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Bagatellkündigung: Fragen kostet nichts. Nichtfragen kann den Job kosten!

  • 8 Minuten Lesezeit
Esther Wellhöfer anwalt.de-Redaktion

Dieses Motto sollten Arbeitnehmer berücksichtigen und lieber zuerst ihren Arbeitgeber fragen, bevor sie eigenmächtig zu Sachen der Firma greifen. Denn eine Frikadelle ist keine Bagatelle, spätestens wenn man die Kündigung erhält. Das gilt auch noch nach dem viel beachteten Emmely-Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG). Der Fall der Supermarktkassiererin, die nach 30 Jahren Betriebszugehörigkeit fristlos entlassen worden war, weil sie zwei Pfandbons im Wert von insgesamt 1,30 Euro eingelöst hatte, sorgte bundesweit für Schlagzeilen und rückte sog. Bagatellkündigungen ins Interesse der Öffentlichkeit. Nun ist das auch von Juristen gespannt erwartete Urteil vollständig veröffentlicht worden, das die Kündigung der Arbeitnehmerin für unzulässig bewertete. Die Redaktion von anwalt.de hat den Text der Erfurter Richter genauer unter die Lupe genommen und einige interessante Punkte entdeckt, die sich auf die bisherige Rechtsprechung zu Bagatellkündigungen auswirken können.

[image]Öffentliche Wahrnehmung

Bei Bagatellkündigungen sind die Kündigungsgründe in einigen Fällen nur vorgeschoben: Mancher Arbeitgeber nutzt eine kleine Unkorrektheit, um unliebsame Mitarbeiter loszuwerden. Jedenfalls können die Fälle, die in den letzten Monaten durch die Medien bekannt wurden, diesen Eindruck erwecken. Darüber hinaus werden Bagatellkündigungen als ungerecht und hart empfunden, weil wegen einer Bagatelle der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz und seine Existenzgrundlage verliert. Hinzu kommt, dass in anderen Rechtsgebieten durchaus Gnade vor Recht gesetzlich verankert ist, im Arbeitsrecht aber bei den Bagatellkündigungen nicht. Diese Diskrepanz kann Unverständnis darüber auslösen, warum im Arbeitsrecht eine Bagatelle so harte Folgen für den Betroffenen haben kann. Doch das hängt mit der speziellen Konstellation des Verhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammen. Hierzu einige Beispiele zur Erläuterung.

Rechtliche Bagatellgrenzen

Im Strafrecht versteht man unter sog. Bagatelldelikten Eigentums- und Vermögensstraftaten, die nur einen geringen Wert zum Gegenstand haben. Solche Bagatellstraftaten werden gemäß § 248a Strafgesetzbuch (StGB) nur auf eine Anzeige hin strafrechtlich verfolgt, es sei denn, dass ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. Zwar schreibt das Gesetz keine festen Höchstbeträge für Bagatelldelikte vor: Die Strafgerichte haben im Laufe der Zeit Werte von 20 bis 30 Euro und schließlich in neuerer Zeit bis zu 50 Euro anerkannt. Ähnliche feste Grenzen werden im Verwaltungsbereich für Beamte anerkannt. So hat sich beispielsweise das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) an § 248a StGB orientiert und die Entfernung aus dem Dienst eines Postzustellers für unwirksam beurteilt, der einen geringen Geldbetrag veruntreut hatte (BVerwG, Urteil v. 24.11.1992, Az.: 1 D 66/91).

Keine Bagatellen im Arbeitsrecht

Solche an den Wert des Deliktgegenstandes orientierte Bagatellgrenzen finden sich im Arbeitsrecht nicht. Eine Kündigung wegen eines Bagatelldelikts hat aus juristischer Sicht keinen sanktionierenden Charakter - auch wenn das von dem Gekündigten sicher anders empfunden wird. Nichtsdestotrotz wird ein Bagatelldelikt arbeitsrechtlich nach ganz anderen Kriterien bewertet als im Strafrecht. Daher sieht das Bundesarbeitsgericht auch in dem Emmely-Urteil wieder bestätigt, dass nach seiner Meinung kein Wertungswiderspruch zu § 248a StGB vorliegt. Denn bei solchen verhaltensbedingten Kündigungen gilt nicht das Sanktions-, sondern das Prognoseprinzip: Danach ist eine verhaltensbedingte Kündigung immer gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht zu erwarten ist und künftige Pflichtverstöße nur durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vermieden werden können. Ebenfalls sehen die Erfurter Richter keinen Wertungswiderspruch zum Beamtenrecht, weil dem Dienstherrn dort - im Gegensatz zum Arbeitsrecht - mehrere verschiedene Reaktionsmöglichkeiten bei Bagatelldelikten zur Verfügung stehen und ein geringfügiger Sachwert als Milderungsgrund von den Verwaltungsgerichten bei der Frage berücksichtigt wird, ob der Dienstherr nicht ein milderes Mittel hätte anwenden können, um auf das Bagatelldelikt angemessen zu reagieren, etwa durch Kürzung der Bezüge oder Zurückstufung.

Wert des Objekts hat keinen Einfluss

Die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte lässt grundsätzlich auch Eigentums- und Vermögensdelikte für eine außerordentliche Kündigung ausreichen, unabhängig davon, um welche Summe es sich handelt. Die Pflichtverletzung kann also für eine fristlose Kündigung gemäß § 626 Absatz 1 BGB genügen. Nach Ansicht der Arbeitsgerichte ist Grund für die Kündigung nicht die Pflichtverletzung selbst, sondern das hierdurch gestörte Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, d. h. der aus dem Delikt herrührende Vertrauensverlust. Seit seiner Bienenstichentscheidung hat das Bundesarbeitsgericht immer wieder bestätigt, dass grundsätzlich auch die Entwendung geringwertiger Sachen des Arbeitgebers eine fristlose Kündigung rechtfertigen kann. Ob dies tatsächlich gerechtfertigt ist, muss jedoch stets anhand des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden. (BAG, Urteil v. 17.05.1984, Az.: 2 AZR 3/83)

Prüfung der Kündigung

Die Rechtmäßigkeit einer außerordentlichen Kündigung gemäß § 626 Absatz 1 BGB wird in zwei Stufen geprüft. Zunächst muss ein wichtiger Grund vorliegen und in einem zweiten Schritt sind dann alle wichtigen Begleitumstände zu berücksichtigen. Hier kommt es entscheidend auf den Einzelfall an und die Interessen sowohl von Arbeitgeber als auch von Arbeitnehmer müssen gegeneinander abgewogen werden. Das Ergebnis dieser Abwägung muss lauten, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der regulären Kündigungsfrist unzumutbar erscheint. An zweiter Stelle wird beispielsweise der Verschuldensgrad des Arbeitnehmers, die Schadenshöhe auf Arbeitgeberseite, das Verhalten des Arbeitnehmers nach der Tat, die Aufgabenstellung des Arbeitnehmers im Betrieb und die Dauer der Betriebszugehörigkeit berücksichtigt.

Abmahnung bei Eigentumsverletzung

Eine Kündigung aus wichtigem Grund setzt im Normalfall eine Abmahnung voraus. Das gilt insbesondere bei geringfügigen Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers. Doch anders sieht es bei Eigentums- und Vermögensdelikten aus, durch die der Arbeitgeber geschädigt wird. Wer beispielsweise als Arbeitnehmer das Vermögen oder das Eigentum seines Arbeitgebers unberechtigt verletzt, der muss damit rechnen, dass es ihn seinen Arbeitsplatz kosten kann. Die Loyalität zum Arbeitgeber ist eine bedeutende Nebenpflicht des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis. Wird durch den Diebstahl, Betrug oder die Unterschlagung der Arbeitgeber geschädigt, war bislang in vielen Fällen eine Abmahnung nicht erforderlich. Denn hier wiegt die Pflichtverletzung so schwer, dass eine zukünftige Vertragstreue des Arbeitnehmers das gestörte Vertrauensverhältnis nicht wiederherstellen kann. (BAG, Urteil v. 11.12.2003, Az.: 2 AZR 36/03)

Einzelfall Emmely

Legt man dem die Emmely-Entscheidung zugrunde, ergibt sich vereinfacht dargestellt folgende Abstimmung. Erste Stufe: Bagatelldelikte können - unabhängig vom Wert des Tatgegenstandes - grundsätzlich einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung darstellen. Zweite Stufe: Hier sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und die Interessen gegeneinander abzuwägen. Im Fall Emmely hat das Bundesarbeitsgericht insbesondere die Unverhältnismäßigkeit auf die lange Betriebszugehörigkeit der Arbeitnehmerin gestützt und ist schließlich zu dem Ergebnis gekommen, dass wegen der Umstände dieses Falls eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht gerechtfertigt war. Damit steht fest: Die Erfurter Arbeitsrichter behalten also ihre Rechtsprechung zu Bagatelldelikten in Hinblick auf die 1. Stufe bei, haben in diesem individuellen Fall in der zweiten Stufe die lange Betriebsangehörigkeit und den Einzelfall aber so stark zugunsten von Emmely gewichtet, dass sie eine Kündigung als unverhältnismäßig beurteilten. Laut BAG hätte eine Abmahnung ausgereicht. Im Gegensatz zur Vorinstanz haben die Erfurter Arbeitsrichter also im Rahmen der Interessenabwägung unter Einbeziehung aller erheblichen Tatsachen die Gewichtung zugunsten der Arbeitnehmerin verlagert. Hinweis für Arbeitgeber: Bevor Sie einem Arbeitnehmer kündigen, sollten Sie anwaltlich prüfen lassen, ob nicht eine Abmahnung ausreicht. Darüber hinaus handelt es sich bei vielen Bagatellkündigungen um Verdachtskündigungen, bei denen weitere Punkte zu beachten sind.

Bisherige Rechtsprechung

Schon vor dem Emmely-Urteil haben die Arbeitsgerichte bei Bagatelldelikten für die Beurteilung, ob eine Kündigung gerechtfertigt ist, stets auch die genauen Umstände im jeweiligen Einzelfall berücksichtigt, also etwa ob der Arbeitnehmer eine besonders vertrauensvolle Position im Unternehmen innehatte, wie lange er sich als zuverlässig und vertrauenswürdig erwies oder ob er sich überhaupt bewusst war, dass er durch sein Verhalten das Vermögen des Arbeitgebers schädigen kann.

Folgende Gerichte entschieden zum Beispiel zugunsten des Arbeitgebers:

Das Landesarbeitsgericht (LAG) in Rostock hat die Kündigung eines Arbeitnehmers wegen Diebstahls kleinerer Bargeldmengen i. H. v. 3, 4 und 6 Euro aus einer Spendenkasse und unter Verwendung eines Generalschlüssels für zulässig bewertet (Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil v. 02.06.2009, Az.: 5 Sa 237/08). Ebenso zugunsten des Arbeitgebers urteilte das Landesarbeitsgericht Mainz über einen Fall, bei dem der Arbeitnehmer unberechtigt und weisungswidrig Spinat aus dem Tiefkühlregal mitgenommen hatte (LAG Mainz, Urteil v. 20.01.2009, Az.: 9 Sa 485/08).

Folgende Gerichte entschieden zum Beispiel zugunsten des Arbeitnehmers:

Kulant zeigte sich das Landesarbeitsgericht Hamm gegenüber einem gekündigten Bäcker, der Brotaufstrich im Wert unterhalb von 10 Cent verzehrt hatte (LAG Hamm, Urteil v. 18.09.2009, Az.: 13 Sa 640/09). In Baden-Württemberg hat das Landesarbeitsgericht zugunsten eines Angestellten einer Abfallentsorgungsfirma entschieden, der weisungswidrig ein entsorgtes, nicht recyclingfähiges Kinderbett mitgenommen hatte, das für den Arbeitgeber keinen Wert mehr hatte (LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 10.02.2010, Az.: 13 Sa 59/09). Und schließlich hat das Arbeitsgericht Reutlingen einem Manager Recht gegeben, der gekündigt worden war, weil er in der Kantine eine nicht übertragbare und namentlich ausgestellte Essensmarke für das Mittagessen seiner Freundin im Wert von 80 Cent eingelöst hatte (ArbG Reutlingen, Urteil v. 11.05.2010, Az.: 2 Ca 601/09).

Auswirkungen des Urteils

Mit seiner Entscheidung zum Fall Emmely hat das Bundesarbeitsgericht seiner bisherigen Rechtsprechung nicht völlig den Rücken gekehrt und dies auch mit dem ausdrücklichen Hinweis betont, indem es sein Urteil strikt auf den Einzelfall bezogen hat. Daher kann für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden, dass nicht wieder solche eklatanten Bagatellkündigungen richterlich bestätigt werden. Immerhin deutet sich nun eine gewisse Tendenz an, dass nicht mehr jedes Bagatelldelikt für eine fristlose Kündigung ausreicht. Das belegen zwei aktuelle Entscheidungen, die nach dem Emmely-Urteil getroffen wurden:

Das Landesarbeitsgericht Hamm bewertete die Kündigung eines Arbeitnehmers für unverhältnismäßig, der seinen Elektroroller am Arbeitsplatz mit Strom im Wert von 1,8 Cent aufgeladen hatte (LAG Hamm, Urteil v. 02.09.2010, Az.: 16 Sa 260/10). Ähnlich urteilte erst kürzlich des Arbeitsgerichts Bonn: Ein Betriebsratsvorsitzender sollte fristlos gekündigt werden, weil er einem ehemaligen Kollegen drei Schrauben im Wert von 28 Cent des Arbeitgebers geschenkt hatte. Nachdem sich der Betriebsrat geweigert hatte, der Kündigung zuzustimmen, beantragte der Arbeitgeber beim Bonner Arbeitsgericht die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrates. Doch das Gericht lehnte dies ab und folgte der Ansicht des Bundesarbeitsgerichts. Der Arbeitnehmer war bereits seit 30 Jahren in dem Betrieb beschäftigt, hatte den Vorfall nicht geleugnet und sofort bedauert, die drei Schrauben verschenkt zu haben (ArbG Bonn, Beschluss v. 21.10.2010, Az.: 1 BV 47/10 - noch nicht rechtskräftig).

Fazit und Ausblick

Letztlich Klarheit hat das Emmely-Urteil indessen nicht herzustellen vermocht, eher zu weiteren Unsicherheiten sowohl bei Arbeitgebern als auch bei Arbeitnehmern beigetragen. Sicher wird sich erst im Laufe der nächsten Zeit zeigen, wie die Arbeitsgerichte das Urteil des Bundesarbeitsgerichts in Zukunft bei ihrer Entscheidung einfließen lassen. Um hier für mehr Klarheit zu sorgen, wird inzwischen auch eine gesetzliche Regelung für Bagatell- und Verdachtskündigungen angedacht. Ob und wann es dazu kommt, ist jedoch noch vollkommen offen. Daher zum Schluss ein Rat für Arbeitnehmer: Lassen Sie sich nicht in Versuchung führen. Bleiben Sie stets korrekt und fragen Sie besser einmal mehr um Erlaubnis als einmal zu wenig. Denn eine Bagatelle kann nach wie vor sehr wohl den Arbeitsplatz kosten.

(BAG, Urteil v. 10.06.2010, Az.: 2 AZR 541/09)

(WEL)

Foto(s): ©iStockphoto.com

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