Tätlichkeit: Tätlicher Angriff mit heißem Tee; fristlose Kündigung zurückgewiesen

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„Gießt ein Arbeitnehmer (Müllwerker) im Verlaufe einer Auseinandersetzung über seinem Kollegen eine Tasse mit heißem Tee aus, liegt darin eine schwere Tätlichkeit, die zu erheblichen Verletzungen (insbesondere in Form von Verbrennungen) führen kann. Dieses Verhalten begründet selbst dann „an sich” einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung, wenn der angegriffene Kollege den Streit provoziert und zuvor seinerseits dem anderen Arbeitnehmer warmen Kaffee ins Gesicht geschüttet hat. Jeder Arbeitnehmer, der sich mit Angriffswillen an einer tätlichen Auseinandersetzung unter Kollegen beteiligt, ohne dass eine eindeutige Notwehrlage bestanden hat, bewirkt oder fördert eine ernstliche Störung des Betriebsfriedens und der betrieblichen Ordnung. Das gilt uneingeschränkt auch dann, wenn der Umgangston unter den Arbeitnehmern (Müllwerkern) als „etwas rauher” beschrieben wird. Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände, insbesondere den Ursachen des Streites und der Gefährlichkeit des Angriffs sowie seiner tatsächlichen Folgen, kann sich im Einzelfall eine Abmahnung ausnahmsweise als ausreichend erweisen, wenn Tatsachen eine störungsfreie Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses und Wiederherstellung des Betriebsfriedens prognostizieren lassen. Die Annahme einer solchen Prognose setzt neben einem störungsfreien Arbeitsverhältnis in der Vergangenheit u.a. die gegenseitige Entschuldigung der beteiligten Arbeitnehmer voraus.“ So die amtlichen Leitsätze des LAG Niedersachsen, Urteil vom 5. 8. 2002 - 5 Sa 517/02 (ArbG Wilhelmshafen Urteil 15. 2. 2002 1 Ca 747/01); Quelle: Beck-online.de

Was ist passiert?

LAG Niedersachsen: „Die Parteien streiten um eine von der Bekl. ausgesprochene außerordentliche, verhaltensbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Der Kl. war bei der Bekl. seit dem 3. 4. 1991 als Müllwerker beschäftigt. In der Abteilung Abfallentsorgung sind etwa 50 Mitarbeiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G II) vom 30. 1. 1962 und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme Anwendung. Ausgelöst wurde die Kündigung durch einen Vorfall, der sich am 2. 7. 2001 gegen Mittag zutrug. Der Kl. suchte den Sozialraum auf und traf dort auf seinen Kollegen B, der mit zwei weiteren Kollegen am Tisch saß und Karten spielte. B äußerte sich über den Kl. bei der Begrüßung abfällig, was dieser zum Anlass nahm, die Schnappverschlüsse der Hosenträger an der Latzhose des B zu öffnen. B erwiderte dieses Verhalten, indem er die vor ihm auf dem Tisch stehende Tasse mit Kaffee in die Hand nahm und den Inhalt über die Schulter dem hinter ihm sitzenden Kl. ins Gesicht schüttete. Daraufhin goss der Kl. über B eine Tasse mit heißem Tee aus.“ Quelle: beck-online.de

Interessenabwägung fällt zum Vorteil des Arbeitnehmers aus

LAG Niedersachsen: „…unterliegt es keinem Zweifel, dass in dem Angriff mit heißem Tee eine erhebliche Tätlichkeit liegt, die eine außerordentliche Kündigung „an sich” zu rechtfertigen vermag. Dabei unterstellt das BerGer. mit der Vorinstanz den Sachverhalt als richtig, den die Bekl. vorgetragen hat. Der Kl. hat, nachdem er mit Kaffee überschüttet worden ist, bewusst zum „Gegenschlag” ausgeholt und sich dazu am Nachbartisch eine Tasse mit heißem Tee eingeschenkt. Eine Interessenabwägung führt dennoch zur Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung, wie das ArbG zutreffend ausgeführt hat. Bei prognostischer Betrachtung hätte die Bekl. im Kündigungszeitpunkt eine Abmahnung nicht als entbehrlich ansehen dürfen. Es war die begründete Erwartung gerechtfertigt, dass sich der Kl. eine Abmahnung zur Warnung gereichen lässt und bei einer Weiterbeschäftigung keine dauerhaften Störungen des Betriebsfriedens zu erwarten sind, selbst wenn sowohl dem Kl. als auch B klar sein musste, dass das gegenseitige Ausschütten heißer Flüssigkeiten auf den Körper oder gar Gesicht des Kontrahenten den Bogen „einer Frotzelei unter Kollegen” in beträchtlichem Maße überspannt und vom Arbeitgeber keinesfalls akzeptiert werden kann.“ Quelle: Beck-online.de

Zehn Jahre Betriebszugehörigkeitszeit sprechen für den Arbeitnehmer und gegen eine fristlose Kündigung

LAG Niedersachsen: „Bei einer arbeitsrechtlichen Bewertung dieser Auseinandersetzung sind aber deren besonderen Umstände zu berücksichtigen. B hat das unbedachte Verhalten des Kl. ohne ersichtlichen Grund ausgelöst. Im Ursprung hat sich der Kl. ohne jede Angriffshaltung in den Pausenraum begeben. Er ist dort durch die beleidigende Ansprache als „Pflegefall” von seinem Kollegen B provoziert worden und hat sich zu der kindischen Handlung des Öffnens der Verschlüsse an der Latzhose hinreißen lassen, die B getragen hat. Mit dem Ausschütten des (zumindest auch warmen) Kaffees erreichte der Streit durch B eine weitere Eskalationsstufe, die den Kl. dazu veranlasst hat, sich in gleicher Weise zu revanchieren, allerdings wegen des frisch der Thermoskanne entnommenen Tees mit erneut eskalierender Wirkung. Dabei reagierte der Kl. nicht reflexartig, wie er dem Gericht glauben machen will, sondern mit dem Ziel, sich die Beleidigung und Bloßstellung durch B nicht bieten zu lassen. Bei dieser Reaktion nahm er eine Verletzung seines Kontrahenten zumindest billigend in Kauf. Allerdings handelte der Kl. spontan, er plante den Vergeltungsschlag keineswegs mit kühlem Kopf. Das in diesem Zusammenhang gewürdigte Verhalten des Kl. führt nicht zu dem Schluss, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei unzumutbar. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass der Kl. im Kündigungszeitpunkt bereits zehn Jahre beanstandungsfrei seine Arbeit als Müllwerker bei der Bekl. verrichtet hat. Tätlichkeiten im Dienst sind von ihm bisher nicht ausgegangen, er hat - soweit feststellbar - solche weder provoziert noch sich daran beteiligt.“ Quelle: Beck-online.de

Rechtsanwalt Helmut Naujoks ist seit 25 Jahren ausschließlich als Anwalt für Arbeitgeber im Arbeitsrecht tätig. Haben Sie Fragen in Bezug auf die Kündigung von Mitarbeitern/innen? Rufen Sie noch heute Rechtsanwalt Helmut Naujoks an, Spezialist als Anwalt für Arbeitgeber im Arbeitsrecht. In einer kostenlosen und unverbindlichen telefonischen Ersteinschätzung beantwortet Rechtsanwalt Helmut Naujoks Ihre Fragen zum Kündigungsschutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie zu den Rechten und Pflichten des Betriebsrats gemäß Betriebsverfassungsgesetz.


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