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Zu schnell mit dem Motorrad: Wohnungsdurchsuchung zulässig?

  • 3 Minuten Lesezeit
anwalt.de-Redaktion

Nach einem Geschwindigkeitsverstoß weiß die Polizei nicht immer sofort, wer eigentlich gefahren ist. Das gilt besonders für Motorradfahrer, die unter ihrem Helm oft nur schwer zu erkennen sind. Unter welchen Umständen zur Ermittlung von Verkehrssündern eine Wohnungsdurchsuchung erfolgen darf, erklärte nun das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhand eines konkreten Falls.

Außerorts 30 Stundenkilometer zu schnell unterwegs

Ein Biker war in einer Tempo-70-Zone außerhalb geschlossener Ortschaften unterwegs – also 30 km/h zu schnell. Der Fahrer konnte zunächst jedoch nicht eindeutig identifiziert werden, obwohl auf dem Blitzerfoto offenbar ein Teil seines Gesichts und auch eine Armbanduhr zu erkennen waren.

Die Behörden gingen davon aus, dass der Halter des Motorrads gefahren war und erließen einen entsprechenden Bußgeldbescheid. Dagegen legte der Mann Einspruch ein, sodass über die Sache vor dem Amtsgericht (AG) Reutlingen verhandelt werden musste. Dort berief sich der Mann auf sein Schweigerecht – er machte keine Angaben dazu, wer zur fraglichen Zeit mit seinem Zweirad unterwegs gewesen war und den Geschwindigkeitsverstoß begangen hatte.

Durchsuchung der Wohnung nach Kleidung und Uhr

Daraufhin ordnete das Gericht die Durchsuchung der Wohnung des Fahrzeughalters an. Beamte sollten dort die auffällige Motorradkleidung, die der Fahrer beim Verkehrsverstoß getragen hatte, sowie die auf dem Foto erkennbare Armbanduhr aufspüren. Beides sollte als Beweis herhalten, dass der Betroffene tatsächlich selbst gefahren und geblitzt worden war.

Sonderlich erfolgreich waren die Beamten bei ihrer Suche aber offenbar nicht. Trotzdem erfolgte die inzwischen rechtskräftig gewordene Verurteilung zu einer Geldbuße von 80 Euro unabhängig von der Durchsuchung. Das Gericht hatte nämlich auch ein anthropologisches Gutachten zur Bildanalyse in Auftrag gegeben, mit dem das Blitzerfoto genauer analysiert wurde. Danach handelte es sich bei der abgebildeten Person aufgrund der Statur, dem erkennbaren Gesichtsteil etc. mit 95- bis 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit um den Fahrzeughalter.

Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung

Erledigt war die ganze Angelegenheit damit aber noch längst nicht. Wegen der beiden Wohnungsdurchsuchungen legte der Mann Verfassungsbeschwerde ein. Er sah sich nämlich durch die entsprechenden Durchsuchungsbeschlüsse in seinem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verletzt.

Abs. 2 regelt allerdings, in welchen Fällen dennoch Durchsuchungsmaßnahmen auch in Privatwohnungen möglich sind. Dafür muss kein vermeintliches Schwerverbrechern vorliegen, sondern auch die Aufklärung einer Ordnungswidrigkeit kann unter bestimmten Umständen eine rechtmäßige Wohnungsdurchsuchung begründen.

Verhältnismäßigkeit muss im Einzelfall geprüft werden

Allerdings muss wie bei jedem Grundrechtseingriff die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben und jeder Einzelfall abgewogen werden: Auf der einen Seite steht das Aufklärungsinteresse der Behörden und die Sicherheit des Straßenverkehrs, auf der anderen Seite das Grundrecht des Betroffenen am Schutz seiner privaten Räumlichkeiten.

Ob eine Durchsuchung zulässig ist, hängt damit unter anderem von der Stärke des Tatverdachts und der Schwere der Tat ab. Auch der Umfang der Durchsuchungsanordnung, die Wahrscheinlichkeit, die gesuchten Gegenstände tatsächlich aufzufinden, und andere zur Verfügung stehenden Beweismittel spielen eine Rolle.

Gericht hätte anthropologisches Gutachten abwarten müssen

Der hier vorliegende Geschwindigkeitsverstoß war zwar keine Bagatelle, aber auch keine besonders schwere Verfehlung. Es drohten zwar ein Bußgeld von 80 Euro und drei Punkte in Flensburg (nach der Neureglung 2014 ein Punkt), allerdings hatte der betroffene Motorradhalter keine Voreintragungen im Verkehrszentralregister, sodass nicht mit einem Fahrverbot zu rechnen war.

Zudem gab es in diesem Fall andere Möglichkeiten, die Fahrereigenschaft des Halters nachzuweisen, nämlich das anthropologische Gutachten. Das beeinträchtigt den Betroffenen erheblich weniger und hätte daher vor Anordnung der Wohnungsdurchsuchung zunächst vom Gericht abgewartet werden müssen. Aus diesem Grund war die Durchsuchungsanordnung hier rechtswidrig.

Fazit: Auch die Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit, wie einem Geschwindigkeitsverstoß, kann eine Hausdurchsuchung rechtfertigen. Die Maßnahme muss aber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls verhältnismäßig sein.

(BVerfG, Beschluss v. 14.07.2016, Az.: 2 BvR 2748/14)

(ADS)

Foto(s): Fotolia.com

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