobilie nicht so gestaltet werden, dass man die Raten auch bei Ausbleiben des Lohns zahlen kann, z. B. weil dann notfalls der andere, ebenfalls berufstätige Ehegatte in der Lage wäre, die Raten zu zahlen. Des Weiteren müssen Beschäftigte für den Fall, dass der Chef den Lohn nicht bzw. verspätet zahlt, auch keine Rücklagen bilden.

Vorliegend war der Arbeitgeber seiner Zahlungspflicht nicht nachgekommen, was wiederum zur Leistungsunfähigkeit des Hilfsarbeiters geführt hat. Die hätte der Arbeitnehmer zwar verhindern können, wenn er Geld angespart oder eine geringere Rate mit der Bank vereinbart hätte – hierzu war er nach Ansicht des Gerichts aber nicht verpflichtet. Er hatte vielmehr eine pünktliche Lohnzahlung bei der Finanzierung einplanen dürfen.

Hohe Darlehensrate trotz Überschuldung?

Auch war für das Gericht nicht ersichtlich, dass die Eheleute die vereinbarte Rate in Höhe von 1000 Euro auch ohne die Pflichtverletzung des Chefs nicht hätten zahlen können. Zwar waren ihre wirtschaftlichen Verhältnisse nicht die besten – überschuldet waren sie allerdings auch nicht, sodass sie ihre Schulden bei der Bank mit Erhalt des Lohns durchaus hätten tilgen können. Der Arbeitgeber darf nicht von einer Zahlungspflicht entlastet werden, nur weil ein Angestellter in schlechten finanziellen Verhältnissen lebt und deswegen der Eintritt eines Schadens, etwa mangels Bildung von Rücklagen, möglich ist. Der Chef hat schließlich die Pflichtverletzung begangen, als er den Lohn unpünktlich zahlte – ob sein Mitarbeiter finanzkräftig war oder nicht, spielte daher keine Rolle.

Im Übrigen müssen Beschäftigte nicht ihren notwendigen Lebensunterhalt gefährden – sich also Rücklagen wortwörtlich vom „Mund absparen“ –, um Schulden tilgen zu können, was bei pünktlicher Gehaltszahlung eigentlich problemlos möglich gewesen wäre.

Kein Mitverschulden des Hilfsarbeiters

Der Beschäftigte hatte den entstandenen Schaden nicht mitverursacht. Vielmehr hatte er sich sogar um eine anderweitige Finanzierung bemüht und es geschafft, mit der bisherigen Bank eine Ratenzahlungsvereinbarung zu treffen. Wäre der Lohn regelmäßig gezahlt worden, hätte die Bank somit nicht die Zwangsversteigerung betrieben. Auch musste er seinen Chef nicht auf die drohende Zwangsvollstreckung hinweisen – dieser hätte nämlich in keinem Fall pünktlich gezahlt. Schließlich hatte er seine Mitarbeiter darauf hingewiesen, dass er aufgrund der schlechten Auftragslage den Lohn nicht rechtzeitig überweisen könne.

Zu der Zwangsversteigerung war es also nur gekommen, weil der Arbeitgeber des Schuldners den vereinbarten Lohn nicht bezahlt hat. Deshalb musste er auch den dabei entstandenen Schaden seines Angestellten ersetzen.

Fazit: Beschäftigte dürfen erwarten, dass ihnen der verdiente Lohn pünktlich überwiesen wird. Schließlich dient der Lohn nicht nur als Lebensgrundlage, sondern oft auch zur Finanzierung, z. B. von einem Auto oder einer Immobilie. Aus diesem Grund muss ein Arbeitgeber haften, wenn er den Lohn nicht pünktlich zahlt und dies beim Angestellten zu einem Schaden führt, etwa weil das finanzierte Grundstück unter Wert zwangsversteigert wurde.

(LAG Mainz, Urteil v. 24.09.2015, Az.: 2 Sa 555/14)

(VOI)

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