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Religionsfreiheit vs. unternehmerische Freiheit – wie weit darf der Arbeitgeber gehen?

  • 4 Minuten Lesezeit
anwalt.de-Redaktion

Wie weit reicht das Weisungsrecht des Arbeitgebers? EuGH und BVerfG müssen bzw. mussten sich mit diesem Thema befassen.

  • Wie mit der Frage der Religionsfreiheit umzugehen ist, ist bisher ein ungeklärtes Feld.
  • Auslöser der neuen Debatte: eine Muslima, die nach der Elternzeit wieder bei ihrem Arbeitgeber arbeiten wollte.
  • Der Arbeitgeber sah jedoch ein Problem bei ihr: Sie trägt nun ein Kopftuch.
  • In einem anderen Fall entschied das BVerfG nunmehr, dass es Referendarinnen per Gesetz untersagt werden kann, während der Arbeit bzw. dem Sitzungsdienst ein Kopftuch zu tragen.

Nachdem eine Kassiererin eines Drogeriemarktes nicht mit Kopftuch arbeiten durfte und sie gegen ihren Arbeitgeber, die Drogeriekette „Müller“, arbeitsgerichtlich vorging, soll nun der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg mit der Frage betraut werden, wie weit ein Arbeitgeber in die Religionsfreiheit am Arbeitsplatz eingreifen darf. 

In einem Fall mit derselben Thematik vor dem BVerfG ging es um eine Referendarin, die bestimmte Teile ihres juristisches Vorbereitungsdienstes trotz Tragen eines Kopftuches absolvieren wollte.

Fall der Referendarin

Ende Februar 2020 entschied das BVerfG, dass es Referendarinnen per Gesetz untersagt werden kann, während der Arbeitszeit oder dem Sitzungsdienst ein Kopftuch zu tragen.

Zuvor klagte die Referendarin aus Hessen gegen die Umsetzung eines Gesetzes, dass Hessen erlaubt, Referendarinnen das Tragen des Kopftuchs während bestimmter Aufgaben innerhalb der Referendariatszeit zu untersagen. Bei diesen Angelegenheiten handelt es sich in der Regel um solche, bei denen sie als Repräsentantinnen des Staates auftreten bzw. als solche wahrgenommen werden können. Begründet wird dies damit, dass Staatsdiener sich Bürgern gegenüber neutral verhalten müssen.

Fall der Kassiererin 

Eine Kassiererin aus Ansbach wollte nach drei Jahren Elternzeit wieder bei ihrem alten Arbeitgeber anfangen zu arbeiten. Der entscheidende Unterschied zu vorher: Sie trägt mittlerweile ein Kopftuch.

Die Filialleiterin bestand jedoch darauf, dass die Mitarbeiterin das Kopftuch ablegen müsse. Das Unternehmen habe eine feste Kleiderordnung, die das Tragen sämtlicher Kopfbedeckungen verbiete. Außerdem habe man die Befürchtung, dass es Kunden vergraule. 

Zudem wolle man Konfliktpotenzial vermeiden, da die Drogeriekette mehr als 14.000 Angestellte aus aller Welt beschäftigt. Das Verbot des Tragens religiöser Zeichen trage zum positiven Arbeitsklima bei.

In der Entscheidung des BVerfG ging es darum, dass eine Frankfurter Referendarin auch während der Arbeit innerhalb des juristischen Vorbereitungsdiensts (Referendariat) ihr Kopftuch tragen und dabei auch Sitzungsdienst übernehmen wollte. Dies wurde ihr zuvor durch ein hessisches Gesetz untersagt, woraufhin sie

Wie ist die Rechtslage?

Art. 4 des Grundgesetzes gewährleistet die ungestörte Religionsausübung. Hierunter fällt nicht nur der Schutz des Glaubens – oder Nichtglaubens –, sondern auch das Nachaußentragen. Sprich: Das Tragen religiöser Symbole und Kopfbedeckungen darf nicht einfach so eingeschränkt werden.

Im Wirtschaftsleben wird eine Einschränkung dann toleriert, wenn es sachliche Gründe gibt. Dazu zählen vor allem Sicherheitsvorschriften oder die Gefährdung des Betriebs. Kommt es zu einem Streit darüber, müssen die Gerichte unter der Abwägung aller Interessen der beteiligten Parteien entscheiden, wie mit der jeweiligen Situation zu verfahren ist. So auch im aktuellen Fall. 

Was sagen die Arbeitsgerichte?

Eine einheitliche gesetzliche Regelung gibt es bisher nicht. Sowohl das Arbeitsgericht Nürnberg als auch das Landesarbeitsgericht Nürnberg gab der Frau recht. Sie begründeten die Entscheidung damit, dass Frauen mit Kopftuch mittlerweile zum Straßenbild gehörten und Kunden auch damit rechnen müssten, von Frauen mit Kopftuch bedient zu werden. Die Weisung, das Kopftuch abzulegen, sei als mittelbare Diskriminierung zu betrachten und wirtschaftliche Einbußen seien nicht zu befürchten.

Das Weisungsrecht decke solch eine einschränkende Maßnahme zulasten der Angestellten nicht ab. Das Ablegen des Kopftuchs sei für die Betroffene außerdem möglicherweise mit enormen Gewissenskonflikten verbunden, da es nicht einfach nur ein Kleidungsstück sei. 

Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt legte den Fall zur abschließenden Entscheidung den Richtern am Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor und schafft damit nun einen Präzedenzfall. 

Wie könnte der EuGH entscheiden?

Nun soll der EuGH entscheiden, was schwerer wiegt: die unternehmerische Freiheit und das Direktions- und Weisungsrecht des Unternehmens oder die vom Grundgesetz geschützte Religionsfreiheit der Arbeitnehmerin. Ihm wird auch die Frage gestellt, ob Unternehmen in die Grundrechte von Arbeitnehmern eingreifen dürfen, um ihren Kunden gegenüber neutral zu wirken. 

Es stellt sich auch erneut die Frage, wie das Europarecht im Verhältnis zum deutschen Verfassungsrecht auszulegen ist.

Der EuGH, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) weisen bisher keine klare Linie auf, wie es sich in solchen und ähnlichen Fällen verhält. Das Verlangen nach einer klaren Regelung ist also groß. Zwar haben sich beide Gerichte mit der Thematik bereits mehrfach beschäftigt, doch einen Konsens gibt es immer noch nicht.

Während das BVerfG ein pauschales Verbot ablehnt, hat der EuGH in einer Entscheidung aus dem Jahr 2017 bekundet, dass bei der Gleichbehandlung aller Mitarbeiter ein Verbot der Religionsfreiheit durchaus berechtigt sein kann.

Kritiker könnten möglicherweise argumentieren, dass ein Kopftuchverbot im Wirtschaftsleben falsche Signale setzt und dass die Diskriminierung von Frauen mit Kopftuch einen Schritt weg von deren Integration als Teil der Gesellschaft bedeuten kann.

Wie entschied das BVerfG?

Das BVerfG war der Ansicht, dass das Verbot zwar die Religionsfreiheit und das Persönlichkeitsrecht der Klägerin einschränke. Es begründete seine Entscheidung entgegen des Willens der Klägerin jedoch damit, dass die weltanschaulich-religiösen Neutralitätspflicht des Staates und der Funktionsfähigkeit der Justiz jedoch höherwiege und das Gesetz und die daraus resultierende  Beeinträchtigung der Klägerin und weitere kopftuchtragende gerechtfertigt sei. 

Die Richter entschieden, dass das Verbot nicht immer zwingend gelten  muss. Im Einzelfall kann entschieden werden, dass eine Referendarin vor dem jeweiligen Gericht ein Kopftuch tragen kann.  

Die Entscheidung des EuGH bliebt abzuwarten.

 (MAM)

Foto(s): ©Shutterstock.com

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