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Die Behindertenwerkstatt als Chance für schwerbehinderte Menschen

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Die Behindertenwerkstatt als Chance für schwerbehinderte Menschen

Experten-Autor dieses Themas

Menschen, bei denen mindestens ein Grad 50 einer körperlichen, geistigen und/oder seelischen Behinderung festgestellt wurde (§ 2 Abs. 2 SGB IX, Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch), gelten als schwerbehindert. Sie haben es deutlich schwerer als andere Menschen, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Deshalb stehen sie rechtlich unter einem besonderen Schutz.  

Eine Ausbildungsstelle oder eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu finden, ist für behinderte Menschen besonders schwer. Zwar besteht gemäß § 71 SGB IX für Arbeitgeber die Pflicht, ab mindestens zwanzig Arbeitsplätzen für wenigstens fünf Prozent der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen – hier wäre das bei zwanzig Arbeitsplätzen also ein Arbeitsplatz für einen schwerbehinderten Menschen –, doch das deckt nur einen geringen Teil ab. 

Als Mitglied der UN-Behindertenrechtskonvention (völkerrechtliches Übereinkommen / Vertrag über die Rechte von Menschen mit Behinderungen) integriert Deutschland Menschen mit Behinderungen in die Gemeinschaft. Zur sozialen Integration zählt unter anderem auch das Recht auf Bildung, Arbeit und Beschäftigung. Dabei spielt die Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) eine wichtige Rolle. Umgangssprachlich wird sie meist als Behindertenwerkstatt, Förderwerkstatt oder Werkstatt für angepasste Arbeit bezeichnet. Im Jahr 2022 arbeiteten an über 3000 Standorten über 310.000 Werkstattbeschäftigte und ca. 70.000 Fachkräfte.* 

*Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e. V. (BAG WfbM): Jahresbericht der BAG WfbM 2022. 

Welche Aufgaben hat die Werkstatt für behinderte Menschen?

Die Hauptaufgabe einer Behindertenwerkstatt mit ihren verschiedenen Werkstattbereichen besteht darin, behinderten Menschen die Teilhabe und Integration ins Arbeitsleben zu ermöglichen. In § 219 SGB IX heißt es dazu unter anderem: 

„Sie hat denjenigen behinderten Menschen […] 

1. eine angemessene berufliche Bildung und eine Beschäftigung zu einem ihrer Leistung angemessenen Arbeitsentgelt aus dem Arbeitsergebnis anzubieten und 

2. zu ermöglichen, ihre Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu entwickeln, zu erhöhen oder wiederzugewinnen und dabei ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln.“ 

Voraussetzungen für die Aufnahme in eine Behindertenwerkstatt

Um in einer Behindertenwerkstatt aufgenommen zu werden, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Dazu gehören vor allem folgende Bedingungen: 

  • Es muss mindestens der Grad 50 der Behinderung und eine volle Erwerbsminderung – Arbeit kann nicht mehr als drei Stunden pro Tag ausgeführt werden – beim behinderten Menschen vorliegen. 

  • Die behinderten Beschäftigten müssen eine minimale wirtschaftlich verwertbare Arbeitsleistung erbringen können. Das heißt, dass davon ausgegangen werden soll, dass die behinderten Menschen nach der Durchführung der Fördermaßnahmen der Behindertenwerkstatt voraussichtlich in der Lage sein werden, eine gewisse eigene Arbeitsleistung erbringen zu können. 

  • Trotz der Schwerbehinderung darf aber kein außerordentlicher Pflegebedarf vorhanden sein, wie beispielsweise durch eine Schwerstbehinderung oder durch eine Mehrfachbehinderung. 

  • Vom behinderten Beschäftigten dürfen weder Fremd- noch Eigengefährdung ausgehen – beispielsweise durch Psychosen, schizophrene Störungen oder andere Persönlichkeitsstörungen. 

  • Die Kostenübernahme durch den zuständigen Rehabilitationsträger muss bewilligt werden. 

Ablauf bis zur Arbeit in der Werkstatt für Menschen mit Behinderung

Eingangsverfahren 

Wenn die Voraussetzungen für die Aufnahme in die Behindertenwerkstatt erfüllt sind, kommt es zuerst zu einem Eingangsverfahren. Dieses dauert bis zu drei Monate und ist ein Teilbereich in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Dabei wird überprüft und festgestellt, ob der jeweilige behinderte Mensch durch die Leistungen der Behindertenwerkstatt gefördert und für ihn ein Eingliederungsplan erstellt werden kann und ob und wo der Mensch mit Behinderung in der Behindertenwerkstatt perspektivisch eingesetzt werden kann.  

Für die Aufnahme in den Werkstätten spielt es keine Rolle, welche Art Behinderung vorliegt oder welche Ursache sie hat. Vielmehr sollen auch diejenigen behinderten Menschen, die die Aufnahmekriterien für die Förderung durch die Behindertenwerkstatt nicht erfüllen, in den der Werkstatt angegliederten Einrichtungen oder Gruppen betreut und gefördert werden. Dies kann auch zusammen mit den Beschäftigten der Werkstatt erfolgen. 

Berufsbildungsbereich 

Um eine Qualifizierung des behinderten Menschen zu ermöglichen, folgt nach dem Eingangsverfahren ein zweijähriger Berufsbildungsbereich (BBB) der Behindertenwerkstatt. Dieser gliedert sich in Grundkurs (zwölf Monate) und Aufbaukurs (zwölf Monate). In dieser Zeit werden die individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten des behinderten Menschen betrachtet und gefördert.  

Darauf aufbauend werden weitere Fähigkeiten vermittelt und erworben. Damit geht bei den behinderten Werkstattbeschäftigten oft gleichzeitig auch ein gesteigertes Selbstwertgefühl einher, was sich positiv auf das gesamte Arbeits- und Sozialverhalten – wie zum Beispiel das Respektieren sozialer Normen – auswirkt. 

Arbeitsbereich 

Nach diesen zwei Jahren kann es in den Bereich Arbeit gehen. Es gibt hier für die behinderten Menschen die Möglichkeit, anhand der individuellen Fähigkeiten und Interessen in einen der Werkstattbereiche – wie beispielsweise Küche, Wäscherei oder Holzbearbeitung – zu wechseln. Diese Arbeitsbereiche sollen unter Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse der behinderten Menschen den Arbeitsplätzen auf dem freien Arbeitsmarkt möglichst ähnlich sein, um eine mögliche spätere Integration der behinderten Menschen leichter zu gestalten. 

Welche Rechtsstellung und welche Rechtsgrundlagen gelten für die Arbeit der WfbM?

Für die Beschäftigung von behinderten Menschen in Werkstätten gibt es drei wichtige rechtliche Grundlagen. Das sind: 

Dabei besteht gemäß § 221 SGB IX für die Arbeit der behinderten Menschen in den Arbeitsbereichen von anerkannten Behindertenwerkstätten ein ähnliches Rechtsverhältnis wie das eines Arbeitnehmers. Berücksichtigt werden muss dabei allerdings das zugrunde liegende Sozialleistungsverhältnis mit dem Rehabilitationsträger. 

Wie hoch ist das Gehalt für die Beschäftigten einer Behindertenwerkstatt?

Beschäftigte einer Behindertenwerkstatt erhalten auf den ersten – und auch zweiten – Blick erschreckend wenig Lohn. Der durchschnittliche Stundenlohn – abhängig von Grund- und Steigerungsbetrag – für die Arbeit in einer Behindertenwerkstatt beträgt ca. € 1,30 bis € 2. Das sogenannte Werkstatt-Entgelt beträgt ca. € 200 bis € 350 monatlich und setzt sich aus folgenden Bestandteilen zusammen: 

  • Grundbetrag: in einheitlicher Höhe für alle Beschäftigten in einer Werkstatt, derzeit mindestens € 126 monatlich (kann je nach Leistung und Wirtschaftlichkeit der Werkstatt auch höher sein) 

  • Steigerungsbetrag: unterschiedlich hoch, (kommt auf die geleistete Arbeit an) 

Zusätzlich erhalten die meisten Beschäftigten der Behindertenwerkstatt ein Arbeitsförderungsgeld (AFöG) von derzeit 52 Euro monatlich. § 59 SGB IX schreibt unter anderem dazu vor: 

„(1) […] monatlich 52 Euro für jeden im Arbeitsbereich beschäftigten Menschen mit Behinderungen, dessen Arbeitsentgelt zusammen mit dem Arbeitsförderungsgeld den Betrag von 351 Euro nicht übersteigt. Ist das Arbeitsentgelt höher als 299 Euro, beträgt das Arbeitsförderungsgeld monatlich den Differenzbetrag zwischen dem Arbeitsentgelt und 351 Euro. 

(2) Das Arbeitsförderungsgeld bleibt bei Sozialleistungen, deren Zahlung von anderen Einkommen abhängig ist, als Einkommen unberücksichtigt.“ 

Sozial unterstützt werden behinderte Menschen zusätzlich durch Leistungen wie: 

  • Rente wegen voller Erwerbsminderung – grundsätzlich nach 20 Jahren Arbeit in der Behindertenwerkstatt – oder Grundsicherung vom Sozialamt 

  • Kosten der Unterkunft inklusive Kosten für Heizung und Warmwasser 

  • Mehrbedarf 

  • Fahrtkosten zur Werkstatt 

  • Übernahme der Rentenbeiträge 

  • Übernahme der Beiträge zur Krankenversicherung 

Die Behindertenwerkstatt in der Kritik

Kritiker bemängeln das Konzept, die Praxis und die Ziele der Arbeit der Werkstätten (WfbM). Auch kritisch betrachtet wird der Rehabilitationsansatz bei der Beschäftigung der behinderten Menschen, weil eine Behinderung weder eine Unfallfolge noch eine Krankheit sei, die Beschäftigten dadurch jedoch keine Arbeitnehmer, sondern lediglich arbeitnehmerähnliche Beschäftigte seien. Mit der Folge, dass sie ein unterdurchschnittliches Entgelt erhielten. 

Die Beauftragten des Bundes und der Länder für die Belange von Menschen mit Behinderungen gaben eine Erklärung ab.* Sie erklärten, dass „der Auftrag der Werkstätten aus § 219 SGB IX, den Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu fördern, bei einer Übertrittsquote von unter einem Prozent seit Jahrzehnten zu selten gelingt und deshalb als weitestgehend gescheitert angesehen wird.“ 

* „Erfurter Erklärung für einen inklusiven Arbeitsmarkt 2030“, 64. Treffen vom 3. und 4. November 2022 in Erfurt. 

Der Deutsche Caritasverband sieht sogar die Gefahr des Verdachts eines unlauteren Wettbewerbs – in Form von Preis- und Lohndumping – der Werkstätten bei einer rechtlichen Prüfung nach den Regeln des europäischen Wettbewerbsrechts: „Es ist im klugen Interesse der Werkstätten, keine Preispolitik zu betreiben, die das im Markt übliche Preisniveau deutlich unterbietet. Wenn es einer Werkstatt gelingt, ihre privat-gewerblichen Konkurrenten vom Markt zu verdrängen, dann liegt folgende Vermutung sehr nahe: Der Erfolg ist nicht (allein) den unternehmerischen Fähigkeiten des Werkstattleiters geschuldet, sondern beruht auf einer unlauter niedrigen Vergütung der dort beschäftigten Menschen mit Behinderung.“* 

* Franz Fink und Georg Cremer, Caritas: „Zwischen ungleichen Partnern muss Wettbewerb fair bleiben“, 2014. 

Ein sehr brisantes Thema, das bewegt. Doch bei aller Kritik darf auch nicht vergessen werden, dass durch die freiwillige Teilhabe zur Arbeit in den Werkstätten viele soziale Kontakte der Menschen untereinander entstehen. Ohne die Werkstätten würden über 310.000 behinderte Menschen in Deutschland allein zu Hause sitzen.

Foto(s): ©Adobe Stock/pressmaster

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